Berlin. Nach dem Raser-Unfall auf dem Kurfürstendamm spricht zum ersten Mal das Opfer, Wiktoria T. (17). Ihre Mutter liegt noch im Koma.
An den Unfall kann sich Wiktoria T. (17) noch genau erinnern. Sie saß gerade mit ihrer Mutter Agnieszka T. (45) im Auto. Ihre Mutter hatte sie vom Tanztheater abgeholt. Wiktoria, die Schauspielerin werden möchte, freute sich über ihre erste kleine Rolle, für die sie einen Solotanz aufführen sollte. Ihre Mutter Agnieszka wollte an jenem Abend gerade von der Cicerostraße auf den Kurfürstendamm einbiegen, als Wiktoria plötzlich die Scheinwerfer von der Seite bemerkte. Sie näherten sich sehr schnell. Dann war alles dunkel.
„Ich dachte erst, dass ich träume, und ich habe mich gefragt, wann ich wieder aufwache“, erinnert sich Wiktoria im Gespräch mit der Berliner Morgenpost. Es ist das erste Mal, dass sie öffentlich über den Unfall spricht. Zu tief sitzt noch der Schmerz, und zu frisch sind noch die Erinnerungen. „Als ich aufgewacht bin, habe ich nach meiner Mama geschrien“, sagt Wiktoria.
Bei dem Unfall am 31. August wurde der Ford Fiesta von Agnieszka T. auf Höhe der Schaubühne am Lehniner Platz von einem BMW gerammt. Das Auto überschlug sich dabei. Fahrzeugteile schleuderten durch die Luft und trafen Passanten. Zwei von ihnen wurden dabei leicht verletzt. Der Aufprall war so stark, dass auch der vordere linke Teil des BMW aufgerissen und deformiert wurde, der Wagen zur Seite schleuderte und gegen drei weitere Autos prallte.
Kudamm-Raser hatte das Unfallauto gemietet
Insgesamt wurden acht Fahrzeuge beschädigt. Wie sich später herausstellte, war der BMW ein Mietwagen. Der Fahrer flüchtete damals zu Fuß vom Unfallort. Es gibt Zeugenaussagen, wonach sich der Unfallverursacher ein Rennen mit zwei anderen Fahrzeugen geliefert haben soll. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft mitteilten, soll der 29-Jährige mit teilweise über 100 Kilometern in der Stunde über den Kurfürstendamm gerast sein.

Das ist inzwischen mehr als vier Wochen her. Agnieszka T. liegt noch immer mit schwersten Verletzungen im Koma. Es ist unklar, ob sie jemals wieder laufen kann. „Unser Leben, wie wir es kannten, ist vorbei“, sagt Wiktoria. Sie selbst lag 14 Tage mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Sie ist noch immer auf Krücken angewiesen, hat Schmerzen. Für den Weg in den dritten Stock ihrer Wohnung braucht sie eine Viertelstunde.
„Ich kann nur kurze Strecken gehen und muss zwischendurch Pause machen“, sagt sie. In die Schule kann sie nicht gehen. Eine Freundin bringt ihr die Hausaufgaben. Ihre Oma und viele Freunde kümmern sich um sie. „Ich möchte dem Fahrer in die Augen sehen. Ich verstehe nicht, warum er einfach weggerannt ist“, sagt Wiktoria.
Und momentan sieht es so aus, dass Wiktoria dem mutmaßlichen Fahrer tatsächlich bald in die Augen blicken kann. Denn am Freitag konnten die Ermittler einen Erfolg vermelden. Man habe einen 29-Jähriger an seiner Wohnanschrift in Grunewald verhaftet, hieß es.
Ihm werden die Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Der Mann sitze inzwischen in Untersuchungshaft.
Unfall bei illegalem Rennen: Mahnwache auf dem Kurfürstendamm
Nach Informationen der Berliner Morgenpost war bereits wenige Stunden nach dem Unfall klar, wer das Auto gemietet hatte. Allerdings soll der Mann angegeben haben, zum fraglichen Zeitpunkt nicht in Berlin gewesen zu sein. Das Problem für die Ermittler bestand also darin, dem Mieter nachzuweisen, dass er auch tatsächlich der Fahrer des Wagens war und das möglichst wasserdicht.
Ein Indiz waren offenbar die Verbindungsdaten des Tatverdächtigen, die nahelegen, dass er sich doch in Berlin aufgehalten hat. Ein weiteres Indiz soll die Auswertung von DNA-Spuren gewesen sein, die mehrere Tage gedauert habe. Nach Informationen dieser Zeitung soll der Tatverdächtige neben der deutschen auch die israelische Staatsbürgerschaft besitzen.
Wiktoria T. besucht unterdessen so oft es geht ihre Mutter. „Ich habe ihr einen Teddybär mitgebracht und rede viel mit ihr. Ich weiß, dass sie mich hören kann“, sagt sie. Die aktuelle Situation sei sehr belastend. Vor ihrem Haus hätten ihr auch schon Unbekannte aufgelauert und sie gefragt, ob sie sich zum Unfall äußern will. „Es braucht mich niemand kontaktieren. Ich melde mich, wenn ich etwas zu sagen habe“, sagt sie selbstbewusst.
Gemeinsam mit Ewa C., einer sehr guten Freundin ihrer Mutter und dem CDU-Politiker Steffen Helbing hat sie an der Unfallstelle schon eine Mahnwache organisiert. Sie fordern mehr Blitzer, Tempo-30-Zonen, zusätzliche Ampeln und Temposchwellen. „So etwas darf nie wieder passieren“, sagt Wiktoria.
Bei der Mahnwache vor zwei Wochen brachten Wiktoria und ihre Mitstreiter für wenige Minuten den Kurfürstendamm zum Erliegen. Bei der angemeldeten Aktion blockierten sie mit 50 weiteren Menschen an der Unfallstelle den Verkehr. Dabei trugen sie Transparente und Schilder mit ihren Forderungen. CDU-Politiker Helbing sagt, dass die Politik endlich handeln müsse. Auf dem Kurfürstendamm seien schon zu viele schwere Unfälle passiert. „Die tödliche Raserei muss endlich ein Ende haben“.
Das Leben nach dem Unfall: „Und dann ist plötzlich alles vorbei“
Ewa C., die beste Freundin von Agnieszka T., erinnert sich, dass sie am Tag des Unfalls noch Pläne für die Zukunft geschmiedet hätten. Es sei ein schöner Tag gewesen. „Und dann ist plötzlich alles vorbei“, sagt sie. Gemeinsam mit anderen Charlottenburgern sammelt sie auch Unterschriften, damit sich etwas ändert. „Es ist hier unerträglich geworden. Junge Männer mieten sich teure Autos mit vielen PS und rasen den Kurfürstendamm entlang. Seit dem letzten schweren Unfall hat sich nichts geändert“, sagt sie.
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Sie meint den tödlichen Kudamm-Raser-Fall vom 1. Februar 2016. Zwei junge Männer lieferten sich damals – nur wenige Hundert Meter vom aktuellen Unfallort entfernt – ein Rennen. Auch hier kam es zu einem Unfall mit einem Unbeteiligten. Der 69 Jahre alte Fahrer starb. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigte im Juni ein Mordurteil des Landgerichts gegen den Unfallfahrer. Der Fall des zweiten Angeklagten wird kommende Woche allerdings neu verhandelt.
Während also der alte Fall zum Teil wieder aufgerollt wird, müssen sich die Gerichte bald parallel mit einem neuen, sehr ähnlichen Raser-Fall am Kurfürstendamm befassen.