Berlin. Eine der zentralen Fragen dieses Jahres und der neuen Berliner Landesregierung ist der Umgang mit dem Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne. Der künftige Senat muss eine Lösung dafür finden, wie es mit dem Volksentscheid, der mit fast 60 Prozent der Stimmen erfolgreich war, weitergeht.
In der rot-grün-roten Koalition war die Frage umstritten, allein die Linke hat die Forderungen der Initiatoren vorbehaltlos unterstützt. Um nicht erneut eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht zu erleiden, hat Rot-Grün-Rot deshalb im vergangenen Jahr eine Expertenkommission mit der Aufgabe eingesetzt, die offenen Fragen rund um eine derartige Vergesellschaftung zu klären. In einem ersten Zwischenfazit kam die Kommission zu dem Schluss, dass solche Enteignungen grundsätzlich möglich sein könnten.
Die CDU lehnt eine Enteignung privater Wohnungskonzerne ab
Für die sich anbahnende schwarz-rote Koalition zeichnet sich nun ein Kompromiss ab, wie das Thema weiter behandelt werden könnte – auch wenn die CDU bekanntlich eine Vergesellschaftung ablehnt. Kai Wegner bekräftigte am Freitag im Interview mit der Berliner Morgenpost, dass er – wie auch SPD-Landeschefin Franziska Giffey – Enteignungen für den „komplett falschen Weg“ halte.
Dennoch soll, laut einem Sondierungspapier der SPD, in einer gemeinsamen Koalition mit der CDU ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ beschlossen werden, wie es in dem Dokument heißt. Dabei handelt es sich nach erstem Anschein um genau das Modell, das SPD, Grüne und Linke in ihren Sondierungsgesprächen verhandelt haben, um die Linke mit ihrer Enteignungsforderung ruhig zu stellen. Der Plan sieht demnach ein zweistufiges Vorgehen vor.
Bis zum Jahr 2024 soll ein solches Gesetz vorliegen, das von der Möglichkeit ausgeht, Enteignungen vornehmen zu können. Mit diesem soll ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der dann per Normenkontrollverfahren vom Bundesverfassungsgericht auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden soll.
Der Kompromiss sieht ein zweistufiges Verfahren vor
Als kritische Punkte gelten dabei die Kriterien, nach denen eine Vergesellschaftung vorgenommen werden soll. Die Initiative will, dass die Größe der Unternehmen entscheidend ist – enteignet werden sollen demnach Firmen, denen mehr als 3000 Wohnungen gehören. Dieses Kriterium könnte sich jedoch als problematisch erweisen, weil die Größe eines Unternehmens nichts über die Miethöhen aussagt, die angesetzt werden.
Deshalb schlagen andere Unterstützer vor, unangemessen hohe Mieten als mögliche Grundlage vorzusehen. Auch dazu soll die Expertenkommission, die auch unter einem neuen Senat ihre Arbeit beenden soll, Stellung nehmen und womöglich weitere Kriterien aufzeigen.
Sollte das Verfassungsgericht die Auffassung bestätigen, dass Enteignungen unter bestimmten Voraussetzungen möglich sind, müsste in einem zweiten Schritt ein Enteignungsgesetz erarbeitet werden. Hält das Gericht dagegen das Vorhaben, wie schon den Berliner Mietendeckel, für verfassungswidrig, wäre die Sache wohl erledigt.
Kritiker befürchten, dass der neue Senat auf Zeit spielt
Auf diese letzte Variante setzt vor allem die CDU, sollte es tatsächlich in einer Koalition mit der SPD zu einem derartigen Rahmengesetz kommen. Im Morgenpost-Interview sagte Wegner, er sei sich „ziemlich sicher“, dass die Gerichte zu dem Schluss kommen, dass ein Vergesellschaftungsgesetz nicht verfassungskonform sei.
