Air-Berlin-Insolvenz

Lufthansa will neue Verbindungen nach Berlin holen

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Andreas Abel und Gilbert Schomaker
Air Berlin ist Geschichte: Die Lufthansa übernimmt 81 Flugzeuge der Airline

Air Berlin ist Geschichte: Die Lufthansa übernimmt 81 Flugzeuge der Airline

Foto: dpa

Nach der Insolvenz von Air Berlin gibt es neue Pläne der Lufthansa für Berlin. Vorstand Harry Hohmeister im Interview.

Die Insolvenz von Air Berlin sorgt bei der Lufthansa und ihren Tochtergesellschaften wie Eurowings, Austrian Airlines und Swiss für eine stark gestiegene Nachfrage im Luftverkehr von und nach Berlin. Ein Gespräch mit Harry Hohmeister (53), Mitglied im Vorstand der Lufthansa-Gruppe und dort zuständig für das Management der großen Drehkreuze.

Herr Hohmeister, die Lufthansa will vom heutigen Montag an auch Langstreckenflugzeuge in Berlin einsetzen. Wie viele werden das sein?

Harry Hohmeister: Nach der Insolvenz der Air Berlin ist die Nachfrage deutlich gestiegen. Wir reagieren darauf, indem wir aus unseren Drehkreuzen Frankfurt, München, Zürich und Wien die Kapazitäten erhöhen. Vor allem in den Spitzenzeiten müssen wir auch mit größeren Interkontinentalflugzeugen fliegen. Das ist natürlich betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Aber es ist notwendig, um der Nachfrage der Berliner gerecht zu werden. Denn allein durch den Einsatz des größten Kurz- und Mittelstreckenjets, des Airbus A321, wäre das nicht gelungen. Und wir können auch nicht von heute auf morgen die Frequenz erhöhen, also mehr Flüge anbieten.

Aber was heißt das in konkreten Zahlen?

Wir gehen tageweise vor. Lufthansa bietet von morgen bis zum 25. Oktober jeweils einen täglichen Flug von Frankfurt nach Berlin mit einem Airbus A340-300 an. Von München wird in dieser Woche Montag und Dienstag jeweils einmal täglich ein Airbus A340-600 zum Einsatz kommen. Swiss plant für Dienstag und Mittwoch jeweils einen Flug von Zürich nach Berlin mit einem Airbus A330-300 und Austrian Airlines wird am Dienstag eine Boeing 767 von Wien nach Berlin einsetzen. Im November 2017 fliegt dann eine Boeing 747-400 zu den verkehrsreichsten Stunden zwei bis dreimal am Tag von Frankfurt nach Berlin. Der Jumbo ist damit mehr als 60 Mal zu Gast in Tegel.

Was bedeuten Interkontinentalflugzeuge für die Anwohner? Wird es deutlich lauter?

Nein, das sicher nicht. Ich kann die Sorgen der Anwohner aber verstehen, es gibt nur leider derzeit keine Alternative. Wir sprechen auch nicht von einer dauerhaften Lösung. Es ist ein Kompromiss, um schnell zusätzliche Sitzplätze für die Berliner anbieten zu können. Mit dem Beginn des Winterflugplans in der kommenden Woche können wir dann die Anzahl der Flüge mit den Kurzstreckenflugzeugen nach München, Zürich und Wien erhöhen. Nur in Frankfurt können wir das so schnell leider nicht.

Worauf müssen sich die Passagiere einstellen?

Wir wollen nach der Insolvenz von Air Berlin Engpässe vermeiden und Flexibilität, vor allem für Geschäftsreisende, wiederherstellen. Ich kann aber nicht ausschließen, dass es in Stoßzeiten dennoch manchmal knapp wird und einige Kunden dann nicht um 8 Uhr fliegen können, sondern erst um 10 oder 11 Uhr. Es wird Zeiten geben, zu denen nur 60 oder 70 Prozent der Nachfrage gedeckt sind. Aber wir reden dabei nicht von Tausenden Plätzen, die fehlen. Es sind vielleicht 50 bis 60 Passagiere pro Stunde, denen wir einen anderen Flug anbieten. Über den Tag gesehen, reichen die Kapazitäten aus.

Ändern sich die Preise?

Unser Preismodell ändert sich überhaupt nicht. Wir haben im Sommer One-Way-Preise eingeführt und die Preisuntergrenzen gesenkt. Das bleibt so. Auch die Idee, dass hier auf einigen Strecken ein Monopol entsteht und die Flüge deshalb teurer werden, ist falsch. Es gibt schon lange keine streckenbezogenen Preise mehr. Die Preisgestaltung orientiert sich am Wettbewerb über das gesamte Angebot und zwar europaweit.

