Berlin. Schon in der fünften Klasse wurde Neno gefragt, ob er und seine Familie im Müll kramen würden. „Nein, warum sollen wir im Müll kramen?“ Der heute erwachsene Rom erzählt von dem Antiziganismus, den er als Kind in Berlin erlebt hatte. Zu hören und sehen ist er in dem Dokumentarfilm „Amaro Filmos“. Darin berichten junge Roma aus Berlin berührend nah aus ihrem Leben.
Premiere feierte „Amaro Filmos“, was auf Romanes „unser Film“ bedeutet, im Grünen Salon der Volksbühne in Mitte. Den bespielt seit September der Verein Romatrial, eine Kooperation, die wahrscheinlich dauerhaft etabliert werden soll, so der Vorstandsvorsitzende von Romatrial und künstlerische Leiter Hamze Bytyçi.
Eigentlich sei das Leben im Block schön gewesen, sagt die 17-jährige Larissa im Film. Aber auch schlimm. Die Rede ist von einem Wohnhaus in der Nähe des Ostbahnhofs in Friedrichshain, in dem seit 2015 etwa 350 Menschen aus demselben rumänischen Dorf wohnten. Bis Anfang 2022 alle Familien ausziehen mussten, denn am Ort des bereits zuvor heruntergekommenen Hauses sollen Luxusimmobilien entstehen.
Während Corona das ganze Haus unter Quarantäne
Am Block nimmt der etwa 45-minütige Film seinen Ausgang. Während der Corona-Pandemie wurde einmal das komplette Haus unter Quarantäne gestellt, auch von dieser Zeit berichten die Jugendlichen. Trotz baulicher Mängel war der Block für die dort lebende Community ein Ort der Gemeinschaft, ein Zuhause in der Großstadt: „Ich habe mich dort sicher gefühlt, meine Eltern haben sich sicher gefühlt“, erzählt David, Erzieher und Aktivist, der sich gegen Rassismus und Antiziganismus einsetzt. Das sei nun verschwunden, da die Familien über die ganze Stadt verstreut wurden.
Ebenfalls in dem Haus gewohnt hatte Estera. Die junge Frau mit trockenem Humor spricht in „Amaro Filmos“ immer wieder kritisch Geschlechterverhältnisse in ihrer Community an. Themensetzung, Interviews und auch das Filmen haben zum großen Teil die Jugendlichen selbst übernommen. Geschnitten hat Olad Aden, Filmemacher und Mitarbeiter des Streetwork-Vereins Gangway.
Die Filmaufnahmen aus dem Wohnhaus sind nach dem Auszug der Familien entstanden. Dass darauf im Vorspann explizit hingewiesen wird, zeigt, wie stark die Vorurteile gegenüber Roma verankert sind. Die Bilder aus dem zum Abriss bereiten Haus, hätten als Unordnung ausgelegt und der Community zugeschrieben werden können.
Jugendpartys mit bis zu 60 Gästen
Heute kommen die Jugendlichen manchmal im Grünen Salon wieder zusammen: Jugendpartys mit bis zu 60 Gästen haben hier schon stattgefunden, erzählt Bytyçi. Ansonsten laufen im von Romatrial kuratierten Programm Workshops, Lesungen, eine künstlerisch-diskursive Reihe namens Kafana Lab und die Jamsession-Reihe Mikro Hejazz. „Früher war das hier eher der edle Tangoschuppen“, sagt Bytyçi. Die Volksbühne gehöre aber dem Volk und nun sei der Grüne Salon „das Wohnzimmer von uns allen“.
Amaro Filmos gibt einen seltenen, vorurteilsfreien und daher umso wichtigeren Einblick in die Lebenswelt junger Roma in Berlin und das nicht über, sondern von und mit ihnen. Ernsthaft, aber auch witzig besprechen sie Themen aus ihrem Alltag: Antiziganismus, Rollenbilder, Gentrifizierung und Aktivismus. Der Film ist noch einmal am 3. Februar und 23. März in der Volksbühne zu sehen, bevor der Film auf Deutschlandtour geht. Filmvorführungen für Vereine und Schulklassen können über Romatrial angefragt werden.