2004 gründete Designer Kilian Kerner sein gleichnamiges Label in Berlin. Kaum zu glauben: Das ist zehn Jahre her. Seither hat er eine gewaltige Entwicklung erlebt. Ein Treffen zum Jubiläum im Atelier.

Er ist einer der Headliner bei jeder Fashion Week in Berlin: Wenn Kilian Kerner zwei Mal im Jahr seine neue Kollektion auf dem Hauptstadt-Laufsteg präsentiert, sind ihm prominente Gesichter wie Franziska Knuppe, Anna Maria Mühe, Jella Haase und Max Riemelt in der Front Row sicher. Zum zehnjährigen Geburtstag seines Labels erinnert sich der gebürtige Kölner an chaotische erste Shows, Modesünden und schönste Momente.

Berliner Morgenpost: Wie viele Leute arbeiten mittlerweile für Sie?

Kilian Kerner: Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht genau. In den Hochphasen haben wir zusätzlich viele Freiberufler hier, die nur kurz bleiben. Und ich habe mich im April aus dem geschäftlichen Part zum größten Teil zurückgezogen. Nach zehn Jahren wollte ich das nicht mehr. Wenn man mehr Geschäftsmann als Modedesigner ist, dann läuft etwas falsch. Das wurde im Laufe der Jahre einfach zu viel. Ich mache acht Kollektionen im Jahr - zwei Marken, jeweils Männer und Frauen.Ich entwerfe jedes Teil selber, das ging einfach nicht mehr. Wenn man nur noch arbeitet und alles andere ausblendet, ist das nicht mehr gesund. Und dann habe ich gedacht, so möchte ich nicht alt werden. Ich habe lange nach einem jemanden gesucht der das Schiff lenken kann, jetzt habe ich jemanden gefunden, zu dem ich Vertrauen habe.

Heißt das, Sie gönnen Sich jetzt ein bisschen mehr Freizeit?

Vielleicht arbeite ich jetzt eine bisschen weniger. Ich nehme mir auch mal einen Tag frei. Aber im Grunde ist meine Arbeit jetzt einfach anders aufgeteilt. Ich kann mich darauf konzentrieren, die Kollektionen zu entwerfen, anstatt neun von zehn Stunden andere Probleme zu lösen und das Tagesgeschäft komplett mitzugestalten. Der Druck im Kopf lässt dadurch nach.

Wie viel wussten Sie über das Führen eines Unternehmens, als Sie vor zehn Jahren angefangen haben?

Ich war damals total unbedarft. Ich hatte damals ja noch nicht mal viel Ahnung von Mode. Andere gehen auf eine Modedesign-Schule, ich habe es eben einfach so gemacht. Und irgendwann wird man von einer Einzelfirma zu einer GmbH,plötzlich eine AG mit meinem Namen, dann geht man mit der Firma nach England ... Ich war 25, als ich angefangen habe, das konnte ich damals alles gar nicht absehen. Das ist Schritt für Schritt passiert.

Warum wird man Modedesigner, wenn man keine Ahnung von Mode hat?

In meiner Anfangszeit habe ich mich selber gar nicht als Modedesigner bezeichnet. Ich habe gesagt, ich mache Kleidung. Das hat sich erst etwa 2008 geändert, als ich zum ersten Mal auf der Fashion Week gezeigt habe. Es hat mir zuerst einfach Spaß gemacht. Und das Designen hat mich diszipliniert. Die letzten zehn Jahre waren für mich ein Rausch, in denen mich kaum noch etwas anderes interessiert hat. Als ich Schauspiel studiert habe, habe ich angefangen, Klamotten für mich zu machen. Die wollten dann irgendwann auch andere Leute haben. Ich bin damals jeden Sonntag ins GMF gegangen und eine Freundin von mir hat dort immer etwas von mir angehabt. Irgendwann hat mich jemand gefragt, ob ich nicht im GMF eine Modenschau machen will und dann bin ich durch die Clubs gelaufen und habe Leute gefragt, ob sie für mich modeln wollen. Das war so 2003/2004. Aber die meisten Leute aus der Mode-Szene, die ich damals kennengelernt habe, fand ich so merkwürdig, dass ich dachte, das ist nichts für mich. Also habe ich wieder aufgehört. Das kam mir alles verlogen und unehrlich vor, noch schlimmer als in der Schauspielerei. Aber dann habe ich mich doch überreden lassen, noch eine Show zu machen. Und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass etwas mit mir passiert ist. In der Schauspielschule war ich sehr undiszipliniert. Manchmal bin ich hingegangen, manchmal eben nicht. 2004 hat sich für mich innerhalb von drei Wochen alles verändert. Ich bin morgens aufgestanden und habe nicht mehr bis mittags geschlafen. Ich habe auf einmal Tag und Nacht gearbeitet. Mich hat keine Party mehr interessiert, ich wollte lieber eine Hose fertig kriegen, als mich mit Freunden auf einen Kaffee zu treffen. Wenn ich davor Texte lernen musste und es hat mich jemand angerufen und gefragt, ob wir einen Kaffee trinken gehen, dann bin ich immer lieber Kaffee trinken gegangen.

