Berlin. Umwelt- und Enteignungsaktivisten wollen bei der Verwendung von fünf Milliarden Euro Klima-Sondervermögen mitbestimmen.
Die Botschaft an den Berliner Senat ist unmissverständlich: „Ihr habt’s verkackt und alle wissen’s“, steht auf dem vor dem Roten Rathaus aufgebauten Podium. Fridays for Future hat am Donnerstag gemeinsam mit den Initiativen Deutsche Wohnen & Co Enteignen, Changing Cities, Klimaneustart und Volksentscheid Berlin autofrei zur Pressekonferenz geladen. Zentrale Forderung: Die geplanten Mittel für das Sondervermögen Klimaschutz nicht für andere Zwecke auszugeben.
Für die Verwaltung der vorgesehenen zunächst fünf Milliarden Euro brauche die Hauptstadt außerdem eine Klima-Taskforce, sagte die Aktivistin Luisa Neubauer am Donnerstag vor dem Roten Rathaus. „Wir sehen, dass dieses Klimasondervermögen droht, das gleiche Schicksal zu erleiden wie der Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung“, sagte Neubauer. „Man macht große Geldversprechen, und wenn es dann darauf ankommt, sie einzusetzen, stellt man fest, dass man damit lieber eine Rückwärts- als eine Vorwärtspolitik finanzieren möchte.“
„Kein Klimavermögen für marode Polizeigebäude“
Misstrauen sei geboten, weil aus Senatskreisen bereits verlautete, dass mit dem Sondervermögen etwa auch marode Polizeigebäude ausgebaut werden sollen. „Die Polizei kann aber das Klima nicht schützen“, so Neubauer weiter. Dies sei kein sachgerechter Einsatz des Sondervermögens. „Wir fordern deshalb ganz nachdrücklich den Einsatz einer Klima-Taskforce, die dieses Sondervermögen mit Expertise und Kenntnis einsetzt und verwaltet“, so die Klimaschutz-Aktivistin. „In dieser Klima-Taskforce sollen Expertinnen und Experten vertreten sein, die zum Beispiel beziffern können, wo denn eigentlich die Emissionen in Berlin entstehen, wie die Mittel bestmöglich, effizient, gerecht, sozial und nachhaltig eingesetzt werden.“

In der Taskforce sollten auch Vertreterinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft beteiligt werden, so Neubauer weiter. Diese wüssten schließlich am besten aus eigener Erfahrung, wo es hakt. Die Taskforce solle auch die Möglichkeit bekommen, darüber zu verfügen, dass diese Maßnahmen tatsächlich auch kommen, sagte Neubauer. „Es gibt weltweit Beispiele, wo das sehr gut funktioniert, und es wäre höchste Zeit, dass die Berliner Politik das anerkennt, ihr fehlt offensichtlich der Wille oder die Kompetenz, das Sondervermögen vernünftig einzusetzen.“
Kritik an Verkehrspolitik des Senats
Scharfe Kritik übten auch die Initiativen Changing Cities und Berlin autofrei. Sie hielten dem vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) geführten schwarz-roten Senat einen Rückfall in die Zeiten der autogerechten Stadt vor. Insbesondere Verkehrssenatorin Manja Schreiner attestierten sie, Fortschritte beim Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs sowie der Verkehrssicherheit für Fußgänger und Radfahrer bewusst ausgebremst zu haben.
Stefan Zimmer von Klimaneustart erinnerte daran, dass die Verkehrssenatorin bereits verabredete Radwege-Projekte zunächst gestoppt und auf den Prüfstand gestellt und erst nach heftigen Protesten aus der Stadtgesellschaft wieder weitgehend aufgenommen habe. „Auch der Tramausbau wird durch eine erneute Überprüfung bewusst verschleppt“, so Zimmer weiter.
Als Beispiele nannte er die weitgehend durchgeplante Verlängerung der Linie M10 zum Hermannplatz oder der M4 zum Potsdamer Platz, die den Verkehr auf der Leipziger Straße entlasten würde. Stattdessen setze die Koalition auf den Ausbau der U-Bahn. „Bis eine neue U-Bahn-Strecke tatsächlich kommt, dauert es aber mindestens 25 bis 30 Jahre“, so Zimmer So lange könne Berlin nicht warten.
Deutsche Wohnen & Co. enteignen spricht von Rückschrittskoalition
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ bezeichnete den Senat ebenfalls als Rückschrittkoalition und warf ihm vor, dass es inzwischen klar sei, dass er die Vergesellschaften großer Wohnungsunternehmen nicht umsetzen wolle. Dabei habe sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt erheblich verschlechtert. Die Konzerne pressten Mieterinnen und Mieter in Krisenzeiten aus wie selten zuvor.
Deutsche Wohnen & Co. enteignen gab zudem am Donnerstag bekannt, per Crowdfunding 87.365 Euro innerhalb eines Monats gesammelt zu haben. „Das Geld werden wir nutzen, um ein wasserdichtes Gesetz zu erarbeiten, das den Willen von mehr als einer Million Berlinerinnen und Berliner endlich umsetzt“, sagte Sprecherin Veza Clute-Simon. Das vom Senat angekündigte Rahmengesetz sei wirkungslos und reine „Verschleppungstaktik“, so die Sprecherin weiter.
Senat lobt sich dagegen für 29-Euro-Ticket und Klimaschutz
Erst vor zwei Wochen hatten sich der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sowie seine Stellvertreter Franziska Giffey (SPD) und Stefan Evers (CDU) selbst eine positive Bilanz ihres ersten Halbjahrs gezogen. Viele der Vorhaben, die unter dem Motto „Anpacken für Berlin“ im Juni 2023 im Rahmen eines Sofortprogramms beschlossen wurden, seien angegangen oder auf den Weg gebracht worden.
Als Beispiel gerade im Bereich Klimaschutz und Verkehr nannten sie das 29-Euro-Ticket, dessen Wiedereinführung zum ersten Halbjahr 2024 der Senat jüngst beschlossen hat. Finanzsenator Evers verwies unter anderem auf den Landeshaushalt 2024/2025 und das fünf Milliarden Euro umfassende Sondervermögen für zusätzliche Investitionen in den Klimaschutz. Beide Vorhaben beschließt das Abgeordnetenhaus voraussichtlich im Dezember.
Finanzsenator Stefan Evers (CDU) nimmt die Kritik gelassen. Über den Einsatz des Klima-Sondervermögens „geht ja letztlich nichts ohne das Parlament“, so Evers. Zudem erarbeite die Umweltverwaltung die Parameter, was mit den Mitteln „geht und was nicht geht“. Vorschläge zur Verwendung würden etwa die Bezirke und die Fachverwaltungen machen: „Insofern wird es an Gremien nicht mangeln“, sagte der Senator der Berliner Morgenpost.