Wohnungsnot in Berlin

Gestrandet in Berlin - Zwei Koffer, aber keine Wohnung

| Lesedauer: 7 Minuten
Yannick Höppner
Yannick Höppner kehrte im Sommer in seine Heimatstadt zurück. Eine feste Wohnung fand er erst viel später

Yannick Höppner kehrte im Sommer in seine Heimatstadt zurück. Eine feste Wohnung fand er erst viel später

Foto: Anikka Bauer

Vier Umzüge in vier Monaten: Unser Morgenpost-Autor über die Suche nach einem Zuhause in der Millionenstadt Berlin.

Berlin. Am 6. Juni dieses Jahres leuchtete auf meinem Smartphone eine E-Mail aus Berlin auf: „Willkommen im Team der Berliner Morgenpost“. Der Jobzusage folgte ein Jubelschrei, dann der Blick auf das Datum. Ich hatte drei Wochen Zeit, eine Wohnung zu finden. „Wird schon werden“, dachte ich. Wäre ich doch nur nicht so naiv gewesen.

Alleine im Jahr 2016 sind 216.526 Menschen nach Berlin gezogen. Wahrscheinlich sogar mehr, denn die Zahl stammt aus der Einwohnerregisterstatistik. Alle, die sich nicht gemeldet haben, kommen dementsprechend noch hinzu. Dem gegenüber stehen 157.312 Fortzüge, was bedeutet, dass Berlin im vergangenen Jahr um knapp 60.000 Einwohner gewachsen ist. Immer mehr Menschen wollen hier leben, so nun auch ich. Aus Niedersachsen ging es zurück in meine Geburtsstadt. Aber so wie all die anderen brauchte auch ich erst einmal eine Wohnung.

Mehr als 80 E-Mails, eine Antwort gibt es selten

Bei der Suche stieß ich im Internet auf die Annonce einer Dame, die ihre Wohnung für zwei Monate vermieten wollte. Eine halbe Stunde, nachdem ich ihr geschrieben hatte, rief sie an. Sie klang lebenserfahren und vertrauenswürdig. Da ich ohnehin gerade in Berlin war, machten wir einen Besichtigungstermin für den folgenden Tag aus.

Die Wohnung war dunkel und schien schon länger nicht mehr renoviert worden zu sein. Aber da die Mietzeit begrenzt war, scherte ich mich nicht weiter darum. Außerdem brauchte ich schnellstmöglich eine Bleibe. Zwei Wochen später zog ich ein, dann folgte der Schock.

Mit meinem Gepäck stand ich in meinem neuen Zimmer: Im Schrank gab es keinen Platz für meine Sachen, der Mülleimer war bis oben hin voll, benutzte Unterwäsche lag auf dem Boden, auf Tisch und Schreibtisch türmten sich Unterlagen, und auf dem Bett lagen Badezimmerartikel.

Ich schluckte, machte kehrt und ging eine Runde spazieren. Die Autofahrt nach Berlin war lang gewesen, ich hatte nicht die Kraft, mich aufzuregen. Bei einem Drogeriemarkt kaufte ich Lappen und Fettlöser, nach einer guten Dreiviertelstunde war das Zimmer einigermaßen sauber. Nur das Bett musste ich noch beziehen. Ich zog die Tagesdecke ab, zum Vorschein kamen Katzenhaare, Menschenhaare, Krümel und Dreck. Am Kopfende klebte ein Kaugummi. Nach einem wütenden Telefonat einigte ich mich mit der Dame auf eine Mietminderung für den ersten Monat, und darauf, dass sie eine Putzfrau vorbeischickt.

Eine Alternative waren WG-Zimmer

Sechs Wochen später machte ich mich wieder auf die Suche – nach etwas Eigenem. Geblendet von der für Berliner Verhältnisse ungewöhnlich kurzen ersten Suche, fing ich erst zwei Wochen vor meinem Auszug an, nach Wohnungen zu schauen. Naiv? Absolut, denn es war auch Semesteranfang. Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen waren rar und viel zu teuer — auch für Berliner Verhältnisse. Dachte ich zumindest. Aber dazu später mehr. Eine Alternative waren WG-Zimmer. Im Gegensatz zur erfolglosen Suche nach einer eigenen Wohnung dauerte es tatsächlich nicht lang, bis ich etwas fand. Glück gehabt? Wahrscheinlich.

