Sie ist 19 Jahre alt, macht gerade ihr Abitur an einem Gymnasium in Köpenick, hat gute Noten. Dennoch hat Fabia Schulz keinen Erfolg mit ihren Bewerbungen. Sie fordert das Schulfach Lebensvorbereitung.

Fabia Schulz ist 19 Jahre alt. Sie macht gerade Abitur am Merian-Gymnasium in Köpenick. Noch hat sie die mündliche Matheprüfung vor sich. Ingesamt wird es wohl ein zweier Durchschnitt werden, schätzt sie. Gute Chancen, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen, möchte man meinen. Doch Fabia hat bereits ganz andere Erfahrungen gemacht. „Ich habe schon in der 12. Klasse angefangen, mich zu bewerben“, sagt sie der Berliner Morgenpost. „Ohne Erfolg bisher.“

Und das bei mehr als 40 Bewerbungen, die sie geschrieben habe. Unter anderem habe sie sich bei der Gasag, bei Vattenfall, der BASF und der Allianz beworben. Fabia ist frustriert. „Ich dachte, mit Abitur ist es einfacher, einen Ausbildungsplatz zu bekommen“, sagt sie. Vielen ihrer Mitschüler gehe es ähnlich. „Einige haben sogar 70 Bewerbungen vorzuweisen und keine einzige Zusage.“ Fabia ist enttäuscht, auch von der Schule. „Wir haben so viel gelernt, was wir gar nicht brauchen. Nicht aber, wie man sich erfolgreich bewirbt.“

Erst vor einigen Monaten hatte eine 17-jährige Schülerin per Twitter kritisierte, dass die Schüler nicht auf das Leben vorbereitet werden und eine bundesweite Debatte darüber ins Rollen gebracht, was Schüler in der Schule lernen sollten.

„Es muss unbedingt ein Schulfach Lebensvorbereitung geben“, sagt auch Fabia. In diesem Fach sollten praktische Dinge gelehrt werden wie die Vorbereitung auf Bewerbungsverfahren und Tests. Viele Unternehmen würden Bewerbern solche Tests abfordern, sagt Fabia. „Wer den Test nicht besteht, ist sofort raus aus dem Bewerbungsverfahren.“ Der habe keine Gelegenheit mehr, seine Unterlagen einzureichen oder in einem Gespräch zu erzählen, warum er sich beworben habe und welche Kompetenzen er habe. Das sei ungerecht. „Ich komme gar nicht dazu, denen zu sagen, warum ich die Richtige wäre und sie von meinen Fähigkeiten zu überzeugen.“

Börse für freie Ausbildungsplätze

„Wie soll es weiter gehen, wenn den Schülern jede Chance, ins Arbeitsleben einzusteigen, gnadenlos erschwert wird“, fragt sich Fabia. Doch sie gibt nicht auf. Sie könnte jetzt einfach ein Studium anfangen, die Berechtigung dazu hat sie mit dem Abitur. Stattdessen will sie die Ausbildung finden, die zu ihr passt und bleibt dran.

Rica Kolbe, bei der Industrie und Handelskammer Bereichsleiterin Ausbildung, bestätigt, dass die Berufsorientierung an den Gymnasien zu kurz kommt. „Das ist seit Jahren bildungspolitisch ein großes Thema“, sagt sie der Berliner Morgenpost. Fabias Geschichte hält sie dennoch für einen Einzelfall. „Die Frage ist, wie gut die Schülerin über bestimmte Berufe informiert ist und wie gut ihre Bewerbungsunterlagen sind“, sagt sie. Kolbe empfiehlt Schülern wie Fabia, ein Berufsinformationszentrum zu besuchen. Dort gebe es Info-Veranstaltungen zu bestimmten Berufen. Außerdem könne man seine Bewerbungsunterlagen prüfen lassen. „Wenn jemand nicht sicher ist, welchen Beruf er ergreifen möchte, kommt das auch in den Anschreiben rüber.“ Das sei schon mal ein dicker Minuspunkt.

Gegenwärtig gebe es in der IHK-Lehrstellenbörse 1874 freie Ausbildungsplätze, sagt Rica Kolbe. Die Börse werde ständig überarbeitet. Sie zeige die bundesweite Situation an, man könne aber auch jedes Bundesland extra herausfiltern und sich dessen Angebote anschauen. „Bewerbungstests machen vor allem große Unternehmen, die sehr viele Bewerbungen bekommen“, sagt Kolbe. Kleinere und mittelständische Unternehmen würden darauf aber meist verzichten. „Da kann man hingehen und zeigen, wer man ist.“

Kolbe empfiehlt Schülern, die jetzt ihren Abschluss machen und noch keinen Ausbildungs- oder Studienplatz haben, dringend, die Tage der Berufsausbildung zu besuchen, die am 10. und 11. Juni in den Berlin-Hallen an der Luckenwalder Straße 4-6 in Kreuzberg stattfinden. „Für Schüler ist diese Berufsorientierungsmesse die beste Möglichkeit, Ausbildungsbetriebe persönlich kennenzulernen, sich vorzustellen und Bewerbungsunterlagen abzugeben“, sagt sie. Auf der Messe würden sich mehr als 100 Unternehmen präsentieren – aber auch Fachhochschulen und Universitäten. „Jeder kann dort mit seinen Bewerbungsunterlagen an die Unternehmen herantreten und direkt Kontakt aufnehmen.“ Diesen Rat will Fabia Schulz unbedingt befolgen.

„Insbesondere Gymnasien haben großen Nachholbedarf“

All diese Angebote würden die Schulen allerdings nicht aus der Verantwortung entlassen, sagt Kolbe. Schulen könnten und sollten ihre Schüler so gut wie möglich auf den Einstieg in das Berufsleben vorbereiten. „Insbesondere Gymnasien haben diesbezüglich großen Nachholbedarf.“ Die IHK Berlin bietet den Schulen deshalb Hilfe an. So gebe es den IHK-Kompetenzcheck. Der unterstütze Schüler bei der Einschätzung ihrer individuellen Stärken und Schwächen.

Etliche Schulen sind in Sachen Berufsförderung ihrer Schüler aber bereits auf gutem Weg – wie das Andreas-Gymnasium in Friedrichshain. Schulleiter Andreas Steiner sagt, dass seine Schule das einzige Berliner Gymnasium sei, das das Unterrichtsfach Studien- und Ausbildungsratgeber anbiete.

Das Fach werde in der neunten Klasse unterrichtet, wöchentlich eine Stunde. Ziel sei es, den Schülern dabei zu helfen, ihre Stärken und Schwächen herauszufinden. Darüber hinaus würden sie lernen, wie Bewerbungsverfahren ablaufen. „Wir sprechen natürlich auch darüber, wie Studium und Ausbildung in Berlin funktionieren und üben Vorstellungsgespräche“, sagt Steiner.