Berlin. Fahnenverbote, laute Sprechchöre und eine enorme Polizeipräsenz vor allem rund um die sowjetischen Ehrenmäler der Stadt: Wohl noch nie wurde der Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Berlin so stark von aktuellen Ereignissen überschattet, wie in diesem Jahr – im Jahr des russischen Angriffs auf die Ukraine.
So erschallten immer wieder lautstarke „Nazis raus!“-Rufe, während eine Delegation der ukrainischen Botschaft am Mittag ihr Gedenken am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten abhielt. Die Gruppe stammte aus einer Demonstration auf der Straße des 17. Juni, unter die sich neben pro-ukrainischen auch zahlreiche pro-russische Protestierende gemischt hatten. Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk war immer wieder Ziel der Sprechchöre.
Die Gedenkveranstaltung wiederum wurde von der Polizei abgeriegelt, sodass nur Gäste der Botschaft und Pressevertreter Zugang hatten. Mehrere Bundespolitiker wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Familienministerin Lisa Paus (beide Grüne) sowie der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nahmen ebenfalls an der Veranstaltung teil.
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25 Meter langes Ukraine-Banner musste eingerollt werden
Da es sich um eine offizielle diplomatische Veranstaltung handelte, waren ukrainische Flaggen dabei erlaubt. Das wiederum sorgte bei den umstehenden Demonstranten für deutlichen Unmut. Als ein knapp 25 Meter langes blau-gelbes Banner am Fuß des Ehrenmals entrollt wurde, schritt die Polizei ein. „Hier war nicht klar erkennbar, dass es zur Veranstaltung der Botschaft gehörte und damit unter die Ausnahmeregelung fällt“, erklärte ein Polizeisprecher.
Die Berliner Polizei war am Sonntag mit rund 1700 Kräften im Einsatz. „Gewaltvorfälle sind uns bis dato nicht gemeldet worden, es blieb überwiegend friedlich“, sagte der Polizeisprecher am späten Nachmittag. Einzig Diskussionen um das Tragen von Flaggen habe es immer wieder gegeben. Die Polizei hatte Fahnen der Sowjetunion sowie von Russland und der Ukraine für den 8. und 9. Mai an insgesamt 15 Orten in Berlin verboten – vor allem rund um kleinere und größere Ehrenmäler wie dem im Treptower Park, in der Schönholzer Heide und im Tiergarten.
Ebenfalls mit der Polizei aneinander geriet der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers. Er wurde auf dem Weg zu einem Gedenken im Tiergarten daran gehindert, eine ukrainische Fahne als Zeichen der Solidarität mit den Kriegsopfern mitzuführen. „Es muss erlaubt sein, mit den Opfern des russischen Angriffskrieges Solidarität zu zeigen – gerade heute, und gerade an diesem Ort“, sagte Evers. Er kündigte an, gegen die Verbotsverfügung klagen zu wollen.
Gedenken in Schönholzer Heide erstmals ohne russische Botschaft
Während es rund um das Ehrenmal im Treptower Park erst am Montag mehrere Veranstaltung geben soll, hatte eine Gedenkveranstaltung am Sonntag am Mahnmal im Volkspark Schönholzer Heide im Vorfeld für Aufmerksamkeit gesorgt. Denn das Bezirksamt Pankow hatte angekündigt, die Zusammenarbeit mit der russischen Botschaft zu beenden. In der Vergangenheit seien die Kränze gemeinsam niedergelegt worden, doch wurde dieses Jahr darauf verzichtet.
„Das ist kein vorübergehendes Ereignis, was in der Ukraine passiert. Es ist ein Bruch, auch in der Gedenkkultur“, begründet Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) die Entscheidung. „Wir haben die Mahnmale immer als Zeichen gegen Krieg verstanden, gegen jeden Krieg.“ Nichtsdestotrotz müsse sich darüber Gedanken gemacht werden, den entscheidenden Beitrag, den die Völker der Sowjetunion zur Befreiung Nazi-Deutschlands geleistet haben, dennoch zu gedenken und wertzuschätzen.
So wurden unter anderem die ukrainische, armenische und usbekische Botschaft angefragt, da Soldaten aus diesen Nationen neben den russischen ebenfalls in der Roten Armee kämpften. Eine Reaktion seitens der russischen Botschaft habe es daraufhin nicht gegeben, so Benn.
Statt des russischen Botschafters war Polit-Prominenz aus der Region zugegen. Unter anderem kamen Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), Kultursenator Klaus Lederer (Linke) sowie Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in den Volkspark Schönholzer Heide, um an das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Befreiung Deutschlands vom nationalsozialistschen Regime zu erinnern.
Rocker der „Nachtwölfe“ für Montag in Berlin erwartet
Für etwas Verwunderung sorgte ein kleiner Aufzug mit rund 40 Teilnehmenden, der am Nachmittag durch Mitte führte. Ukrainer, Tschetschenen und Mitglieder der Neonazi-Kleinstpartei „Dritter Weg“ zogen gemeinsam durch Mitte. Während es am Sonntag eher kleine und zumeist stille Proteste gab, ist für Montag eine pro-russische Demonstration mit 1300 Teilnehmenden angekündigt. Sie soll vom Brandenburger Tor zum Tiergarten führen, wobei auch Mitglieder des russisch-nationalistischen Rockerclubs „Nachtwölfe“ erwartet werden.