Haben Sie noch Kollektionsteile aus dieser Zeit?

Nein. Es gibt vielleicht eine Hose, die irgendwo bei mir zu Hause rumfliegt. Ansonsten bin ich da schmerzfrei und hänge nicht so an Materiellen Dingen. Meine Freunde haben sicher mehr Teile ich selber. Ich glaub, ich habe nicht mal mehr viele Fotos Erst seit der Fashion Week in Berlin wird ja alles im Internet Archiviert. Da findet man so einige Sünden.

Was war denn die größte modische Sünde Ihrer Karriere?

Es gibt eine ganze Kollektion, die eine Sünde war. Das war die zweite Kollektion, die ich auf der Fashion Week gezeigt habe.Das ist grauenvoll. Aber das war auch eine schwierige Zeit. Ich habe das Label damals komplett selber finanziert und eine Kooperation nach der anderen gemacht. Unter anderem mit einer Marke aus England, die mich in den Wahnsinn getrieben hat. Das war das Anstrengendste und Bescheuertste, was ich jemals gemacht habe. Und das auch noch für sehr wenig Geld. Aber ich war darauf angewiesen. Heute würde ich mir das nicht mehr gefallen lassen. Wir hatten dann mit zwei Mitarbeitern und drei Praktikanten für 60 Outfits der Kilian Kerner Kollektion nur noch sechs Wochen Zeit. Und das hat man halt gesehen. Da hat nichts gesessen. Das war ganz schrecklich. Heute denke ich, ich hätte die Show lieber absagen sollen. Damals hatten wir keine andere Möglichkeit. Wir haben zu dieser Zeit oft im Atelier geschlafen, weil es sich nicht gelohnt hätte, für zwei Stunden nach Hause zu gehen. Das hatte auch seinen Reiz, aber eigentlich war es der Horror.

Und Ihre Lieblingskollektion?

Das sind zwei. Einmal die Kollektion "Leg dich neben mich" in Pink-Schwarz von 2011/2012. Die Kollektion war maßgeblich, für alles, was danach kam. Und die Kollektion, die wir jetzt im Sommer gezeigt haben. Trotzdem gibt es auch heute noch ganz wenige Teile, die ich wirklich behalten will. Ich hänge nicht an materiellen Dingen. Ich habe überhaupt keine Ahnung, was bei uns gerade alles noch im Keller hängt.

Wann haben Sie gemerkt, dass es wirklich bergauf geht?

Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, den Gedanken, dass wirklich etwas passiert, hatte ich so 2011, als wir nach England gegangen sind. Das war ein riesen Schritt, vor allem, was die Produktionsmenge angeht. Das war wie ein D-Zug, der einfach nur noch gefahren ist. Die vergangenen drei Jahre waren schon sehr nervenaufreibend.

Fühlen Sie sich heute in der Branche wohler?

Ich habe zwar in der Fashion-Week-Zeit viel damit zu tun, stelle mich dann auch darauf ein und treffe dort auch tolle Menschen. Aber in meinem Privatleben gibt es nur eine Person, die auch etwas mit Mode zu tun . Das möchte ich auch nicht. Ich will abschalten können.

Wie hat sich die Branche in Berlin seit Ihrer ersten Fashion Week entwickelt?