Während unter den Christdemokraten Einigkeit zum Thema enteignen herrscht, gibt es innerhalb der SPD durchaus verschiedene Ansichten gibt. Der Berliner Landesverband der SPD hat sich, anders als Franziska Giffey, bei einem Parteitag im vergangenen Sommer für Enteignungen ausgesprochen. Im damals mehrheitlich beschlossenen Antrag hieß es, im Falle eines positiven Votums der vom Senat eingesetzten Expertenkommission für die Möglichkeit einer Vergesellschaftung solle „schnellstmöglich ein Gesetz zur Umsetzung erarbeitet werden“.
Das Dilemma für die künftige Landesregierung besteht vor allem darin, dass sie den Volksentscheid mit seiner großen Mehrheit nicht ignorieren kann. Normalerweise würde eine Regierung bei einer derart unübersichtlichen Lage und verschiedenen Auffassungen innerhalb der Koalition die Angelegenheit auf die lange Bank schieben, um nicht darüber entscheiden zu müssen. Das geht hier nicht.
Expertenkommission legt im Frühjahr Abschlussbericht vor
Die Unterstützer der Initiative befürchten nun allerdings, dass genau das der Plan hinter dem Vorgehen, zunächst ein Rahmengesetz zu entwickeln, sein könnte. Die Expertenkommission soll in diesem Frühjahr einen Abschlussbericht vorlegen. Damit könnte das Rahmengesetz im Laufe des Jahres 2024 erarbeitet, vom Abgeordnetenhaus beschlossen und im Anschluss dem Bundesverfassungsgericht mit einer Normenkontrollklage zur Entscheidung vorgelegt werden.
Je nachdem, wie und wann das Gericht entscheidet, müsste danach ein weiteres Gesetz ausgearbeitet und beschlossen werden. Der gesamte Vorgang könnte also bis in die nächste Legislaturperiode verschoben werden. Im September 2026 wählt Berlin bereits erneut.
Der Volksentscheid hatte parallel zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus, den Bezirken und dem Bundestag am 26. September 2021 stattgefunden. 59,2 Prozent der Wähler stimmten dafür. Der Volksentscheid sieht vor, insgesamt rund 243.000 Wohnungen, die großen privaten Vermietern wie der Deutschen Wohnen oder Vonovia gehören, in eine Anstalt des öffentlichen Rechts zu überführen. Der Zeitpunkt des Volksentscheids gilt dann auch als Stichtag, der darüber entscheidet, ob ein Unternehmen enteignet wird oder nicht, sprich: Vermieter, die zu diesem Tag in Berlin mehr als 3000 Wohnungen besaßen, wären von den Vergesellschaftungen betroffen. Genossenschaften sollen ausgenommen sein. Ziel der Initiative ist es, dass dadurch die öffentliche Hand mehr Einfluss auf die Mietenentwicklung in der Stadt erhält und so der rasante Anstieg neu vermieteter Wohnungen gestoppt werden kann.
Klima-Volksentscheid könnte neuen Senat vor weitere Probleme stellen
Kritik daran, dass die CDU sich bereit erklärt hat, ein Vergesellschaftungsrahmengesetz mit auf den Weg zu bringen, gab es aber auch prompt, von der aus dem Abgeordnetenhaus ausscheidenden FDP. „Dass ausgerechnet die CDU jetzt als eine der ersten Maßnahmen – noch bevor eine Regierung steht – das Thema Enteignungen vorantreibt, ist kaum zu glauben. Seine Werte für ein bisschen Macht zu verkaufen, wird in diesem Fall nicht nur den Menschen in unserer Stadt teuer zu stehen kommen“, erklärte FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja in einer Mitteilung.
Der neuen Landesregierung droht derweil bereits am 26. März weiterer Ungemach. Dann steht der Klima-Volksentscheid zur Abstimmung. Die Initiatoren fordern, dass Berlin nicht erst 2045 klimaneutral wird, sondern bereits 2030. Anders als beim Enteignungsvolksentscheid wird diesmal über ein komplettes Gesetz abgestimmt, das, im Falle des Erfolgs, nach der Abstimmung in Kraft tritt.