Berlins gefährliche Orte

Wie der "Kotti" im Drogen- und Kriminalitätssumpf versinkt

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Emina Benalia
Kottbusser Tor / Berlin Kreuzberg

Kottbusser Tor / Berlin Kreuzberg

Foto: Reto Klar

Am Kottbusser Tor gibt es massive Probleme mit der Drogenkriminalität. Die Zahl der Straftaten hat sich binnen zehn Jahren verdoppelt.

In sich zusammengesunken wie ein durchnässter, schwerer Kleidersack hockt Adrian* auf einer der Metallbänke auf dem Vorplatz des U-Bahnhofs Kottbusser Tor in Kreuzberg. Adrian, ein bulliger Mann in einer schwarzen Kapuzenjacke mit Tattoos am Hals und an den Händen. Er riecht stark nach altem Schweiß, Urin und Alkohol. Adrian ist krank, er ist schwer alkoholabhängig, sein Körper von der Suchterkrankung deutlich gekennzeichnet. Er trägt eine dunkle Jeans, das rechte Hosenbein ist leer. Der feste Jeansstoff ist in der Mitte des Hosenbeins zusammengeklappt und mit Nadeln in Schritthöhe befestigt. Darauf angesprochen, antwortet Adrian nach einer kurzen Denkpause: „Scheiß Alkohol, hab’ zu viel gesoffen, dann musste das Bein irgendwann ab.“

Der gebürtige Hamburger lebt seit 13 Jahren in Berlin, seit einigen Monaten auf der Straße. Das Kottbusser Tor, so der 34-Jährige, sei für ihn zu einer Art Wohnzimmer geworden. Und ein Treffpunkt mit seinen Bekannten. Während Adrian spricht, sackt er immer wieder in sich zusammen, verfällt in Sekundenschlaf. „Ich nehme Baldrian. Das hilft mir, clean zu bleiben.“ Elf Tage habe er es jetzt geschafft, keine Drogen zu nehmen, sagt er und lacht sarkastisch. Einfach sei es nicht, „das Angebot tanzt ja direkt vor der Nase“.

Binnen eines Jahrzehnts hat sich die Anzahl der Straftaten nahezu verdoppelt

Wie Scherenblätter klaffen die Straßen Skalitzer und Reichenberger auseinander, laufen zum „Kotti“ hin im spitzen Winkel zusammen. In Hauseingängen und an Straßenrändern tummeln sich Bettler, Dealer, Drogensüchtige. Neben dem Alexanderplatz und der Warschauer Brücke zählt das Areal rund um das Kottbusser Tor zu den Negativspitzenreitern der polizeilichen Kriminalstatistik. 6072 Straftaten verzeichnete die Berliner Polizei im Jahr 2016.

Berlins gefährliche Orte: Kottbusser Tor
Berlins gefährliche Orte: Kottbusser Tor

Binnen eines Jahrzehnts hat sich die Anzahl der Straftaten damit nahezu verdoppelt. Besonders auffällig: die massive Zunahme des Drogenhandels – von 227 Fällen im Jahr 2008 auf 840 im vergangenen Jahr. Die Geschichten, die die Suchtkranken hier erzählen, die ähneln sich oft: Erst kam der Alkohol, dann die Drogen, später der Kontrollverlust über das eigene Leben.

Jahrzehnte altes Problem und keine nachhaltige Lösung

So präsent der Drogenhandel und der Drogenkonsum am Kottbusser Tor auch sind, neu ist die Thematik keinesfalls. Seit dem Bau des verwinkelten, zwölfgeschossigen Gebäudekomplexes in den 70er-Jahren gilt die Gegend um das sogenannte „Neue Kreuzberger Zentrum“, kurz NKZ, als ein Ort der Widersprüche. Von hier aus strömen viele Berliner und Touristen in die zahlreichen Bars und Clubs in der Umgebung. Zeitgleich eta­blierte sich hier am Kottbusser Tor ein Hotspot der Berliner Alkohol- und Drogenszene. Ein Zustand, der den kriminellen Handel mit Betäubungsmitteln über mehrere Jahrzehnte noch weiter anheizte.

