Berlin. Ein Kreuzberger Café muss dicht machen. Es hatte einst rechte Hetze auf sich gezogen – der Grund für die Schließung ist ein anderer.
Von außen weist nur ein handgeschriebener Zettel darauf hin, drinnen ist es das Gesprächsthema Nummer eins unter den Gästen: die Abschiedsparty am Sonntag. Das Café "Los Angelitos" in Berlin-Kreuzberg muss schließen. Nach fünf Jahren macht die Betreiberin den Laden Ende April dicht. Was danach kommt, weiß sie nicht. Die Stammgäste sind erschüttert, es verschwindet ein wichtiger Ort für viele im Bergmannkiez.

Berliner Café: So besonders war der Kiez-Treff
"Die Hälfte der Nachbarinnen und Nachbarn in dieser Straße hat sich hier im Café kennengelernt und angefreundet – hier unterhält sich jeder und jede mit jedem", erzählt Stammgästin Gabi (62), die im selben Haus wohnt. In dem Café in der Fidicinstraße ist ein Treffpunkt entstanden, an dem sich junge und alte Menschen begegnen. Die meisten Stammgäste kamen aus dem Quartier – und suchten und fanden bei "Los Angelitos" einen Platz abseits der größeren Ketten und Läden, so Gabi weiter.
Auch wenn das idyllisch klingt: Es war nicht immer einfach. Im Jahr 2021 wurden die Betreiberin und ihr Café von Rechten bedroht. "Los Angelitos" machte weiter – bis jetzt. Nun hat die Café-Chefin seit einiger Zeit mit einem anderen Problem zu kämpfen. Die hohe Miete macht es ihr jetzt unmöglich, den Laden weiterzuführen, sagt sie.
Café: Laden mit argentinischen Einflüssen
Neue Gäste kündigen sich an, sobald sie über den leicht knarrenden Dielenboden in das Café eintreten. Die Betreiberin – man könnte sie eher als Gastgeberin bezeichnen – drückt die Besucherinnen und Besucher für mehrere Sekunden an sich. "Uns verbinden so viele schöne Geschichten", erzählt sie. Sie winkt nach draußen, wenn bekannte Gesichter draußen vor dem Café vorbeikommen. Gäste nehmen auf Sofas und Stühlen Platz, am Fenster in der Nähe des Bartresen – oder im hinteren Raum neben einem alten Klavier. Würde nicht eine große Siebträgermaschine gelegentlich vor sich hin brummen und die große Fensterfront Blicke auf die breite Fidicinstraße zulassen, könnte man auch mitten in einer WG-Küche sitzen.
Am frühen Abend riecht es noch nach frisch gemahlenem Kaffee. Der Geruch verschwindet, umso später es wird. Cappuccino wird durch Hauswein abgelöst, der kostet rund 2,60 Euro das Glas. Zwei Nachbarinnen sitzen beieinander und trinken davon. Ein Mann und eine Frau in der anderen Ecke haben sich spontan kennengelernt und unterhalten sich. Eine junge Frau um die zwanzig kommt allein: Sie bestellt einen Aperol und tippt dann etwas auf ihrem Laptop. Die Betreiberin, die eigentlich aus Süddeutschland kommt, sagt beim Blick auf die Szenerie: "Ich freue mich immer, dass auch junge Menschen und vor allem Frauen alleine kommen und sich hier wohlfühlen."

