Im ersten Moment möchte man stutzen. Der Himmel hängt schwer und grau über den Plattenbauten, selbst dort oben im 20. oder 21. Stock dürfte die Aussicht kaum Lichtblicke bieten. Zwischen 50 und 64 Meter hoch ragen die Wohntürme in der Marzahner Großsiedlung östlich der Märkischen Allee auf. Wenn die neunjährige Marie auf dem Weg zum Einkaufszentrum Plaza Marzahn zum Dach hochschauen will, muss sie den Kopf in den Nacken legen. Und doch: Natürlich sei sie hier geblieben, da, wo sie aufgewachsen sei, sagt Maries Mutter Romy Lausecker. „Weil es mir hier gefällt.“
Wer in Berlin eine Wohnung mit günstiger Miete sucht, der ist hier richtig. Zwar steigen auch im nordöstlichsten Bezirk Berlins die Mieten ähnlich stark wie überall in der Stadt. Dennoch zahlen Neumieter fast nirgendwo so wenig wie in den Plattenbaugebieten rund um die Mehrower Allee oder die Raoul-Wallenberg-Straße. Zu DDR-Zeiten waren hier sowie im angrenzenden Ortsteil Hellersdorf an der Grenze zum Landkreis Barnim ab Ende der 70er-Jahre die größten auf dem Reißbrett geplanten Siedlungen des industriellen Wohnungsbaus im heutigen Land Berlin entstanden. Auf 5,50 Euro pro Quadratmeter beläuft sich ein mittleres Angebot bei Neuvermietung in der Großsiedlung Marzahn laut dem Wohnmarktreport Berlin 2015, den der Immobiliendienstleister CBRE und die Berlin Hyp erstellt haben. In der Schwestersiedlung etwas weiter östlich sind es 5,80 Euro.
Dass auch in der „Platte“ am Stadtrand die Nachfrage nach Wohnraum steigt, resultiert allerdings nicht nur aus den erschwinglichen Mietpreisen. Ja, sie wisse schon, dass sie fast konkurrenzlos günstig wohne, sagt Romy Lausecker. Was den Kiez aber eigentlich attraktiv macht für die Informationstechnikerin, das sind die Freizeitmöglichkeiten. Der nahe Ahrensfelder Berg zum Beispiel, zu dem sie mit der Tochter zum Rodeln geht, oder der Bürgerpark Marzahn.
Das viele Grün gefalle ihr genauso wie die Ruhe vor dem Verkehr, sagt auch Maria Fiedler, die den dreijährigen Danny im Kinderwagen über die weitläufigen Wege und Wiesen zwischen den Wohntürmen schiebt. Ihre Autos müssen die Bewohner auf zentralen Parkplätzen stehen lassen. Um Betreuungsplätze in der Kita für Danny und seine eineinhalb Jahre jüngere Schwester Ewa hatte sich Maria Fiedler schon frühzeitig gekümmert. „Man muss hier schon rechtzeitig gucken, es gibt ja immer mehr Familien mit Kindern“, sagt die 33-Jährige.
>> So haben sich die Mieten in Berlins Kiezen entwickelt
Bei der Immobilien- und Vermögensverwaltungsgesellschaft Allod, die rund 4800 Wohnungen in Marzahn-Hellersdorf betreut, kann man den Zuzug von Familien bestätigen. Die kämen ebenso wie ältere Neumieter nicht nur aus dem Bezirk selbst, sondern auch aus anderen Teilen Berlins und dem Berliner Umland. Mit einer Größe von 60 bis 72 Quadratmetern haben die von verschiedenen Eigentümern derzeit angebotenen Plattenbauwohnungen zwar keinen üppigen Zuschnitt, passen aber zum Bedarf junger Eltern. An der Karl-Friedrich-Friesen-Grundschule in Marzahn stieg die Zahl der Schüler innerhalb von zehn Jahren um 20 Prozent. Im vorletzten Schuljahr wurde deshalb ein Erweiterungsbau in Betrieb genommen. Knapp 180.000 Menschen und damit mehr als die Hälfte der 251.000 Einwohner Marzahn-Hellersdorfs lebten Ende 2013 laut Statistikamt in den vollständig sanierten Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf. „Der Leerstand liegt bei uns unter zwei Prozent“, sagt Kerstin Karasch, Leiterin der Allod-Außenstelle in Marzahn.
Weiterhin niedrig ist allerdings die Kaufkraft der Haushalte in den Hochhausquartieren sowohl im Berliner Vergleich wie auch gemessen an den übrigen Wohngebieten im Bezirk. Trotzdem liegt, bedingt durch geringe Mieten, der Anteil der Wohnkosten an der Kaufkraft (Wohnkostenquote) ebenfalls am unteren Ende der Berliner Skala. 2517 Euro haben Haushalte im Kiez rund um Alt-Hellersdorf im Schnitt pro Monat für Konsum zur Verfügung. Bezogen auf die Kaufkraft liegt das Gebiet damit auf Platz 171 aller 190 Postleitzahlenbezirke Berlins. Noch geringer ist die Haushaltskaufkraft nur im Süden des Ortsteils Hellersdorf (2503 Euro/Monat, Platz 174).
Allerdings bewegt sich auch die Wohnkostenquote in den überwiegenden Bereichen des Bezirks zwischen 19 und 20 Prozent. Zum Vergleich: Mieter rund um den Hackeschen Markt geben etwa 44 Prozent ihres für den Konsum zur Verfügung stehenden Einkommens fürs Wohnen aus, die Einwohner Friedrichshain-Kreuzbergs immerhin noch 28 Prozent. In Marzahn-Hellersdorf hebt sich das Gebiet rund um den Dorfkern Alt-Marzahn und westlich des Kienbergs aus dem niedrigen Bezirksniveau heraus. Hier müssen Bewohner der oftmals relativ neuen Wohnungen im Schnitt deutlich mehr als jeden fünften Euro für die Miete reservieren.
Am grünen Stadtrand
Am teuersten sind die inserierten Mietwohnungen im Nordosten von Berlin – wenig überraschend – dort, wo es kaum einen Mietwohnungsmarkt gibt. Der südliche Bereich des Bezirks Marzahn-Hellersdorf mit den Ortsteilen Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf ist geprägt von Einfamilienhäusern. Hier verfügen die Einwohner über eine durchschnittliche monatliche Kaufkraft von mehr als 3000 Euro. Die Größe freier Wohnungen rangiert deutlich über dem Mittel im Bezirk. Gleichwohl können angesichts der Einkommen auch Angebote mit einer durchschnittlichen Monatsmiete über sieben Euro pro Quadratmeter am Markt bestehen. Die Nähe zum Umland, Teil der Attraktivität dieser Region, spiegelt sich in den Straßennamen. Hier wohnt man am Dohlegrund, der Kreuzschnabelstraße oder am Aurorafalterweg. Statt Bürgersteigen gibt es von Birken gesäumte Grünstreifen. Mietshäuser finden sich selten. Wer hier lebt, der zieht ohne Not nicht fort.
Die interaktive Grafik der Berliner Morgenpost zeigt, wie die Mieten in den Kiezen steigen. Alle Teile der Serie finden Sie hier.