Ich finde, alles ist professioneller geworden. Deshalb ist es auch schade, dass die Mode in Berlin von den Medien immer noch sehr belächelt wird. Das ist manchmal recht unverschämt. Wie sich alle darüber aufgeregt haben, dass sie nach Wedding fahren mussten. Darüber musste ich wirklich lachen. Das Brandenburger Tor ist mir so was von egal. Als ich dieses Mal die Location gesehen habe, war ich geflasht davon, was sie daraus gemacht haben. Aber das hat die Leute alles nicht interessiert, sie mussten ja nach Wedding fahren. Dabei tun sie sonst immer so, als wäre Wedding gerade total hip. Ich glaube, in Paris würde das nicht passieren, dass sich jemand beschwert, dass er 20 Minuten zur nächsten Show fahren muss. Ich habe das Gefühl, es gibt bei uns diese Hau-drauf-Mentalität, einfach nichts aus Deutschland gut zu finden. Das ist sehr ermüdend. Irgendwann sagte mal eine Bloggerin zu mir: Ihr seid doch alle nicht auf dem Niveau von dem, was in Paris gezeigt wird. Da habe ich zu ihr gesagt: Und wer bist du? Anna Wintour? Damit war das Gespräch beendet.Für uns war die Show in Wedding bisher die erfolgreichste.

Die Diskussion darüber, warum auf der Fashion Week in Berlin keine internationalen Labels zeigen, ist in Ihren Augen also auch überflüssig?

Auf jeden Fall. Wir zeigen eben hier. Ich fand den Termin immer blöd. Zu der Zeit sind Haute-Couture-Schauen in Paris, deshalb kommt wenig internationale Presse , auch wenn sie es super hier finden. Da ist eben die Frage Chanel oder Berlin. Die nächste Fashion Week ist aber besser gelegt. Karl-Heinz Müller hat sich da ein bisschen ins eigene Fleisch geschnitten. Ich finde es ganz toll, dass sich jetzt mal nicht alle nach Karl-Heinz Müller richten müssen, obwohl ich großen Respekt vor seiner Arbeit mit der Bread & Butter habe.

Wie wird denn deutsche Mode im Ausland wahrgenommen?

Die Reaktionen sind super. Vielleicht sind die da offener als die Deutschen.

Wie wichtig sind Prominente in Ihren Kleidern und in der Front Row für das Image von Kilian Kerner?

Das ist schon wichtig. Deshalb muss man auch sehr darauf achten, wer es ist. Die geben mir ein Image und andersherum. Ich möchte immer eine Verbindung zu den Leuten haben und das gut finden, was sie machen. Es gibt mehr Prominente, bei denen ich es ablehne, sie einzukleiden, als andersherum. Für mich spielt es keine Rolle, wie bekannt jemand ist. Es muss einfach passen. Trotzdem verkauft man in Deutschland nicht mehr, weil ein Prominenter die Sachen trägt. Das ist nicht wie in England oder Amerika, wo manche Promis nur eine Tüte anhaben müssen und die gibt es am nächsten Tag nicht mehr. Mir macht es aber auch Spaß mit Schauspielern zu arbeiten, weil ich mich sehr zu diesen Menschen hingezogen fühle. Die sind alle ein bisschen verrückt und eigen. Und ich habe das selber lange gemacht und fühle mich dort zu Hause.

Gibt es eine Lieblingserinnerung aus zehn Jahren?

Die erste Fashion-Week-Show zum Beispiel. Auch wenn ich die Kollektion heute so nicht mehr zeigen würde und ich am letzten Tag um elf Uhr dran war und mich niemand ernst genommen hat. Ich war gerade ganz frisch verliebt und er saß in der Show. Das war ein sehr besonderer Tag. Oder das erste Mal auf der Fashion Week in London. Das war grandios. Und als wir dort den ersten Store aufgemacht habe. Oder als wir in Berlin den ersten Store aufgemacht haben. Das Ikonen Projekt hat auch eine große Bedeutung für mich Leider hat man in diesen Momenten nie die Zeit, das zu genießen. Es ging immer sofort einen Schritt weiter.

Haben Sie eine Idee davon, wie die Frau aussieht, die Ihre Kleider trägt?

Der größte Teil ist auf jeden Fall im Alter 40+ die bei uns einkaufen. Viele Lehrerinnen, Rechtsanwältinnen, Ärztinnen. Frauen, die sich sehr gut kennen, die auf den Tisch hauen können und trotzdem sehr zart sind und berufstätig sind. Eigentlich ist es eine Franzi Knuppe. Die jetzt 40 wird, aber immer noch aussieht wie 28. Die ein Kind hat wahnsinnig professionell und auf dem Punkt ist und arbeitet wie eine Verrückte.

Ist das auch die Frau, die Sie beim Entwerfen vor Augen haben?

Ja. Ich habe zwar kein Alter im Kopf, aber ein bestimmtes Frauenbild. So entwerfe ich auch. Ich mag es zum Beispiel lieber, wenn Knie bedeckt sind. Ich finde kurze Röcke und tiefe Ausschnitte gar nicht sexy. Das finde ich ganz selten schön.