Fünf Jahre lang kümmerte sich die ehemalige Sozialarbeiterin sechs Tage die Woche von mittags bis 22 Uhr um ihre Kundinnen und Kunden. Das Café hat sie 2018 eröffnet, zuvor lebte sie mehrere Jahre in Argentinien. Ihre Liebe zu dem Land ist in dem bunt eingerichteten Laden nicht zu übersehen: Eine Wandmalerei mit zwei Kindern in argentinischen Trachten schmückt einen der Räume. Im Hintergrund läuft das Radio – auf Spanisch. Zu essen gibt es Empanadas, lateinamerikanische Teigtaschen.
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Café "Los Angelitos": Darum muss es schließen
Mit dem Nachbarschaftstreff ist es nun vorbei: Aufgrund eines Staffelmiete-Vertrags ist die Miete über die letzten Jahre gestiegen, so die Café-Chefin. Die Miete liege mittlerweile ohne Strom bei rund 13 Euro pro Quadratmeter, das sind circa 1550 Euro monatlich. Die Nebenkosten für Strom und Co. seien ebenfalls gestiegen. Das sei für sie finanziell nicht mehr stemmbar. Auch einen Nachmieter gebe es bisher noch nicht. Der Grund: Die neue Miete für die Ladenfläche solle nochmal um 5 Euro pro Quadratmeter höher sein – das wären monatlich 500 Euro mehr. Darum habe die Café-Betreiberin Schwierigkeiten bei der Suche nach einem neuen Mieter. Es habe wohl einen Interessenten gegeben, der aber wieder abgesprungen sei, als er von der höheren Miete hörte.
Es gibt ein weiteres Problem: Das Haus ist in einem schlechten Zustand, die Fassade bröckelt, es seien bereits Stücke der Hauswand auf die Straße gestürzt. Das Dach des Hauses ist mit einer gräulichen Folie bedeckt, an vielen Ecken erkennt man fehlende Mauerstücke. Im Januar hätte ein Gerüst kommen sollen – bisher ist keines zu sehen. Trotz des Gerüstes hätte es für das Café keine Mietminderung gegeben. Darum habe die Besitzerin letztendlich gekündigt.
Auf Anfrage unserer Redaktion sagt die Eigentümerin und Vermietung des Hauses, Covivio, dass Sanierungsmaßnahmen für die Fassade für 2023 geplant seien. Zudem bestätigt der Immobilienkonzern, dass es eine Mieterhöhung für den Nachmieter gebe. Zu den genauen Mietverhältnissen und Mietpreisen hat sich die Firma allerdings nicht geäußert.

"Los Angelitos": Das Café musste einiges aushalten
"Das hier ist immer ein sicherer Ort für alle Menschen gewesen, darauf lege ich sehr viel Wert. Wer sich rassistisch oder diskriminierend äußert, fliegt raus", erzählt die Betreiberin. Dass sie das so betonen muss, hat einen Grund: Vor zwei Jahren, in Pandemie-Hochzeiten, zog das Café plötzlich rechte Hetze auf sich. Die Ladenbesitzerin hatte eine Schaufensterpuppe mit Spritze in der Hand und Arztkittel vor die Tür gestellt, daneben stand der Spruch: "Kein Kaffee für Schwurbler, Möchtegern-Experten und rechtes Pack."
Vegan-Koch Attila Hildmann rief kurz danach über die sozialen Medien zum Gegenschlag auf das Café auf. Die Berliner Morgenpost berichtete. Die Betreiberin berichtet, es erreichten sie immer wieder Hass-Nachrichten über die sozialen Medien und per Post. Auf Twitter schrieb jemand: "Die Google Wertung werden jetzt kommen! Sieht nach linkem Drecks-Gesoxe Treff aus." Nach dem Vorfall gab es mehrere Google-Bewertungen für "Los Angelitos" mit nur einem Stern: "Ganz nett ja aber mir wird dort teils zu sehr linksextremistisch politisiert. Ich werde daher dieses Café aus meiner Liste nehmen", so ein Nutzer.
Trotz der schwierigen Zeit während Corona sagt die Café-Chefin: "Ich war noch nie so glücklich, wie in diesen fünf Jahren im Café." Noch weiß sie nicht, was sie nach der Schließung machen wird. In Berlin will sie aber bleiben: "Ich brauche eine Stadt mit Schatten", sagt sie.
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Café-Stammgäste: "Unser Wohnzimmer verschwindet"
Viele der Besucherinnen und Besucher des Cafés kommen aus dem Viertel. Stammgästin Gabi erzählt, dass es keinen vergleichbaren Treffpunkt in der Nähe gebe. Dass "Los Angelitos" jetzt schließen muss, bedeute für viele, dass ein wichtiger Ort mit einer herzlichen Gastgeberin verschwinde. Auch Stammgast Andreas (67), der immer dreimal die Woche ins Café kam, sagt: "Die Schließungist ein Drama. Unser Wohnzimmer verschwindet und wo wir uns jetzt treffen können, wissen wir nicht." Er erzählt von kleinen Kulturveranstaltungen mit vielen jungen Leuten, die im Café stattfanden. All das breche weg.
Eine junge Kundin plante, ihre Mutter, die am Wochenende zu Besuch kommen sollte, zur Abschiedsparty mitzubringen. Die Kundin fragt die Betreiberin: "Wenn wir sonst noch irgendwas tun können?" Die Antwort darauf: Ein längeres in die Arme fallen.