Berlins City West

Buden an der Gedächtniskirche sollen verschwinden

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Brigitte Schmiemann

Foto: Amin Akhtar

Spätestens nach der Sanierung des Alten Turms sollen die Holzbuden rund um die Gedächtniskirche in Berlin-Charlottenburg für immer abgebaut werden. Der Gemeinde entgehen dann jedoch wichtige Einnahmen.

Lange waren sie in der Debatte, jetzt ist es offensichtlich soweit: Die oft schon kritisierten Buden an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz müssen verschwinden. Sie seien baurechtlich unzulässig, sagt Stadtentwicklungsstadtrat Marc Schulte (SPD).

Die Baubehörde Charlottenburg-Wilmersdorf hat der Kirche deshalb jetzt die schriftliche Auflage erteilt, die Stände entfernen zu lassen. Laut Schulte gibt es auch die mündliche Absprache, dass spätestens nach der Sanierung des Alten Turms Schluss mit den Buden ist.

„Das ist auch mit dem Landesdenkmalamt so abgesprochen“, sagt Schulte. Der Bezirk habe die Verkaufsbuden, die vielen schon lange ein Dorn im Auge seien, auf dem Kirchenpodest seit den 90er-Jahren geduldet. Die Sanierung des Alten Turms habe die öffentliche Hand jetzt mit Millionen unterstützt. „Das war richtig und gut, aber jetzt muss das Denkmal auch wieder in Gänze zu sehen sein“, findet Schulte.

Pachteinnahmen fallen weg

Pfarrer Martin Germer steht damit vor einem Problem. „Wir brauchen einen Ersatz für die dann fehlenden Einnahmen“, betont Germer. Durch die Pachteinnahmen aus den Marktständen, die nie für bauliche Aufgaben verwendet worden seien, könne die Kirche einen nicht unerheblichen Teil der 200.000 Euro jährlichen Betriebskosten begleichen. Dazu zähle auch der Strom, mit dem die Kirche ihr blaues Licht in die Stadt schicke. Die Kirche, die täglich geöffnet sei und von vielen Touristen besucht werde, müsse schließlich auch beheizt werden, sagt Pfarrer Martin Germer. Licht, Wasser, Heizung, Straßenkosten, allein die Reinigung des 4500 Quadratmeter großen Grundstücks, all das koste ein Mehrfaches von dem, was die Kirche an Pachteinnahmen durch den Markt erziele.

20 Händler betreiben die Stände an der Gedächtniskirche. Sie verkaufen dort Curry-Wurst, Crepes, T-Shirts und Andenken. Marktchef Mohamed El Genedy sorgt bereits seit 13 Jahren dort darum, dass alles reibungslos abläuft. „Wir kümmern uns aber nicht nur darum, dass es dort ordentlich aussieht. Der Platz ist inzwischen auch kein gefährlicher Ort mehr, weil wir dort aufpassen“, sagt El Genedy.

Bevor die Verkaufsstände vor 15 Jahren auf das Podest rund um die Kirche gestellt wurden, galt der Breitscheidplatz als Treff von Dealern und Junkies. Dass das Urinieren in die Ecken des denkmalgeschützten Kirchenensembles im Gegensatz zu damals heute eine Ausnahme ist, ist laut Pfarrer Germer ebenfalls dem Treiben der Markthändler zu verdanken.

Händler bangen um ihre Existenz

Die meisten der Händler sind laut El Genedy schon von Anfang an dabei. „Und die meisten von uns haben Familie. Etwa 220 Menschen leben insgesamt von den Einnahmen“, sagt der Marktleiter. Auch sein Herz hänge an dieser Arbeit. Doch der Pachtvertrag laufe Ende des Jahres aus. Man könne doch neue Buden anschaffen, wenn es nur um das Aussehen gehe, oder sie um die Hälfte reduzieren und sie dann mehr in die Ecken stellen, wo sie weniger auffallen, schlagen die Händler vor. Sogar mobile Verkaufsstände, die immer sonnabends abgebaut werden könnten, seien möglich. Sie würden auch mehr Geld an die Kirche zahlen, um die Marktstände weiter betreiben zu dürfen, sagt El Genedy.

