Das historische Zentrum Berlins ist vielen Mietern inzwischen zu teuer – sie haben auch Moabit als Alternative entdeckt. Dort steigen die Quadratmeter-Preise in einigen Kiezen kräftig.
Seit Jahrzehnten wohnt Susanne Torka in Süd-Moabit. Immer in demselben Haus. 1981 schleppte sie ihre Umzugskisten zum ersten Mal durchs Treppenhaus in der Lehrter Straße, vor ein paar Jahren zum letzten Mal. Als die Kinder auszogen, suchte sie sich eine kleinere Wohnung im Haus, die sechste ist es, immer wieder habe sie sich „vergrößert und verkleinert“, je nach Lebenssituation.
Rings um das Haus veränderte sich Berlin, erst fiel die Mauer, die gleich hinter dem Haus auf der anderen Seite der Bahngleise verlief. In Mitte, auf der anderen Kanalseite, kamen zuerst die Hausbesetzer, dann die Investoren. In der Lehrter Straße ging das Leben einfach so weiter.
Bis vor ein paar Jahren jedenfalls. Irgendwann in den Nullerjahren erzählte der erste Nachbar von einer luxemburgischen Gesellschaft, die sein Haus gekauft habe. Dann berichteten Bekannte, ihre Wohnungen würden in Eigentum umgewandelt. Und die Modernisierungen begannen. „Wenn die Häuser modernisiert waren, kam die zweite Modernisierung“, sagt Susanne Torka. Die, nach der sich die alten Mieter die neuen Mieten nicht mehr leisten konnten.
>> Interaktive Grafik: So steigen die Mieten in Berlins Kiezen
Damals gründeten Susanne Torka, Jürgen Schwenzel und andere Anwohner die Initiative „Wem gehört Moabit?“. Sie starteten eine Umfrage, um herauszufinden, wer die Eigentümer der Häuser sind. Sie beraten Mieter bei Problemen. Außerdem arbeiten sie beim Runden Tisch gegen Gentrifizierung mit. „Ich mag das gemischte Leben hier, mit Leuten, die aus allen möglichen Ecken kommen“, sagt Susanne Torka. Jetzt aber wollten immer mehr Menschen nach Moabit, die vor zehn Jahren nach Mitte oder Prenzlauer Berg gezogen wären, vor vier oder fünf Jahren nach Kreuzberg. Und mit der Zahl der Wohnungsinteressenten steigen die Mieten.
„Mietstillstand im Kern“
Der Kiez ist begehrt. 9,73 Euro pro Quadratmeter verlangten Vermieter im Durchschnitt, wenn sie 2014 eine Wohnung in Moabit Süd auf den Markt brachten. Das geht aus dem Wohnmarktreport Berlin hervor, den der Immobiliendienstleister CBRE und die Berlin Hyp vorgestellt haben. Für jeden Berliner Bezirk vergleichen die Analysten, wie sich die Mieten dort entwickeln. Der Bezirk Mitte, zu dem Moabit ebenso gehört wie die historische Mitte, steht unter der Überschrift: „Mietstillstand im Kern, während Randgebiete aufholen“.
In Berlins historischer Mitte seien „die Grenzen der Zahlungsfähigkeit oder -bereitschaft offenbar erreicht“, heißt es im Wohnmarktreport, die mittlere Angebotsmiete sei Unter den Linden und am Hackeschen Mark sogar gesunken. Die beiden Kieze gehören zu den teuersten in Berlin: 12,90 Euro pro Quadratmeter wurden Unter der Linden als mittlere Angebotsmiete ermittelt. 40 Cent weniger kostet der durchschnittliche angebotene Miet-Quadratmeter in den Gebieten Hackescher Markt und Rosenthaler Platz. Bei den teuersten angebotenen Wohnungen liegt der Hackesche Markt mit 18,46 Euro einen knappen Euro über dem Gebiet Unter den Linden.
Keine Chance auf dem offiziellen Markt
Wer eine vergleichsweise günstige Wohnung sucht, hat in Mitte auf dem offiziellen Markt wenig Chancen: Einfachere Wohnungen gingen oft unter der Hand weg. Das Angebot an freien Wohnungen liege deshalb eher im „gehobenen und oberen Segment“, schreiben die Wohnmarkt-Analysten, die von Januar bis Oktober 2014 mehr als 100.000 Angebote für Miet- und Eigentumswohnungen sowie Mehrfamilienhäuser in Berlin ausgewertet haben. Und: Selbst bei einfachen Wohnungen werde ein „Cityaufpreis“ fällig, sodass Mieter mehr zahlen müssten als außerhalb des Zentrums.
Dass die Mieten vergleichsweise hoch sind, heißt aber nicht, dass hier nur die wohlhabendsten Berliner wohnen: Die mittlere Haushaltskaufkraft liegt am Rosenthaler Platz bei 3127 Euro (Rang 61), im Kiez Hackescher Markt bei 2956 Euro und damit auf Platz 89 unter den 190 Berliner Postleitzahlgebieten. Für ihre teils sehr teuren und im Berlin-Vergleich großen Wohnungen sparen die Mieter an anderer Stelle: Die Wohnkostenquote, das Verhältnis zwischen Wohnungskosten und Haushaltskaufkraft, liegt im Gebiet Hackescher Markt bei 44,1 Prozent. Nirgendwo in Berlin geben Mieter einen höheren Teil ihres Einkommens für das Wohnen aus.
Solche Zahlen machen den Bewohnern in Moabit Angst. Sie verwenden durchschnittlich etwa ein Viertel ihres Einkommens für die Miete, etwas weniger im Gebiet Beusselstraße (23,8 Prozent), etwas mehr (28,3 Prozent) in Alt-Moabit. In Süd-Moabit, Alt-Moabit oder im Stephankiez wurden im Jahr 2014 Wohnungen mit mittleren Mieten von neun bis zehn Euro pro Quadratmeter angeboten, im „oberen Marktsegment“ lagen die durchschnittlichen Angebote schon bei 15 bis 17 Euro.
„Topsegment“ mitten in Wedding
Noch sind Wohnungen rund um die Beussel- oder Birkenstraße günstiger zu haben. Besonders der Beusselkiez wurde im Zweiten Weltkrieg zerbombt. Die Häuser, die dort in den 50er- und 60er-Jahren entstanden, galten trotz Zentrumsnähe lange nicht als attraktiv. Deshalb hätten sie zunächst „wenig vom Aufschwung des Berliner Wohnungsmarkts verspürt“, heißt es im Marktreport. Zwar gehörten sie weiter zu den günstigsten Wohnungen innerhalb des S-Bahn-Rings. Aber die Angebote hätten „deutlich angezogen“, es bilde sich „ein Topsegment für Anspruchsvolle und Zahlungskräftige“ heraus: 15,91 pro Quadratmeter verlangten beispielsweise die Vermieter einer Wohnung im Birkenstraßenkiez.
Auch im benachbarten Wedding steigen die Mieten: Im direkt angrenzenden Westhafenkiez liegt die mittlere Angebotsmiete schon bei 8,26 Euro. Rund um den Bahnhof Gesundbrunnen sind die Mieten im Auswertungszeitraum besonders deutlich gestiegen.
Günstig wohnen die Mieter im Gebiet Humboldthain – trotz der begehrten Lage: Der Kiez grenzt an die historische Mitte und an Prenzlauer Berg. Die Wohnungen gehörten überwiegend einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft, schreiben die Markt-Analysten. Nur dort lag im Bezirk Mitte im Jahr 2014 die mittlere Angebotsmiete noch bei unter sieben Euro.