Georg Pazderski nimmt üblicherweise kein Blatt vor den Mund. Er will den Ansichten der Berliner AfD Gehör verschaffen – das ist auch sein Job als Partei- und Fraktionsvorsitzender. Mangelnden Fleiß kann man ihm dabei nicht vorwerfen: Seit Jahresbeginn veröffentlichte er mehr als 15 Pressemitteilungen.
Am Donnerstag fiel der mächtigste Mann der Hauptstadt-AfD allerdings eher durch lautes Schweigen auf. An seinem Telefon meldete sich nur die Mailbox – und die dort hinterlassene Bitte nach einem Rückruf verhallte folgenlos. Das ist bemerkenswert. Denn angesichts der umstrittenen Rede des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke zum Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus dürften sich nicht nur Journalisten, sondern auch Anhänger und Sympathisanten seiner eigenen Partei fragen, was Pazderski von den Worten seines Parteifreundes hält.
Höcke hatte, wie berichtet, am Mittwoch vor Parteifreunden und Pegida-Anhängern von einer „dämlichen Bewältigungspolitik“ gesprochen. Bis jetzt sei der deutsche Gemütszustand der „eines total besiegten Volkes“. „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“, hatte Höcke gesagt – und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Selbst Parteifreunde, etwa der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Marcus Pretzell oder die Bundesvorsitzende Frauke Petry, distanzierten sich von Höckes Formulierungen.
Keine Stellungnahme zu Höcke
Die Spitze der Berliner AfD hat sich dagegen offenbar für eine Strategie des Schweigens entschieden. Nein, eine offizielle Stellungnahme zu Höcke werde es nicht geben, sagten auf Anfrage Parteisprecher Ronald Gläser und Fraktionssprecher Thorsten Elsholtz. Parteiintern werde sich Pazderski, so heißt es aus seinem Umfeld, allerdings am Freitag in der Sitzung des Bundesvorstands zu Wort melden – und Höckes Rede kritisieren. Warum er dies nicht in der Öffentlichkeit macht, bleibt offen.
Dafür äußern sich andere. Frank-Christian Hansel etwa, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion und ausgewiesener Vertreter des liberalen Parteiflügels, schreibt auf Twitter, dass die AfD, um zu fliegen, zwar (politische) Flügel brauche. In Anspielung auf Höckes politischen Wirkungsbereich in Thüringen schreibt Hansel aber auch: „Aber keinen Selbstzerstörungshebel im Cockpit der Erfurter Regionallinie“. Auf Anfrage der Berliner Morgenpost bezeichnet Hansel die Verbrechen des Nationalsozialismus als „monströse historische Schande“. Das „ehrliche und unverklemmte Bekenntnis“ dazu müsse Teil des geschichtspolitischen Selbstbildnisses sein. Von der für Freitag anberaumten Sitzung des Bundesvorstandes erwarte die Partei „eine geschlossene Antwort“ zu Höckes Äußerungen.
Der AfD-Abgeordnete Andreas Wild, der als Protagonist des äußerst rechten Parteiflügels gilt, sagt dagegen, er habe Höckes Rede „klasse“ gefunden. Höcke sei falsch interpretiert worden. Er habe nicht das Holocaust-Mahnmal, sondern den Holocaust selbst als „Schande“ bezeichnet, behauptet Wild. Richtig sei aber, dass nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch die Kaiserzeit und Martin Luther zur deutschen Geschichte gehörten. Diese würde aber zu wenig beachtet. Dann sagt Wild, dass der „Schuldkult der Deutschen“ ein Problem sei – und bemüht damit einen Begriff, den nicht nur Pegida-Anhänger nutzen, sondern der auch zum Vokabular der NPD und anderer rechtsextremer Parteien gehört.
Höcke selbst unterstellt seinen Kritikern unterdessen „bösartige und bewusst verleumdende Interpretationen“. Er habe „den Holocaust, also den von Deutschen verübten Völkermord an den Juden, als Schande für unser Volk bezeichnet“. Er habe gesagt, „dass wir Deutsche diesem auch heute noch unfassbaren Verbrechen, also dieser Schuld und der damit verbundenen Schande mitten in Berlin, ein Denkmal gesetzt haben“.
Politikwissenschaftler hält Höcke für unglaubwürdig
Der Politikwissenschaftler Hajo Funke hält Höckes nachträgliche Interpretation angesichts des Kontextes seiner Rede, in der Höcke „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hatte, für unglaubwürdig. „Wenn Höcke etwas anderes sagen wollte, hätte er das in der Rede machen können“, sagte Funke auf Anfrage der Berliner Morgenpost. Die Art der Rede kenne er „üblicherweise von Neonazis“, so der AfD-Experte. AfD-Anhänger, die Höckes Ansichten nicht teilten, müssten nun seinen Parteiausschluss fordern. „Alles andere ist unglaubwürdig“, sagte Funke.
Einen solchen Ausschluss forderte aus dem Bundesvorstand bisher nur der dort als Beisitzer vertretene AfD-Politiker Dirk Driesang. In einem offenen Brief an Höcke fordert er diesen auf, sich zu ändern oder die Partei zu verlassen. Aus dem Berliner Landesverband sind Forderungen dieser Art bisher nicht zu vernehmen.