Schule in Berlin

Ohne Zensuren, ohne Klassen, ohne Fachstunden, aber mit iPad

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Regina Köhler

Foto: Reto Klar

An einer Schule in Charlottenburg wird völlig neu gelernt - digital und selbstbestimmt. Eine App organisiert dabei den Schulalltag.

Für drei Berliner Schüler wird sich das Leben von Montag an gründlich ändern. Sie werden eine neue Schule besuchen und ganz anders lernen als bisher. Fachunterricht wird es dann nicht mehr geben, auch keinen Stundentakt von 45 Minuten. Die Schüler werden keine Zensuren mehr bekommen und auch nicht mehr in einer großen Klasse sitzen.

Trotzdem werden sie natürlich Mathematik, Deutsch oder Sprachen lernen und auch alles andere, was sie laut Berliner Rahmenlehrplan wissen müssen. Statt aber wie bisher für einzelne Fächer zu büffeln, werden sie sich das Wissen ausschließlich in Projekten aneignen.

Wer sich darüber hinaus in einen speziellen Bereich vertiefen will, etwa besser Englisch sprechen oder Klavierspielen lernen möchte oder Unterstützung in Mathematik benötigt, für den wird es Nachmittags Angebote geben. Zweimal in der Woche werden alle zusammen kochen. An den anderen Tagen wird Tim Raue das Essen für die Schüler zubereiten.

„Für unserer Gesellschaft ist es wichtig, dass sich Schule ändert“

„NewSchool“ heißt die private Sekundarschule, die am Montag nach den Herbstferien startet. Alle Kinder werden mit einem iPad ausgerüstet und über eine spezielle App miteinander verbunden sein, die den Schulalltag organisiert.

Schulleiterin Almut Röper sagt, dass es vor allem darum geht, die Talente jedes Einzelnen zu entdecken und zu fördern. „Wer bin ich, was kann ich, das sind Schlüsselfragen unseres Konzepts.“ Röper, 54, hat Lehramt studiert und Informationsdesign.

Sie hat eine eigene Agentur aufgebaut und viele Jahre lang das Marketing für große Unternehmen geleitet, Konzepte geschrieben und Start-ups betreut. All diese Erfahrungen bringt sie nun in den Aufbau der neuen Schule ein.

Ihr Credo: Die Jugendlichen sollen wieder mit Spaß lernen und das mitten im Leben und nicht hinter dicken Schulmauern versteckt. „Für unserer Gesellschaft ist es wichtig, dass sich Schule ändert“, sagt sie. „Gebraucht werden kreative Absolventen, die um ihre Stärken wissen und sich in der digitalen Welt auskennen.“

Die "NewSchool" soll langsam wachsen

Das erste Lern-Projekt steht bereits fest. Die Schüler werden gemeinsam mit dem pädagogischen Team, zu dem derzeit neben Almut Röper Tutorin Kati Neumann, Mentor Thomas Wirtz und Sprecher Bastian Konaretzki gehören, ihre Schule einrichten und gestalten.

Noch ist der schöne große Raum in einem Neubau an der Gutenbergstraße 4 völlig leer. Es ist ein heller Raum, dessen Wände fast komplett aus Glas sind. Spreeblick inklusive. „Ob es hier bald eine Leseecke gibt, Sitzsäcke oder Bänke, Tische oder Arbeitsplatten, das hängt allein von den Jugendlichen ab“, sagt Schulleiterin Röper.

Die NewSchool soll langsam wachsen. Bis zum Ende dieses Schuljahres sollen insgesamt zwölf Schüler aufgenommen werden. „Bei der Anmeldung reicht es uns aber nicht, dass jemand mit seiner alten Schule nicht mehr zufrieden ist“, sagt Röper.

Die Jugendlichen müssten schon bereit sein, Verantwortung für sich selbst und ihren Erfolg zu übernehmen. Sie müssten im Team arbeiten wollen und viel Eigeninitiative mitbringen. Das ist auch für Schulgründerin Sabrina Heimig-Schloemer ausschlaggebend. Sie kommt aus der Digitalwirtschaft und kennt sich aus in der Start-up-Szene.

