Wirtschaft

Berlin ist der innovativste Wirtschaftsstandort

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Jürgen Stüber
In Berlin können junge Unternehmen besonders gut Fuß fassen

In Berlin können junge Unternehmen besonders gut Fuß fassen

Foto: dpa Picture-Alliance / Jörg Carstensen / picture alliance / dpa

Die Hauptstadt belegt Platz 1 im Ranking der Bundesländer dank Ausbildungsniveau und Gründerszene. Bei Patenten gibt es Nachholbedarf.

Die Bundeshauptstadt ist der innovativste Wirtschaftsstandort Deutschlands. Zu diesem Ergebnis kommt der am Mittwoch veröffentlichte Innovationsindex der Direktbank ING-DiBa. Das Geldhaus ist ein Tochterunternehmen des niederländischen Finanzdienstleisters ING und hat in Deutschland acht Millionen Kunden.

„In der Hauptstadt wohnen nicht nur besonders viele junge Leute, auch das Ausbildungsniveau der Menschen ist überdurchschnittlich hoch“, heißt es in der Studie. „Hinzu kommen die höchste Beschäftigungsquote im Hochtechnologiesektor und eine starke Gründerszene.“

So stieg 2015 die Zahl der Erwerbstätigen in den Bereichen Finanz- und Versicherungsdienstleister sowie Grundstücks- und Wohnungswesen im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 Prozent. Für Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation haben die Statistiker ein Plus von 2,8 Prozent errechnet.

„Berlin hat deutschlandweit das höchste Potenzial an Chancen und Talenten“, sagt auch Nicolas Zimmer, Chef der Technologiestiftung Berlin. „Die Frage ist aber, wie diese Potenziale ausgeschöpft werden.“ Da gebe es in Berlin noch Luft nach oben. Auch Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) sagt: „In den vergangenen Jahren wurde in Berlin der Schalter umgelegt. Berlin ist zurück auf der Landkarte technologiestarker Industriestandorte.“

Start-ups in Berlin: News aus der Gründerszene

Der Index sieht einen Zusammenhang zwischen Innovation und Wirtschaftswachstum. Hier liegt Berlin seit zwei Jahren mit einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 2,5 Prozent ganz vorn. „Diese Innovationskraft schlägt sich allerdings noch nicht in den Patentanmeldungen nieder“, so die Studie. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 47.377 Erfindungen zum Patent angemeldet.

Davon stammen nur 840 oder 1,8 Prozent aus Berlin, wo die Technologiefelder Medizin, Messtechnik und Datenverarbeitung stark sind. Der Erfindungsreichtum Deutschlands konzentriert sich dagegen auf Bayern und Baden-Württemberg. Auf diese beiden Bundesländer entfallen mehr als 60 Prozent aller deutschen Patente.

Spitzenplätze in fast allen Kategorien erreicht

Trotzdem behauptet sich Berlin im Wettstreit der 16 Bundesländer. Dazu zieht die Studie neben den Patenten sieben weitere Indikatoren heran, die für Innovationskraft sprechen: unter anderem den Anteil der Jüngeren und Selbstständigen, der Beschäftigten mit Hochschulabschluss, die Unternehmensdynamik, die Internetversorgung und die Zahl der Start-up-Gründungen. „Ein genauer Blick auf die verschiedenen Bundesländer zeigt, dass Berlin in fast allen Kategorien den Spitzenplatz belegt“, bilanziert die Studie.

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa, sieht Berlin auf einem nachhaltigen Wachstumspfad. „Der Vorsprung von Berlin auf die anderen Bundesländer ist so groß, dass der Spitzenplatz sicherlich einige Jahre lang behauptet werden kann“, sagte er der Berliner Morgenpost. „Wenn Ideen und Innovation noch besser versilbert werden – in der Form von mehr Patentanmeldungen –, braucht man sich über die Innovationskraft der Stadt keine Sorgen zu machen.“

Der Chefvolkswirt rät zudem, den Blick auf die Eurozone zu lenken. Viele Nachbarländer sind seiner Studie zufolge dabei, Deutschland zu überholen. „Im europäischen Vergleich laufen uns Länder mit einer jüngeren Altersstruktur, mehr Selbstständigkeit, höherer Bildung und mehr Beschäftigung im Hightech-Sektor im Augenblick noch den Rang ab“, sagt Brzeski. „Und dann haben wir uns den Anteil von Highspeed-Internet noch nicht einmal angeschaut.“

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Beim Innovationsindex der Direktbank ING-DiBa punktet Berlin auf den Gebieten von Start-ups und Hightech, während die anderen Bundesländer in den Disziplinen Unternehmensdynamik und Hochtechnologie an Terrain verlieren. Diesen Trend bestätigen andere Studien: So hat das Institut für Strategieentwicklung (IFSE) errechnet, dass junge Unternehmen in Berlin bereits 13.200 Arbeitnehmer beschäftigen.

In einer Arbeitgeber-Rangliste würden die Start-ups damit (zusammengerechnet) gleich hinter der BVG und noch vor Siemens erscheinen. Insgesamt zählte die Studie in Berlin 620 Start-ups, von denen vier Fünftel weniger als 22 Mitarbeiter beschäftigen.

„Berlins starke Forschungseinrichtungen stehen für die Innovationskraft des Standorts und ziehen nationale und internationale Unternehmen sowie Startups gleichermaßen an“, beschreibt Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) die aktuelle Entwicklung. Zahlreiche DAX-Unternehmen kommen nach ihren Worten in die Stadt, „um mit der vibrierenden Startup-Szene zu kooperieren und ihre Pipelines zu füllen. Sie kommen auch, weil sie hier die Talente finden.“

"Erfolge aus der Vergangenheit bieten keine Garantie für die Zukunft“

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht sogar von 6500 Unternehmensgründungen mit einem hohen Innovationspotenzial im vergangenen Jahr in Berlin aus. „Damit liegt Berlin gleichauf mit München und Hamburg“, interpretiert das DIW die Datenlage in ihrem Dossier. Jede sechste Gründung in Berlin sei innovativer Art, heißt es dort.

Während sich Deutschland im Großen und Ganzen innovativ zeigt, klaffen zwischen den Bundesländern große Lücken. Insbesondere die direkten und indirekten Nachbarländer Berlins im Osten der Republik finden sich auf den letzten Plätzen des Innovationsrankings wieder. Als Grund wird dafür die demografische Struktur und damit das geringe Potenzial an Jugendlichen genannt.

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Ing DiBa, rät Berlin, sich auf den Lorbeeren der Studie nicht auszuruhen: „So wie überall gilt natürlich auch bei unserem Ranking: Erfolge aus der Vergangenheit bieten keine Garantie für die Zukunft.“

So sieht das auch Nicolas Zimmer, der Chef der Technologiestiftung Berlin: „Chancen sind immer nur so gut, wie sie am Ende genutzt werden.“ Innovation müsse auch als Stadtinnovation gesehen werden.