Berlin. Berlins Energieunternehmen legen gemeinsam los: Bis 2030 sollen die Kraftwerke ans grüne Energienetz angeschlossen sein.
Mit Superlativen und historischen Vergleichen wurde nicht gespart, als führende Energiemanager und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag die Pläne für ein Berliner Wasserstoff-Startnetz präsentierten. „Berlin ist noch ein unbeschriebenes Blatt auf der Wasserstoffkarte“, sagte die Senatorin. Die jetzige Situation sei „vergleichbar mit einem Punkt vor mehr als 100 Jahren“, als die ersten Elektrizitäts- und Gasnetze aufgebaut worden seien.
„Wir fangen jetzt an, ein Netz zu bauen, mit dem eine dekarbonisierte Energieversorgung passieren kann“, umriss die ehemalige Regierende Bürgermeisterin die Bedeutung des Vorhabens: „Berlin wird nicht klimaneutral, wenn die Wärmeversorgung es nicht ist.“ Wasserstoff, der mit Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt werde, diene dabei als sauberer Kraftstoff.

„Grüner Wasserstoff wird das Transport- und Speichermedium der Zukunft sein“
Erneuerbare Energien erzeugten in der Regel Strom, also Elektronen, erläuterte Gasag-Chef Georg Friedrichs. Diese müsse man dann nutzen, wenn sie produziert werden. Der Schlüssel, um das auszugleichen, sei eine Umwandlung in Moleküle, also in grünen Wasserstoff. „Das wird das Transport- und Speichermedium der Zukunft sein“, sagte Friedrich: „Es wird uns helfen, die Sonne in den Winter zu bringen und saubere Energie zu importieren.“
Das vom Bund konzipierte Wasserstoff-Transportnetz solle „Berlin in die Mitte nehmen“. Deshalb gebe es eine „große Chance, dass wir 2030 einen Anschluss haben“, so der Manager, dessen Unternehmen spätestens 2040 kein Erdgas mehr liefern möchte. „Wir müssen uns sputen, damit wir hier dann die Infrastruktur haben.“
In der Gas-Krise hat sich die Kooperation der Berliner Energieunternehmen verbessert
Pläne für die große Transformation erarbeiten die Energieunternehmen schon länger. Neu ist, dass der Ausfall der Gaslieferungen aus Russland sie zu noch engerer Kooperation zwingt. Und dass der Politik, die sich den Abschied von fossilen Brennstoffen für spätestens 2045 auf die Fahnen geschrieben hat, nun wirklich die Zeit davonzulaufen droht. Zudem setzt sich bundesweit die Erkenntnis durch, dass Deutschland sich nicht klimaneutral wird versorgen können, wenn es nicht auch erneuerbare Energien in größerem Stil importiert. Und das geht mit Wasserstoff-Pipelines deutlich effizienter als etwa mit Stromtrassen.
Bis 2030 sollen die Vattenfall-Heizkraftwerke ans Wasserstoffnetz angeschlossen sein
Darum sind auch dem neuen Senat die Pläne der Energieversorger hochwillkommen. In drei Phasen planen sie den Aufbau eines Wasserstoffnetzes. Zunächst sollen bis 2030 zwei zusammen 60 Kilometer lange Leitungen von Nordosten und von Südwesten her die fünf großen Heizkraftwerke der noch Vattenfall gehörenden Berliner Fernwärme anbinden. „Wir sprechen über Infrastrukturen, die schon bestehen und in der Erdgaswelt genutzt werden. Sie sind aber zu 100 Prozent wasserstofffähig“, sagte Maik Wortmeier, Chef der Gasag-Tochter Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg, die die Gasverteilnetze in der Region betreibt.
Deswegen hielten sich die Investitionen zunächst im Rahmen, die Umstellung ließe sich aus der normalen Netz-Unterhaltung bezahlen. Bisher steckt die NBB jährlich rund 100 Millionen Euro in ihre Netze in Berlin und dem Umland. Da das Berliner Gasnetz in Maschen organisiert sei, könnten auch die an der neuen Wasserstoff-Trasse gelegenen Erdgaskunden für den Übergang weiter mit dem herkömmlichen Brennstoff versorgt werden. Das sei aber auf dem Land meistens nicht möglich, sagte Wortmeier.
Der Gasnetzbetreiber NBB kann vorhandene Leitungen für Wasserstoff nutzen
Vattenfall steht als Kunde für große Mengen Wasserstoff bereit. Die Kraftwerke des Strom- und Wärmeversorgers machten gut die Hälfte des Erdgasverbrauchs in Berlin aus, die durch Wasserstoff ersetzt werden könnte, sagte Martin Debusmann von Vattenfall. Allerdings seien zweistellige Millionensummen pro Kraftwerk nötig, um die Bestandsanlagen auf Wasserstoff als Energiequelle umzustellen.
In der zweiten Phase sollen dann größere Industriekunden oder auch Wohnquartiere mit einem Energiebedarf von mehr als 30 Megawatt angeschlossen werden. Hierfür würden 150 Kilometer Wasserstoff-Leitungen benötigt, hieß es. Die beiden ersten Schritte sich auch bereits möglich, solange Berlin ebenso wie andere Städte an einer kommunalen Wärmeplanung arbeitet. Diese soll festlegen, welche Gebiete der Stadt künftig über welchen Energieträger und welche Konzepte erschlossen werden sollen. In einer dritten Phase sollten dann die „Adern“ des Netzes engmaschiger über die Stadt gezogen werden und auch kleinere Verbraucher angehängt werden.
Siemens plant in der Stadt eine Fabrik für Elektrolyseure, sagt Senatorin Giffey
Die Energiemanager zeigten sich zufrieden, dass der Fernwärmegipfel der Bundesregierung in dieser Woche weitere Förderungen für die Kraft-Wärme-Koppelung in Heizkraftwerken und für den Netzausbau in Aussicht gestellt habe. Senatorin Giffey kündigte an, die Transformation auch mit Landesgeld aus dem von der schwarz-roten Koalition geplanten Sondervermögen für Klimaschutz unterstützen zu wollen. Von den zunächst vorgesehenen, auf Pump finanzierten fünf Milliarden Euro sollte ein Teil für die Wasserstoff-Netze eingesetzt werden.
Nun sei es die große Herausforderung, genügend grünen Wasserstoff zur Verfügung zu stellen, sagte Giffey. In der Branche wird aber damit gerechnet, dass angesichts einer gesicherten Abnahme nun vor allem im Ausland mit viel Sonne schnell Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Auch in Berlin soll in Marzahn eine Wasserstoff-Fabrik entstehen. Und Siemens plant nach Giffeys Angaben in der Stadt eine „Gigafabrik“ für Elektrolyseure, also jene Apparate, die aus Strom und Wasserstoff erzeugen.