Seit 2011 kümmert sie sich zusammen mit ihrem Mann um die Finanzierung von Berliner Start-ups sowie um deren Vernetzung. Mit der NewSchool haben die beiden nun ihr eigenes Start-up auf den Weg gebracht. Erst vor kurzem hat ihnen die Bildungsverwaltung dafür die Genehmigung als staatliche anerkannte Ersatzschule für Schüler der Jahrgangsstufen sieben bis zehn erteilt.

Auf digitale Herausforderungen reagieren

Der Berliner Morgenpost sagt Sabrina Heimig-Schloemer, dass sie aus Gesprächen mit ihrer 13 Jahre alten Tochter aber auch mit vielen Eltern wisse, wie groß der Leistungsdruck an den Schulen sei. „Für Teamfähigkeit und Kreativität bleibt da keine Zeit mehr.“

Und noch etwas sei ihr wichtig. Die Welt verändere sich durch die Digitalisierung immer mehr. An den staatlichen Schulen würde diese Veränderung aber fast vorbei gehen. In der NewSchool sei die Nutzung digitaler Medien hingegen selbstverständlich.

„Viele Schüler verlassen die Schule und wissen überhaupt nicht, was sie machen sollen. Sie haben keinen Bezug zum Leben da draußen.“ Das wollen sie mit der neuen Schule anders machen. Dort könnten die Jugendlichen selbst entscheiden, mit welchen Projekten sie sich beschäftigen. „Das gibt dem Lernen wieder einen Sinn und bringt mehr Spaß.“

Auch die Betreuung sei intensiver. Ein Mentor würde bis zu zehn Kinder durch die gesamte Schulzeit begleiten und sehr genau wissen, wo jeder einzelne stehe, ob er zusätzliche Förderung brauche oder noch mehr Anregung.

Zehn Prozent des Bruttogehalts wird als Schulgeld fällig

Es gebe zwar keine Zensuren, trotzdem könnten Eltern jederzeit erfahren, was ihre Kinder gelernt haben, betont Schulgründerin Heimig-Schloemer. „Wir arbeiten mit einer Software, die es ermöglicht, die Kompetenzen, die Schüler in den einzelnen Projekten erwerben, mit den Erfordernissen des Rahmenlehrplans abzugleichen. Auf diese Weise ist immer zu sehen, welchen Wissensstand jeder hat.“

Eltern, die ihr Kind an der NewSchool anmelden wollen, müssen ein Schulgeld bezahlen, das zehn Prozent ihres Bruttogehalts beträgt. „Wer sich das nicht leisten kann, wird von Sponsoren unterstützt“, sagt Gründerin Heimig-Schloemer. Das sei ihr wichtig. „Wir wollen keine Elite-Schule sein.“

Zu den Projekten, an denen die Schüler der NewSchool in den nächsten Monaten arbeiten werden, könnte auch ein Street-Art-Projekt gehören. Tutorin Kati Neumann will es den Jugendlichen vorschlagen. „Dieses Thema gibt viel her“, sagt sie.

Zunächst müssten die Schüler in der Stadt herumfahren und herausfinden, wo Street-Art-Kunst – ob Malerei, Musik oder Performance – zu sehen ist. Dafür müssten sie sich das Verkehrsnetz genau ansehen und auch erkunden, wie viel Geld sie für Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr brauchen.

Außerdem müssten sich mit der Geschichte der Street-Art-Kunst beschäftigen, um dann auch eine eigene Botschaft entwickeln zu können. „Schließlich könnten sie aus alldem auch eine Performance machen, Einladungen dafür verschicken oder sogar einen Workshop durchführen, in dem sie ihr Wissen an andere Schüler weitergeben.“ Kati Neumann redet sich in Rage. „ Es ist doch erstaunlich, was alles an Lernstoff in einem einzelnen Projekt steckt“, sagt sie.