„Aufgrund der zahlreichen Touristen, der vitalen Partykultur und seiner besonderen, unübersichtlichen baulichen Struktur bietet das Areal kriminellen Gruppen günstige Gelegenheiten für Raub, Diebstahl und Drogenhandel“, sagt Sara Lühmann, Sprecherin des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg. Die Zahlen sprechen für sich: Gab es 2008 insgesamt 147 Taschendiebstähle, versechsfachte sich die Zahl auf 927 Fälle im vergangenen Jahr. Auch wenn das Gesamtniveau weiterhin hoch ist, verzeichnete die Berliner Polizei im ersten Halbjahr des laufenden Jahres einen leichten Rückgang: Die Anzahl der Straftaten in diesem Bereich sank auf 334.

Das Hauptproblem am Kottbusser Tor bleibt die Drogenkriminalität

Das hänge nicht nur mit der verstärkten Präsenz der Einsatzkräfte vor Ort zusammen, erklärt Polizei-Sprecher Winfried Wenzel. „In den letzten Jahren haben wir den Austausch mit allen wesentlichen Akteuren am Kottbusser Tor intensiviert.“ Dazu gehöre eine engere Zusammenarbeit und regelmäßiger Austausch mit behördlichen Mitspielern wie dem Bezirksamt, dem Sozialamt, dem Quartiersmanagement und der Vereinigung der Gewerbetreibenden. Aber auch eine stärkere Kooperation mit örtlichen Opferschutz-, Suchtberatungs- und Streetworker-Organisationen.

Zusätzlich zu den Maßnahmen der Berliner Polizei sorgen private Wachleute seit einigen Jahren im Auftrag mehrerer großer Hausverwaltungen dafür, dass die Aufgänge der Hochhäuser und das private Straßenland davor nicht weiter verwahrlosen und dass Taschendiebe und Dealer keine Verstecke in den verschachtelten Hochhäusern finden.

Das Hauptproblem und damit auch die größte Herausforderung am Kottbusser Tor bleibt aber die Drogenkriminalität. Auch wenn sich im Laufe der letzten Jahre neue Kreativagenturen und Designerläden rund um den Bahnhof angesiedelt haben, sind hohe Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit weiterhin Probleme. Um diese effektiv und nachhaltig anzugehen, bedarf es neben den polizeilichen Maßnahmen sowie einem stärkeren juristischen Durchgreifen gegen die Dealer, wie der Innensenator Geisel (SPD) es vergangene Woche forderte, auch gesundheitspolitischer Schritte.

Dealer gehen dahin, wo der Markt ist

Wo eine Nachfrage besteht, dort gibt es auch ein Angebot. Am Kottbusser Tor setzt ein gefährlicher Teufelskreis ein: Suchtkranke fördern die Nachfrage nach illegalen Substanzen, Dealer wiederum gehen dahin, wo der Markt ist. Mit der Errichtung eines integrierten Suchthilfe- und Gesundheitszentrums hofft man im Bezirk diesem Kreislauf entgegenzuwirken.

Die feste Anlaufstelle am Kottbusser Tor soll eine Zuflucht für die Suchtkranken sein – um Vertrauen aufzubauen und eine Vermittlung in weitere Hilfen einzuleiten. „Das Zentrum soll durch vielfältige Angebote im Bereich der Hygiene – dazu gehören sanitäre Anlagen, Duschen, der gesundheitlichen Basisversorgung, Infektionsprophylaxe und lebenspraktische Hilfen – die Situation vor Ort sowohl für die Anwohner als auch für die Betroffenen selbst verbessern”, heißt es so auch vom Bezirk.

Untergebracht werden soll die Einrichtung im NKZ. Eigentümerin des Gebäudekomplexes ist die landeseigene Wohnungsgesellschaft Gewobag. Der Verkauf des Gebäudes an einen privaten Investor ist abgewendet. „Die wichtigste Voraussetzung für die Schaffung einer solchen Einrichtung ist mit dem Ankauf des Hauses durch die Gewobag geschaffen“, sagt Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) der Berliner Morgenpost. Und fügt hinzu: „Wir sind mit den dortigen Mietern im Gespräch.“ Wer die geplante Einrichtung betreiben soll, ist derzeit noch offen. Die Umsetzung des Projekts wird voraussichtlich noch ein bis zwei Jahre dauern.

* Name von der Redaktion geändert

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