Berlin. Es war Montag gegen 14.30 Uhr, als die Folgen des Fahnenverbots bei Gedenkveranstaltungen am 8. und 9. Mai wirklich für alle sichtbar wurden. Mitglieder des Rockerclubs „Nachtwölfe“ ließen sich mit einer Frau, die eine Russland-Fahne hochhielt, vor dem Ehrenmal im Tiergarten ablichten. Der Rockerclub gilt als russisch-nationalistisch und Putin-nah. Zeitgleich und nur wenige Meter entfernt baten Polizisten einen Mann und eine Frau, die Kleidung in ukrainischen Farben trugen, das Gelände zu verlassen.
Der Grund sei das Verbot von Fahnen und militärischen Symbolen an den Gedenkstätten. Während also die Pro-Ukraine-Anhänger von der Polizei begleitet die Treppen hinabstiegen, rollte jene Frau bei den „Nachtwölfen“ ihre Fahne wieder ein. Zunächst sah es so aus, als ob sie keine weiteren Konsequenzen befürchten müsse. Dem ist laut einem Polizeisprecher jedoch nicht so.
Nachtwölfe: Rocker posieren am Ehrenmal mit russischer Flagge
Demnach seien die Rocker in Begleitung der Polizei auf das Gelände gebracht worden. Am Ehrenmal seien die Einsatzkräfte zurückgetreten, damit die Rocker in Würde gedenken können. „In diesem Moment hat eine Frau die Flagge aus der Tasche gezogen, und das Foto entstand.“
Die Fahne sei umgehend eingezogen, die Personalien aller Beteiligten aufgenommen und gegen die Frau ein Verfahren wegen eines Verstoßes gegen die Allgemeinverfügung eingeleitet worden. Allerdings bleiben Zweifel an der Darstellung der Polizei, da die Rocker zunächst Blumen niederlegten, sich anschließend mit einer Zeitung vom 9. Mai 1945 ablichten ließen und erst einige Minuten später zusammen mit der Frau einige Momente vor dem Ehrenmal für Fotos posierten, wobei kein Polizist einschritt.
„Ich habe schon vorher gesagt, dass diese beiden historischen Tage sehr sensibel sein werden. Die Regeln für die Gedenkstätten sind klar, keinerlei Flaggen! Die Beschränkungen beziehen sich ausschließlich auf die Gedenkstätten“, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Montagabend der Berliner Morgenpost.
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OVG: Ukrainische Flagge bleibt auch bei kleiner Versammlung verboten
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat für eine kleine Versammlung anlässlich des 77. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges ukrainische Fahnen und Militärlieder verboten - und damit eine zuvor ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin geändert. „Es verbleibt demnach auch insoweit bei den Regelungen der Allgemeinverfügung der Polizei Berlin“, teilte das Gericht am Montagabend mit. Wegen der Eilbedürftigkeit der Sache sei die Entscheidung zunächst ohne schriftliche Begründung ergangen, hieß es. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Die Veranstalter einer für den Abend geplanten Kundgebung vor dem Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst hatten sich beim Berliner Verwaltungsgericht - zunächst erfolgreich - gegen eine Verordnung der Polizei gewehrt. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte den Veranstaltern am Montag zunächst Recht gegeben und die Entscheidung damit erklärt, dass die Begründung der Polizei sich auf Erkenntnisse von Versammlungen mit pro-russischem Bezug beziehe. Bei der für den Abend geplanten halbstündigen Veranstaltung bestünde diese Gefahr jedoch nicht, so die Mitteilung des Verwaltungsgerichts.
Die Diskussion um die Flaggenverbote hatte zuvor schon die Gedenkveranstaltungen beherrscht: So fiel nach Auffassung der Polizei unter die Verfügung auch eine knapp zehn Zentimeter breite, stilisierte Sowjet-Flagge auf einem Banner der DKP, die diese mit einer Zeitung abdecken musste. Am Ehrenmal in Tiergarten musste ein junger Mann seinen Pullover ausziehen, da er Farben der russischen Fahne enthielt. Eine alte Frau wurde des Geländes verwiesen, da sie ein Bändchen in russischen Farben gezeigt hat.
Die Berliner CDU geht mittlerweile zumindest gegen das Verbot ukrainischer Flaggen vor und hat beim Verwaltungsgericht Klage eingereicht. „Wir erhoffen uns davon Klarheit für zukünftige Situationen“, sagte Generalsekretär Stefan Evers der Berliner Morgenpost. „Bilder wie gestern dürfen sich nicht wiederholen.“ Am Sonntag musste am Rande einer Gedenkveranstaltung der ukrainischen Botschaft am Ehrenmal im Tiergarten ein 25 Meter langes Banner in den Farben des Landes auf Geheiß der Polizei eingerollt werden.