Eine junge Zweier-WG aus Prenzlauer Berg nahm mich auf, diesmal für sechs Wochen. Die Wohnung war nicht groß, dafür sauber und frisch renoviert. Der Weg zur Arbeit war zwar nun viermal so lang, aber dafür fühlte ich mich wohl.

Wie der Zufall es wollte, bot mir meine Mitbewohnerin an, in ihr Zimmer zu ziehen, sobald ihr eigentlicher Mitbewohner zurückkehrt. So wurden aus sechs Wochen sechs Monate. Sie würde den Winter über ins Ausland gehen, arbeiten, das sei so gut wie sicher – sei. Zwei Wochen bevor sie in Richtung Alpen aufbrechen wollte und zugleich zwei Tage bevor mein 14-tägiger Urlaub begann, hatte sie es sich anders überlegt. Und so begann die Panik. Es war der 27. Oktober, am 29. begann mein Urlaub, am 13. November musste ich raus sein.

Baufällig bis luxussaniert

Ich brach meinen Urlaub nach einer Woche ab und kehrte zurück nach Berlin. Jedes Immobilienportal, jede Internetseite mit Wohnungsangeboten sowie die Anzeigen in der Berliner Morgenpost durchforstete ich. Ich schrieb mehr als 80 E-Mails, startete einen Aufruf in den sozialen Netzwerken, fragte Freunde, Bekannte und Kollegen um Hilfe. Eine Antwort bekam ich in nur etwa der Hälfte aller Fälle – wenn überhaupt. Für jeden Tag in der Woche hatte ich Besichtigungstermine ausgemacht. Mal war ich allein, mal in Begleitung von bis zu 60 weiteren Interessenten. Selbst die jahrelange Mitgliedschaft in einer Baugenossenschaft half nicht. Es war zum Verzweifeln.

Die Eltern eines Freundes halfen mir aus der Patsche. Für zwei Wochen ließen sie mich bei ihnen wohnen, die Suche ging weiter. 9 Uhr Prenzlauer Berg, 10 Uhr Wilmersdorf, 11 Uhr Wedding, 12 Uhr Neukölln – so ging das den ganzen Tag, drei Tage am Stück. Nach mehr als 20 Besichtigungen – in unterschiedlichsten Wohnungen, von baufällig bis luxussaniert – klingelte dann endlich mein Telefon. „Sie können die Wohnung haben.“

Die Worte waren wie ein Kran, der mir die Last von den Schultern zog. Es war die einzige Zusage und bereits der vierte Umzug nach vier Monaten, in denen ich aus dem Koffer gelebt hatte. Eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung in Charlottenburg, stolze 16,39 Euro pro Quadratmeter – mittlerweile war es mir egal. Sollte es aber nicht! Denn genau dieses Hinnehmen sorgt dafür, dass die Mietpreise in Berlin weiter in die Höhe schießen.

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Nur wenige Menschen lassen den Preis überprüfen

„Die nicht korrigierten Mieten wandern wieder in den Mietspiegel“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Er empfiehlt deshalb allen Menschen, die den Verdacht haben, dass sie einen zu hohen Mietpreis zahlen, diesen sehr genau zu prüfen. Das täten nach seiner Einschätzung bislang nur etwa 15 Prozent aller Mieter. Auch bei mir sei der Quadratmeterpreis zu hoch, meint Wild und mahnt: „Sie können es beeinflussen.“

Was mir darüber hinaus Bauchschmerzen bereitet, ist, dass viele Vermieter, die mir völlig fremd sind, nun Einblick in meine Schufa-Auskunft, meinen familiären Hintergrund und meinen Verdienst haben. Dazu meinen Personalausweis, meine Anschrift und meine Bankverbindung. Und wofür? Für nichts. Oder, wie in meinem Fall: eine überteuerte Wohnung ohne Backofen und TV-Anschluss.

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