Der Flughafen Tegel ist bereits sehr ausgelastet. Reichen die Kapazitäten dort aus, um große Flugzeuge abzufertigen?

Die großen Flugzeuge sind nicht unsere Wunschlösung. Unser Wunsch ist es mittel- und langfristig häufiger Berlin anzufliegen, aber das geht erst ab dem nächsten Sommerflugplan. Dann werden wir zum Beispiel drei zusätzliche Verbindungen nach Frankfurt anbieten und auch wesentlich häufiger nach München, Wien und Zürich fliegen. Aber wir müssen uns der Realität stellen. Wir haben nicht von jetzt auf gleich beliebig viele Flugzeuge, Crews und Slots verfügbar, das alles braucht eine gewisse Vorlaufzeit. Deshalb setzen wir vorübergehend in dieser schwierigen Zeit die größten Flugzeuge ein, die verfügbar sind.

Sie können aber mit den Jumbos nicht die Fluggastbrücken benutzen. Die Fluggäste werden längere Wege haben.

Das planen wir gerade. Und es ist klar, dass es in nächster Zeit ein wenig rumpelig wird. Eine Airline der Größenordnung von Air Berlin kann nicht vom Markt verschwinden, ohne dass es jemand merkt. Wir suchen die besten Lösungen unter den gegebenen Bedingungen.

Wie wird sich die Insolvenz von Air Berlin auf den Standort hier auswirken?

Die Insolvenz ist eine Tragödie für die Stadt und vor allem für die Mitarbeiter. Wir als Lufthansa Group leisten, was wir können. Was die Flugverbindungen angeht, werden wir die Hauptverkehrsströme und damit die wichtigsten 80 Prozent des Berliner Flugverkehrs gut abdecken können. Kapazitäten werden eher an den Rändern fehlen, also zum Beispiel bei Zielen wie Danzig, Hurghada oder Keflavik auf Island. Da wird eventuell manches aus dem Portfolio herausfallen.

Sie wollen also nicht alle bisherigen Air-Berlin-Ziele ansteuern?

Dort, wo wir mittelfristig einen wirtschaftlichen Erfolg erwarten, haben wir das vor. Aber wie wir jetzt an den Zahlen von Air Berlin sehen, war nicht alles wirtschaftlich erfolgreich. Wir können und wollen nicht die Air-Berlin-Aktivitäten eins zu eins kopieren. Air Berlin hat im vergangenen Jahr einen Verlust von 780 Millionen Euro erwirtschaftet und rechnerisch bei jedem Passagier mindestens 25 Euro draufgelegt.

Denken Sie an neue Ziele?

Ja, wir denken über neue interkontinentale Verbindungen nach. Das hat es ja auch lange nicht gegeben in Berlin. Ab dem 8. November fliegen wir fünfmal pro Woche direkt ab Berlin nach New York. Im Vordergrund steht jetzt aber erst einmal die nächste Woche, das ist eine außergewöhnliche Situation, ein Notfall. Dann kommt der Winterflugplan, das ist eher ein Reparaturbetrieb. Der nächste Sommer ist operativ noch weit weg, da möchte ich noch keine Versprechungen zu neuen Verbindungen machen. Wir haben ja auch keine ungenutzten Flugzeuge am Boden, die Nachfrage ist groß. An die Strategie gehen wir, wenn wir die Situation nach der Air-Berlin-Insolvenz gut im Griff haben.

Übernehmen Sie Terminal C in Tegel?

Fragen Sie uns bitte in drei Wochen dazu.

Bleibt Tegel der Hauptflughafen für die Lufthansa in Berlin?

Ja, bis klar ist, was aus dem BER wird.

Eurowings übernimmt von Air Berlin die Firmen Niki und Luftverkehrsgesellschaft Walter (LGW). Wollen Sie darüber hinaus Beschäftigte von Air Berlin einstellen?

Die Lufthansa Group wächst, da entstehen Stellen, vor allem für Kabinenpersonal. Diese Stellen schreiben wir aus, jeder kann sich bewerben. Wir werden in den kommenden beiden Jahren mehrere Hundert neue Mitarbeiter einstellen. Da sind uns Air-Berlin-Kollegen herzlich willkommen. Grundsätzlich müssen die Bewerber aber bereit sein, den Standort zu wechseln.

Politiker fordern, auch die Lufthansa solle in die geplante Transfergesellschaft für Air-Berlin-Beschäftigte investieren. Warum sind Sie nicht dazu bereit?

