Berlin. Klimaaktivisten der “Letzten Generation“ wollen Berlin auf unbestimmte Zeit lahmlegen. Was ab Mittwoch geplant ist.
Der Ort ist dann doch etwas ungewöhnlich für eine Pressekonferenz dieses Anlasses: Die spätklassizistische St.-Thomas-Kirche am Mariannenplatz in Kreuzberg. Zwischen Orgel und Sitzreihen treten um 10 Uhr fünf Mitglieder der „Letzten Generation“ vor Journalisten. Es geht um die anstehenden Proteste in der Hauptstadt. Ab Mittwoch will die Gruppierung eine großangelegte Serie von Aktionen in dieser Stadt durchführen. Sie sind in mehreren Schritten geplant – letztlich will die Gruppierung den Stillstand der Stadt erreichen und das auf unbestimmte Zeit. Geht es nach den Klimaaktivisten, haben sie dafür reichlich Unterstützung – die ist aber zumindest zweifelhaft.
Die „Letzte Generation“ werde ihre Proteste „entschlossen und kreativ in Berlin starten“, sagte Irene von Drigalski, eine Sprecherin der Gruppierung. Dabei werde sich die Gruppierung bis Ende der Woche auf das Regierungsviertel konzentrieren. Für den anstehenden Sonntag, 15 Uhr, sei eine Versammlung am Brandenburger Tor geplant. Die Kundgebung steht unter dem Motto: „Klimakollaps verhindern – Grundrechte schützen!“ und ist eine der wenigen angemeldeten Aktionen der Gruppierung. Sie ist von der Versammlungsbehörde genehmigt.
160 Menschen täglich sollen Berlin blockieren
Ab Montag wolle man versuchen, die Stadt „friedlich zum Stillstand zu bringen“, so von Drigalski. Wie die Aktionen aussehen sollen, ließ sie unbeantwortet. Nach Informationen der Berliner Morgenpost wollen die Aktivisten in einer ersten großen Protestwelle vom 24. bis 28. April täglich 160 Menschen auf die Straße schicken. Nach einer Pause sollen weitere Aktionen vom 1. bis 5. Mai durchgeführt werden. Laut Carla Hinrichs, ein der Gesichter der Bewegung, soll der Protest stören und den Alltag unterbrechen. „Wir werden die Stadt friedlich zum Innehalten bringen“, sagte sie.
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In der Vergangenheit setzte die „Letzte Generation“ auf Straßenblockaden. Mitglieder klebten oder betonierten sich an den Asphalt und sorgten für lange Staus. Aber es gab auch andere Aktionen: Sie klebten sich an teure Gemälde, sprühten Farbe auf das Verkehrsministerium oder sägten die Spitze eines Weihnachtsbaums ab. Zuletzt kam eine weitere Form des Protests hinzu: Protestmärsche. Dabei laufen die Aktivisten auf Straßen und unterbrechen so den Verkehr, sogar Autobahnen schließen sie nicht aus.
Protestmarsch in Kreuzberg am Mittwoch geplant
Doch was kommt ab Mittwoch konkret auf die Berliner zu? Wie aus internen Nachrichten hervorgeht, die der Berliner Morgenpost vorliegen, soll die Protestwelle mit einem ebensolchen Protestmarsch starten. Am Mittwoch planen die Mitglieder der „Letzten Generation“ von 9 bis 11 Uhr ein Frühstück in der St.-Thomas-Kirche. Anschließend wollen sie mit „einem friedlichen Protestmarsch“ vom Mariannenplatz in Kreuzberg aus aufbrechen und den Straßenverkehr unterbrechen.
Am Dienstag hieß es bei der Pressekonferenz zwar, dass die Proteste in Berlin erst enden sollen, wenn die Bundesregierung auf die Forderungen der Gruppe eingeht. Allerdings sind die Proteste bislang bis auf Anfang Mai ausgelegt. Eine Verlängerung darf wegen des großen Aufwands zumindest angezweifelt werden.

„Letzte Generation“ nimmt Einfluss auf Umfragen
Zudem stellte die „Letzte Generation“ nicht mehr das 9-Euro-Ticket und ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde in den Mittelpunkt, sondern einen Gesellschaftsrat. Diese Forderung ist nicht neu, hatte aber bislang keine so exponierte Stellung. Dabei handelt es sich um einen Rat aus gelosten Mitgliedern, der Maßnahmen erarbeitet, damit Deutschland ab 2030 auf fossile Brennstoffe verzichten kann. Wissenschaftler und Politiker sehen das skeptisch. Auch stellt sich die Frage, ob ein solcher Rat überhaupt demokratisch legitimiert ist. Dass die Bundesregierung darauf eingeht, ist nicht zu erwarten.
Andererseits hofft die Gruppierung weiter auf Unterstützung aus der Gesellschaft. Von Drigalski verwies auf acht Bürgermeister in deutschen Städten, die sich bisher hinter die Klimaziele der Gruppierung gestellt haben, unter anderem in Marburg und Hannover. Sie führte das ZDF-Politbarometer vom März an, wonach mehr als 55 Prozent der Befragten derartige Vereinbarungen mit den Aktivisten auch begrüßen, wenn dadurch Protestaktionen wie Straßenblockaden verhindert werden könnten. Wie die Berliner Morgenpost allerdings erfahren hat, versucht die „Letzte Generation“ auch selbst Einfluss auf Umfragewerte zu nehmen, in dem sie beispielsweise ihre Mitglieder dazu aufruft, an repräsentativen Umfragen teilzunehmen – um das Ergebnis in ihrem Sinne zu „korrigieren“.
GdP: Berlin gilt als "Wohlfühl-Biotop für Klebeblockaden"
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warf den Demonstranten „Guerilla-Aktionen“ und „extremistisches Gedankengut“ vor. Es gehe um „kriminelle, hierarchisch aufgebaute Organisationen, deren Mitglieder Straftaten begehen“, um das Zusammenleben und die Handlungsfähigkeit demokratischer Institutionen lahmzulegen, kritisierte die GdP am Dienstag.
Berlin gelte als „Wohlfühl-Biotop für Klebeblockaden“, das liege an nachsichtigen Gesetzen und Solidaritätsbekundungen von Politikern, „die bei Nötigungen, Sachbeschädigungen und Widerständen von zivilem Ungehorsam sprechen“, teilte der GdP-Landesvorsitzende Stephan Weh mit.
Die Blockadeaktionen durch angeklebte Demonstranten würden seit Anfang 2022 „unglaubliche Kapazitäten bei Polizei und Justiz“ binden, „so dass diese für die Bekämpfung anderer Kriminalität fehlen“. Inzwischen gebe es knapp 3000 Ermittlungsverfahren der Polizei, 800 Verdächtige, die Polizei habe 300.000 Arbeitsstunden eingesetzt, 13 Ermittler bei der Kriminalpolizei seien nur mit den Blockaden befasst.
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mit dpa