Berlin. Seit 40 Jahren und damit sein halbes Leben lang wohnt Wolfgang Hoth in dem Gebäudekomplex Genthiner Straße Ecke Lützowstraße mit rund 100 Wohnungen. Das schmucklose Gebäude, Ende der 70er-Jahre als Sozialbau mit Fördermitteln des Landes Berlin errichtet, ist in den vergangenen Jahren gleich mehrfach verkauft worden, die Sozialbindung ist im vergangenen Jahr ausgelaufen.
Seit 2016 ist die Bluerock Ltd. mit Sitz in Manchester Eigentümerin des Gebäudes mit seinen rund 100 Wohnungen. „Seitdem gibt es keine Sicherheit mehr in meinem Leben“, sagt der 80-Jährige, „die Sicherheit, dass meine Frau und ich hier unseren Lebensabend beschließen können.“

Die Eheleute sollen für rund acht Monate ausziehen
Um zu zeigen, was ihm die Ruhe raubt, führt Hoth seine Besucher gern zum sogenannten „Showroom“, der sich im Erdgeschoss des Gebäudes an der Lützowstraße befindet. In den Schaufensterfronten findet sich auf knalligem Signalrot der neue Name des einst namenlosen Sozialbaus: „LYTZ“ Dazu der Werbespruch: „Ein Haus wie Berlin selbst.“ Daneben ist die Computersimulation des Gebäudes zu sehen. Allerdings hat das Bild mit der grauen Wirklichkeit wenig zu tun.
Abgebildet ist ein schick sanierter Bau mit schimmernd weißen Fassadenbändern, aufgestockt um ein Dachgeschoss mit großzügigen Terrassen. „Hier, das ist meine Wohnung“, sagt Hoth und deutet auf eine Wohnung mit Balkon in der vierten Etage. Drei Zimmer mit 75 Quadratmetern bewohnt Hoth hier mit seiner 78-jährigen Frau Seouk-Soon Lee-Hoth. Hier haben die beiden ihre Tochter großgezogen.
Nun jedoch wird ihr Zuhause auf der Internetplattform Immobilienscout24.de zum Kauf angeboten – für 373.000 Euro, knapp 5000 Euro je Quadratmeter. „Damit ist natürlich nicht unsere Wohnung in ihrem jetzigen Zustand gemeint, sondern eine komplett sanierte“, sagt der Rentner.
„Ein Verbleib in den Wohnräumen während der Baumaßnahmen ist nicht möglich“
Damit das Versprechen der Annonce eingelöst werden kann, soll seine Wohnung modernisiert werden. Nach einer ersten Modernisierungsankündigung kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres folgte im Mai 2017 die detaillierte Ankündigung der geplanten Baumaßnahmen am Gebäude – und in Hoths Wohnung.
Neben der energetischen Sanierung der Fassade, dem Austausch der Fenster und der Instandsetzung des Treppenhauses, des Aufzugs und der Hauseingänge sollen in seiner Wohnung auch die Wohnungstür und die asbestbelasteten Böden ausgetauscht, das Bad modernisiert sowie eine Lüftungsanlage eingebaut werden. „Ein Verbleib in den Wohnräumen während der Baumaßnahmen ist nicht möglich“, heißt es in dem Schreiben, das der Berliner Morgenpost vorliegt. Daher sei es „zwingend erforderlich, Sie mit Baubeginn ab 1.11.2017 für ca. acht Monate in eine Ersatzwohnung umzusetzen“, schreibt die beauftrage Hausverwaltung weiter.
Gleich im nächsten Absatz folgt dann die Berechnung der voraussichtlichen Modernisierungsumlage. Derzeit 773 Euro zahlen die Eheleute Hoth im Monat an Warmmiete – eine Miete, die sich der ehemalige Mitarbeiter der Berliner Verwaltung und die frühere Krankenschwester von ihren Rentenbezügen leisten können. Laut Modernisierungsankündigung soll die Miete für die 75 Quadratmeter große Wohnung nach der Sanierung jedoch auf 1216 Euro steigen. „Diese Wohnung können wir uns dann nicht mehr leisten, das wären 50 Prozent unseres Einkommens“, so der Rentner. Um knapp 60 Prozent würde seine Miete nach der Modernisierung steigen. Aber nicht allein die immense Steigerung der Warmmiete sogar um 57 Prozent ist es, die den 80-Jährigen in Aufregung versetzt.
"Wohin sollen wir denn mit all unseren Möbeln?“
„Wir sind auch einfach zu alt, um noch einmal für so lange Zeit auszuziehen – und eine Verbesserung unserer Wohnung kann ich in den angekündigten Maßnahmen auch nicht entdecken“, sagt Hoth. Das Asbest in den Wohnungen sei fest gebunden, von dem gehe keine Gefahr aus, es sei denn, die Bauteile würden beschädigt. Das sei in ihrer Wohnung aber ohnehin nicht möglich, denn auf eigene Kosten hätten sie sich bereits vor Jahren einen fest abschließenden Parkettfußboden legen lassen.
„Wir sollen die Wohnung vollständig räumen, wohin sollen wir denn mit all unseren Möbeln?“, fragt sich Hoth. Zudem wüsste er nicht, wohin sie ziehen sollten, von der Hausverwaltung sei kein konkretes Angebot über eine Umsetzwohnung im Gebäude gekommen, sondern im Gegenteil der Hinweis, Übergangswohnraum werde man wohl nicht für alle Mieter finden, „sodass wir Sie bereits jetzt bitten müssen, sich Gedanken zu machen, ob Sie eine Unterbringungsmöglichkeit et
wa bei Verwandten haben oder sich aufgrund der enormen Baumaßnahmen mit dem Gedanken tragen, ganz aus der Wohnung auszuziehen“, schreibt die Hausverwaltung.
Zahllose Briefe an die Senatsverwaltung, Bezirksstadträte und Bundestagspolitiker
Tatsächlich haben die Hoths kurz mit dem Gedanken gespielt, auszuziehen. „Ich habe noch Anteilsscheine an einer Berliner Wohnungsbaugenossenschaft. Doch die hat so gut wie keine barrierearmen Wohnungen, die mit Fahrstühlen zu erreichen sind. Zudem hat sie keine Wohnungen in der Nähe, und meine chronisch kranke Frau muss oft zu ihrer Ärztin. Deren Praxis ist gleich um die Ecke.“
Wolfgang Hoth hat sich beim Berliner Mieterverein beraten lassen und die sogenannte Zustimmungserklärung nicht unterschrieben. Stattdessen hat er einen Härtefall geltend gemacht und seinerseits im Juli 2017 eine „Umsetzungsvereinbarung“ an den Verwalter geschickt. In dieser möchte Hoth den Vermieter darauf verpflichten, dass er neben einer Mietminderung während der Umzugszeit, der Prüfung des finanziellen Härtegrundes vor allem eine Rückgabe der gemieteten Wohnung garantiert. „Doch leider hat die Hausverwaltung darauf bis heute nicht reagiert“, sagt Hoth. Immerhin: Die angedrohte Klage auf Duldung sei bislang noch nicht bei ihm eingegangen.
Inzwischen hat Hoth auch zahllose Briefe an die Senatsverwaltung, Bezirksstadträte und Bundestagspolitiker seines Wahlkreises geschrieben. In den Antworten werde stets auf die geltende Rechtslage verwiesen – und dass man kurzfristig nicht helfen könne. „Dass Wohnungen mit Fördermitteln des Staates einfach zu Spekulationsobjekten werden, das haben wir uns nicht vorstellen können. Das verbittert mich“, sagt Hoth abschließend.
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