Berlin. Im Graefekiez protestierten Kreuzberger gegen den Wandel zu mehr Grün. Anwohnerin Julia Ansink dagegen bepflanzt Ex-Stellplätze.

Es war geradezu dörflich am Sonntagabend im Kreuzberger Graefekiez. Die Stimmen jener, die auf Bänken entlang der Straßen und in den Lokalen saßen, übertönten deutlich das Bisschen, was noch vom Durchgangsverkehr zu hören war. „Es waren sowieso kaum Autos unterwegs“, sagt Anwohnerin Julia Ansink. Vielleicht ist eine Ursache auch das Projekt, für das sich die 33-jährige Mutter verpflichtet hat. Mit über einem Dutzend Parteien im Wohnviertel hat sie die Pflege einer jener Grünflächen übernommen, für die jüngst Parkplätze abgeschafft wurden. Den Kompost für die neue Aufgabe ordert sie noch in dieser Woche.

Das Engagement von Leuten wie Julia Ansink befeuert das „Projekt Graefekiez“. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hätte das Ganze gern größer aufgezogen, nämlich als Verkehrsexperiment, bei dem der Kiez praktisch autofrei geworden wäre. Weil sich aber herausstellte, dass dafür gar nicht die rechtlichen Bedingungen vorlagen, wurde der Plan heruntergekürzt.

Kreuzberg: Urban Gardening auf ehemaligen Parkplätzen im Graefekiez

Der allerdings kann sich sehen lassen: 400 Quadratmeter Straßenland wurden seit Mitte Juli entsiegelt. Julia Ansink etwa teilt sich mit Nachbarn eine Anbaufläche in der Graefestraße, die früher fünf Autos Parkfläche bot. Blumen statt Blech, gewissermaßen. Was am Sonntag schon zu bemerken war, wird zunehmen: Wo keine Stellflächen sind, fällt spürbar auch der Suchverkehr fort, den das Bezirksamt mit derlei Strategien aus den Wohnvierteln drängen will. Als sie die Berliner Morgenpost zu ihrer Anbaufläche führt, läuft Julia Ansink wie selbstverständlich minutenlang auf der Fahrbahn. Und kommt dabei keinem Wagen mehr in die Quere.

Die Proteste gegen den Abbau von Parkplätzen begann mehr als ein Jahr bevor sie im Juni 2023 in den Kiez zog. Dass die neu geschaffenen Freiluftflächen für die Lemgo-Grundschule sowie für vier Kitas inzwischen schon von Gegnern der Veränderungen beschmiert wurden, mache sie „wütend“.

Streit um Parkplätze in Friedrichshain-Kreuzberg

Sie verstehe, dass Gewerbetreibende auf Parkraum für ihren Betrieb oder Kunden beharren. „Aber warum soll man als Anwohner im Graefekiez ein Auto haben, das dann im Monat drei Wochen lang herumsteht?“ Mit Ehemann und dreijährigem Sohn nutzt die Mitarbeiterin eines Digitalunternehmens statt dessen das Fahrrad. Ihr Auto verkaufte sie als sie vor zehn Jahren aus einer Kleinstadt bei Chemnitz nach Berlin zog. Gibt es etwas schweres zu bewegen, nimmt die kleine Familie einen Mietwagen. Etwa zwei mal im Monat komme das vor, sagt Julia Ansink.

Insgesamt werden im Viertel rund 480 Stellplätze umgewandelt oder dem motorisierten Individualverkehr entzogen. Das Gros ist zukünftig Lieferdiensten, Lkw, Jelbistationen, Mieträdern, E-Scootern und E-Mopeds vorbehalten. 80 davon fallen bei der Umgestaltung zur Schulwegsicherung in der Böckhstraße fort.

Viele neue Fragen für die Hobby-Gärtner

Als sie die Teilnahme-Aushänge des Vereins „Paper Planes“ sah, der für den Bezirk die Anwohnereinbindung organisiert und etwa auch das Dauerprojekt Radbahn Berlin betreut, habe sie sich gleich um eine Fläche beworben, sagt Julia Ansink. Gärtnerei beschränkte sich in ihrem Leben bis dahin auf den Kräuteranbau auf dem Balkon.

Gefragt, was sie nun ins Urban Gardening zieht, sagt sie: „Die Idee, das Grün zurück in die Stadt zu holen.“ Und der Sohn bekomme so einen Zugang zu Natur und Pflanzen. Was auf dem Balkon schnell unübersichtlich schmutzig endet, lasse sich auf dem ehemaligen Parkplatz mit vollem Elan ausleben. „Mit Erde und Werkzeug zu spielen: Auf so einer großen Fläche ist das dann in Ordnung“, sagt Julia Ansink.

Eine Gelegenheit, andere Anwohner kennen zu lernen

Nebenbei komme sie mit den Nachbarn in Kontakt. „Wir müssen uns absprechen, wer wann gießen kann, klären, wie wir an Spaten und dergleichen kommen.“ In der neuen Chatgruppe ist die Anwohnerschaft schon jetzt ein wenig näher zusammengerückt.

Was Julia Ansink als Städterin noch nicht weiß, schaut sie online in Schulungen nach, die etwa Paper Planes liefert. Für jeden der drei Ex-Parkplätze kann sie bis zu 80 Euro vom Bezirk bekommen. „Aber wir werden noch etwas drauflegen müssen – Pflanzen sind nicht billig“, sagt sie.

Julia Ansink verfolgt ein besonderes Ziel

Als erstes werde sie in dieser Woche Sand und Kompost ordern. Beim Lieferanten wähle sie dann auch die Gewächse aus – bewusst nicht im Baumarkt. Wie sie jüngst lernte, sei manche Pflanze dort belastet und entstamme nicht der Region. Dann komme noch ein kleiner Weg und vielleicht eine Bank auf den ehemaligen Parkplatz. Ihre Herausforderung? „Es so schön zu herzurichten“, antwortet Julia Ansink, „dass die, die gegen die Grünflächen waren, sich nicht beschweren können.“

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