Das Problem, dass die Händler arbeitslos werden, sieht auch Pfarrer Martin Germer. Er fragt sich zudem, wer dann künftig für die Sicherheit und Ordnung auf dem Breitscheidplatz sorgen soll. Der Bezirk hat nach Ansicht von Germer eine Mitverantwortung, um all die Fragen zu klären. Denn schließlich nutzten Besucher der Stadt diesen Ort.

Reinigung des Podestes wird teuer

Allein die tägliche Reinigung des Podestes, für die jetzt noch die Markthändler sorgen, würde die Kirche teuer zu stehen kommen. 28.000 Euro lautet ein Angebot, das Germer von einer Firma eingeholt hat. Das ist die Summe, die Germer für die 3100 Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche an Kirchensteuermitteln pro Jahr von der Landeskirche erhält. Hinzu kommen 80.000 Euro für besondere Aufgaben. Doch selbst die zweite Pfarrstelle müsse über Spenden-Einnahmen finanziert werden. Wenn die Turmsanierung voraussichtlich im kommenden Frühjahr beendet wird, stehen die nächsten Bauarbeiten bereits an: Der Belag auf dem Podium sowie die Stufen müssen dringend saniert werden.

Eintritt zu nehmen, wie es manch andere Gemeinden machen, schließt Germer definitiv aus. „In Deutschland ist das sehr unüblich und stößt auf viel Verärgerung“, sagt er. Hinzu komme auch, dass dies bei der Gedächtniskirche schon aus organisatorischen Gründen nicht möglich sei: „Wir haben mehrere Gebäude, wo sollen wir dort Eintritt nehmen?“ Außerdem sei es gerade das Markenzeichen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, dass jeder kommen könne. Die Kirche sei täglich von 9 bis 19 Uhr geöffnet. Nicht nur sehr viele Touristen schätzten die Stille der Kirche zum Innehalten. Auch Obdachlose nutzten den warmen Kirchenraum für ein Schläfchen in Ruhe und Geborgenheit.

Kirche will Café eröffnen

Noch in dieser Woche wollen sich Stadtrat Schulte und Pfarrer Germer zusammensetzen, um die Probleme zu besprechen. Thema wird dabei auch der Wunsch der Kirche sein, im Foyer-Gebäude ein Café einzurichten. Schulte hat für die wirtschaftliche Nutzung Verständnis. Doch der Denkmalschutz habe Bedenken, wenn das Gebäude für den Cafébetrieb geöffnet werden müsste.

Das Prinzip des Architekten Egon Eiermann, in den Gebäuden durch doppelte Wände Ruhe und Besinnung im Innern zu ermöglichen, würde durch die Umgestaltung angegriffen, argumentiert Schulte. In der Kirche sorge die Doppelwandigkeit mit einem Hohlraum zwischen Außen- und Innenwand für eine Geräuschdämmung des Straßenlärms. Das sei beim Foyer auch so. Das Gebäude gehöre wie alle Kirchengebäude auf dem Breitscheidplatz zum denkmalgeschützten Ensemble.

Gastronomie statt Parkplätze

„Ich habe Verständnis dafür, dass die Kirche das Foyer wirtschaftlich nutzen will“, sagt Schulte. Dennoch vertritt er die Ansicht, dass die Landeskirche die Gemeinde mehr unterstützen sollte. Der Bezirk sei „gern bereit, einen Teil des Breitscheidplatzes für einen Cafébetrieb nutzbar zu machen“. Dann sollten aber auch die zehn Parkplätze der Kirche direkt auf dem Platz für Cafébesucher freigegeben werden.

Das sieht Pfarrer Germer kritisch. Die Plätze würden zum Parken benötigt. Beispielsweise von Musikern mit Instrumenten, wenn sie in der Kirche Konzerte geben. Für solche Transporte müsse es eine Parkmöglichkeit geben. Beim Problem mit dem Denkmalschutz glaubt Germer zudem, dass es dafür einen architektonischen Kompromiss gibt.

Und sollten sich Kirche und das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf darüber verständigen, dass die Buden auf dem Breitscheidplatz nach dem Weihnachtsmarkt abgebaut werden müssen, hoffen die Markthändler, woanders weitermachen zu können: „Wenn es wirklich nicht mehr geht, hoffen wir, dass der Bezirk uns irgendwo anders unterbringt“, sagt Marktchef El Genedy.