Laut der Klageschrift erschließt sich in der aktuellen Situation, dass russische Symbole verboten werden. Bei sowjetischen und ukrainischen, die ebenfalls um 15 Gedenkorte untersagt waren, sei die Lage jedoch nicht klar. CDU-Politiker Evers nahm am Sonntag selbst an einer Veranstaltung russischer Regimekritiker teil, zu der er von der Polizei nur zugelassen wurde, nachdem er seine Ukraine-Fahne einpackte.
Polizei mit 1800 Kräften im Einsatz
Die Berliner Polizei war am Montag mit rund 1800 Kräften im gesamten Stadtgebiet im Einsatz. Doch Straftaten oder gewalttätige Auseinandersetzungen, wie sie im Vorfeld zum Teil befürchtet wurden, blieben weitgehend aus – auch während der größten Veranstaltung, dem „Rotarmisten-Gedächtnis-Aufzug“, der mit 1300 Personen angemeldet war und vom Brandenburger Tor zum Ehrenmal im Tiergarten zog.
Ein Mann, der ein Bild seines Großvaters mit sich trug, erzählte, dass er in Gedenken an ihn mitlaufe. Der Krieg in der Ukraine spiele für ihn an diesem Tag keine Rolle. Angesprochen auf die Ukraine reagierten viele Menschen ähnlich oder blockten sofort ab. Eine Frau sagte etwa, dass an diesem Tag „kein Platz für politische Fragen“ sei. Man wolle heute nur der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Rotarmisten gedenken.
Am Ende blieb es bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen zwei Männern am Rande der Demonstration. Gegen einen von ihnen leitete die Polizei laut einem Sprecher ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung ein. „Die Hintergründe sind derzeit noch unklar“, so der Sprecher weiter. Ein Bezug zum russischen Einmarsch in der Ukraine sei jedoch zunächst nicht erkennbar.
Russischer Botschafter gedenkt unter Polizeischutz
Während die Menschen am frühen Nachmittag das Ehrenmal Tiergarten größtenteils wieder verließen, riss der Zustrom zum Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park den ganzen Tag über nicht ab. Den Beginn machte am Morgen um neun Uhr eine Delegation der russischen Botschaft. Neben Botschafter Sergej J. Netschajew legten Vertreter des Militärs und der russisch-orthodoxen Kirche am Fuß des Hügels Kränze nieder. Nach knapp 40 Minuten verließ Netschajew das Gelände unter dem Schutz der Polizei und seiner Personenschützer – Zwischenfälle blieben dabei aus.
In der Folge kamen immer wieder Menschen auf das weitläufige Gelände, auf dem rund 7000 gefallene Rotarmisten begraben liegen. Tausende kamen meist mit Blumen, die bald die vielen Gedenksteine der Anlage schmückten. Manche der Besuchenden gingen nach wenigen Augenblicken wieder, andere verbrachten mehrere Stunden auf der Anlage.
Antifaschisten nach Nazis beschimpft
Das Gedenken wurde jedoch wie bereits am Vortag auch am Montag vom aktuellen Überfall Russlands auf die Ukraine überschattet. So gab es am Rande des Gedenkens immer wieder Wortgefechte und kleinere Zusammenstöße.
So wurden Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) während einer Kundgebung gegen den Krieg in der Ukraine mitunter als „Nazis“ beschimpft. „Putin wird siegen“, prophezeite ein offensichtlicher Anhänger des russischen Machthabers. Auch russische Staatsbürger verbreiteten auf einer Kundgebung ihre kruden Thesen, während DKP-Anhänger fast wortgleich die Propaganda des Kremls nachsprachen.
Protestaktion erinnert an die Toten von Butscha
Für einiges Aufsehen sorgte eine Aktion von zehn jungen Menschen, die sich mit auf dem Rücken gefesselten Händen und mit roter Farbe beschmiert knapp eine Stunde fast reglos auf den Boden legten. Ein Bild, das unweigerlich an das von russischen Soldaten begangene Massaker von Butscha Ende März erinnern sollte. Dort wurden die teils geschändeten und gefesselten Leichen von Zivilisten gefunden. „Wir gedenken des Endes des Zweiten Weltkriegs, während ein anderer Krieg in Europa stattfindet“, sagte Mitinitiatorin Mariia. „Das kann man nicht voneinander trennen.“