Man sollte anerkennen, was die Lufthansa getan hat, um möglichst viel von Air Berlin zu retten. Wir übernehmen zwei ihrer Gesellschaften mit insgesamt 1700 Mitarbeitern, wir stellen 1300 neue Mitarbeiter ein. Das kostet uns in der Summe mit Flugzeugen, Umschulungen et cetera 1,5 Milliarden Euro. Unsere Möglichkeiten sind nicht unendlich, wir müssen das alles ja auch verdienen. Vor zwei Jahren wäre ein solches Investment noch undenkbar gewesen. Und 1,5 Milliarden haben die anderen Interessenten offensichtlich nicht geboten, sonst hätten wir den Zuschlag nicht bekommen. Aus dieser Summe kann dann auch der 150-Millionen-Euro-Kredit der Bundesregierung zurückgezahlt werden.

Wie viele Flugzeuge der Air-Berlin wollen Sie kaufen?

Wenn die Wettbewerbsbehörden zustimmen, übernehmen wir zwei komplette Flugbetriebe, nämlich Niki und die Luftverkehrsgesellschaft Walter. Zusammen mit den bereits geleasten Jets sind es insgesamt 81 Flugzeuge, die wir in den Flugbetrieb integrieren.

Wieso übernimmt die Lufthansa nicht die Bonusmeilen von Air Berlin? Wäre das nicht gut zur Kundenbindung?

Die Frage stellt sich eigentlich gar nicht, da wir aus kartellrechtlichen Gründen ja nur Teile der Air Berlin übernehmen. Davon abgesehen haben wir mit Miles and More ein starkes, stetig wachsendes Prämien- und Vielfliegerprogramm. Hier honorieren wir, dass sich Kunden bewusst für uns entscheiden. Ihnen gegenüber wäre eine eventuelle Übernahme aus meiner Sicht auch nicht ganz fair gewesen.

Eine Mehrheit der Berliner hat sich im Volksentscheid dafür ausgesprochen, dass Tegel offenbleiben soll. Die Lufthansa möchte das nicht.

Das haben wir nicht gesagt. Das müssen Politik und Wirtschaft in Berlin entscheiden. Wenn sie sich abweichend von den bisherigen Plänen jetzt dafür entscheiden, zwei Flughäfen betreiben zu wollen, dann nehmen wir das zur Kenntnis und können damit leben. Was wir benötigen, ist eine ausreichende Infrastruktur, um die Nachfrage, die sich am Markt entwickelt, bedienen zu können – auch langfristig. Wenn man allerdings mit der Infrastruktur in Tegel weiterarbeiten will, wird man sie irgendwann sehr gründlich renovieren müssen. Alles so zu lassen, wie es ist, ist die schlechteste Lösung.

Sie würden nicht beide Flughäfen nutzen?

Nein, wir müssten uns betrieblich auf einen Flughafen konzentrieren. Alles andere wäre unwirtschaftlich und ist eine naive Vorstellung. Nach welchem Mechanismus sollte denn unser Flugverkehr verteilt werden? Man müsste dann zu einer anderen Aufteilung kommen, also zwischen Airlines. Das aber ist eine politische Frage und ein sehr komplexer Prozess, den man sich gut überlegen muss. Auf jeden Fall müsste an zwei Enden investiert werden.

Reichen die Ausbaupläne für den BER aus?

Prognosen sind schwierig. Die Frage ist, welches Potenzial der BER mittel- und langfristig hat. Wenn die vorgestellten Ausbaumaßnahmen für die nächsten 20 Jahre gedacht sind, dann werden sie mit Sicherheit nicht ausreichen. Reichen sie für die nächsten zehn Jahre? Das muss man sehen. Andererseits werden auch in Tegel zehn Millionen Fluggäste pro Jahr über die eigentliche Kapazität hinaus abgefertigt. Vielleicht geht auch am BER mehr als bisher gesagt wird.

Kann der BER eine Rolle als Drehkreuz spielen?

Als ein Drehkreuz wie München oder Frankfurt – nein. Dazu ist er zu klein. Außerdem haben wir mit Zürich und Wien bereits vier Drehkreuze auf relativ engem Raum. Ein fünftes ist nicht zweckmäßig, da muss man ehrlich sein. Wir werden in Berlin Interkontinentalverbindungen anbieten, aber wir werden hier nicht wie in München knapp 30 Langstreckenflugzeuge stationieren.

Also werden die Berliner bei Langstreckenflügen weiterhin in der Regel von Frankfurt oder München starten?

Da wird sich wenig ändern, es bleibt wie bisher – wir bieten den Berlinern Verbindungen in die ganze Welt über unsere Drehkreuze. Bei Langstreckenflügen bestimmt allein der Markt die Realität, alles andere ist nicht bezahlbar.

Video Playlist Insolvenz Air Berlin
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