Berlin. Es ist ein Telefonat mit der Direktorin des Staatsarchivs in Cherson, das Ekaterina Malygina besonders in Erinnerung geblieben ist: „Als ich sie am Abend endlich erreicht habe, war sie sehr gestresst. Erst vor wenigen Stunden hatte es einen starken Angriff auf das Archiv gegeben. Zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versuchte sie das Archiv irgendwie zu sichern.“
Malygina ist Koordinatorin des Projekts „Sicherung von Dokumenten und Archivbeständen in der Ukraine“ im Museum Berlin-Karlshorst. Sie steht im regelmäßigen Kontakt mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Kriegsgebiet. Von Deutschland aus versucht sie ihnen so gut wie möglich zu helfen. „Wir unterstützen ukrainische Kultureinrichtungen in ihrer Arbeit“, so die Historikerin, „damit sie ihre Museums- und Archivsammlungen retten können.“ 56 kulturelle Einrichtungen in der Ukraine haben sie bis jetzt helfen können, erzählt Malygina. Finanziert wird das Projekt von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Zwischen Juli und Dezember sind insgesamt 450.000 Euro ausgezahlt worden.
Mit dem Hilfsprojekt sollen ukrainische Kulturgüter gesichert werden
„Russland führt einen Krieg gegen die Identität der Ukraine, gegen die ukrainische Kultur,“ sagt Malygina. „Wir wissen nicht, ob es gezielt ist oder nicht, aber wir sehen, dass sehr viele Museen und Archive von dem russischen Militär zerstört werden.“ Es ist wichtig, die Bewahrung dieser Kulturgüter unterstützen, so die junge Frau, denn ukrainische Kultur sei auch ein Teil der europäischen Kultur.
Das Museum Karlshorst ist eine kleine Einrichtung, deswegen können Verwaltungslösungen schnell durchgeführt werden. „Unbürokratisch und auf Augenhöhe“, sagt Bianca Schröder, Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit des Museums Berlin-Karlshorst und fügt hinzu: „Wir haben seit vielen Jahren Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Institutionen aus dem östlichen Europa und der Ukraine.“ Das Team spricht Russisch und Ukrainisch, ergänzt, Malygina, was sehr bei der Kommunikation helfe.
Physische und digitale Sicherung der Objekte
Die Unterstützung, die von Berlin-Karlshorst aus geleistet wird, ist vielseitig. Zum einen besteht sie aus der Finanzierung der Reparatur zerstörter Gebäude: „Das Museum in Charkiw oder das Staatsarchiv in Cherson zum Beispiel wurden sehr stark beschädigt“, erzählt Malygina. In solchen Fällen würde man mit OSB-Holzplatten für zerbrochene Fenster, Brandschutztüren und durch die Finanzierung notwendiger Reparaturarbeiten am Gebäude unterstützen.
Außerdem ist die physische Sicherung der Objekte innerhalb der Gebäude wichtig. Luftentfeuchter seien essenziell, damit die Objekte nicht durch Feuchtigkeit und daraus folgenden Schimmelbefall zerstört würden. „Aber auch Sicherheitsanlagen werden gebraucht, denn nicht selten werden Kulturgüter aus den Museen und Archiven geraubt“, so Malygina.
Neben der physischen Sicherung ist die digitale Sicherung der Ausstellungs- und Archivsammlungen wichtig. Dafür kaufe man Scanner, Laptops, Kameras und Speichermedien. „Durch Digitalisate können Objekte vor der endgültigen Zerstörung bewahrt werden“, erklärt Schröder. 1000 Objekte seien bereits in die Online-Plattform „Museum-Digital“ eingespeist worden – mit Hilfe des Programms werden Objekte, Fotos und Dokumente für die Präsentation im Internet aufbereitet und so ukrainische Sammlungen online zugänglich gemacht.
Raum für Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch
Doch auch Wissensvermittlung und Kompetenzübertragung ist Teil der Unterstützung: Vier Online-Schulungen für das Programm „Museum-Digital“ hat sie bereits gegeben, an denen über 37 ukrainische Museen teilgenommen haben, weitere sind geplant, erzählt die junge Frau. „Es geht darum, wie man Objekte scannt und Metadaten in das System einträgt. Aber es ist auch eine Plattform zum Erfahrungsaustausch für die ukrainischen Kolleginnen und Kollegen untereinander“, so die Koordinatorin.
Außerdem finanziere man auch Honorarzahlungen des Personals. „Oft haben die kulturellen Einrichtungen keinen Zugang auf Haushaltsmittel, denn alles fließt zur Armee“, sagt Malygina. Doch Fachpersonal ist essenziell, denn ohne dieses bringt auch die gestellte Technik nichts, gibt die Projektleiterin zu bedenken.
Großen wie kleinen Einrichtungen wird geholfen
Neben Museen und Archiven werden auch Bibliotheken und Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Malygina ist es wichtig darzustellen, dass die Hilfsmittel ausgeglichen über das gesamte Gebiet der Ukraine verteilt werden und das mit den Geldern nicht nur die großen Einrichtungen unterstützt werden: „Wir arbeiten mit den großen Museen und Archiven der Ukraine zusammen, aber wir unterstützen auch sehr viele kleine Einrichtungen wie zum Beispiel Heimatmuseen.“ Einige der über 150 Kontakte in die Ukraine hätten schon vor Projektbeginn bestanden, aber die meisten hätte man in den letzten Monaten geknüpft. „Es ist eine Vernetzung, die dauerhaft bestehen wird“, ist Malygina sich sicher.
„Erinnerungen zu sichern, ist Ziel des Projektes“, erklärt die Koordinatorin. Durch die finanzielle Unterstützung aus Deutschland können neben den großen Sammlungen auch lokalgeschichtliche Kulturgüter, Familiengeschichten, Privatfotos und Sammlungen aus Lokalarchiven bewahrt werden. „Doch wir reichen nur die Hand“, betont die junge Frau, „die Arbeit wird vor Ort gemacht. Was wir machen, ist dabei zu unterstützen.“
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