Christentum

Immer mehr Flüchtlinge in Berlin lassen sich taufen

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Christine Eichelmann
Jörg Gerasch (r.), Pastor in der evangelisch-freikirchlichen Josua Gemeinde in Spandau, hat den ehemals moslemischen Iraker Adel getauft

Jörg Gerasch (r.), Pastor in der evangelisch-freikirchlichen Josua Gemeinde in Spandau, hat den ehemals moslemischen Iraker Adel getauft

Foto: Sergej Glanze / Glanze

An Ostern wird traditionell gerne getauft. Neuerdings konvertieren auch Flüchtlinge. Viele haben aber Angst vor Anfeindungen.

Stockdunkel wird es sein in der Friedenskirche an diesem Sonntagmorgen. Die ganze Gemeinde wartet dann im Finstern darauf, dass der Pastor hereinkommt, mit drei Menschen ganz in Weiß. An deren Kerzen werden alle ihre Lichter entzünden und verfolgen, wie die drei in ein Wasserbecken steigen und untertauchen.

Seit Jahrhunderten ist Ostern ein Taufdatum, die Zeremonie bei den Charlottenburger Baptisten ist Normalität. Ungewöhnlich dagegen die Geschichten der Täuflinge: Atieh (30), ihr Mann Farhad (31) und sein 21 Jahre alter Namensvetter kamen im Oktober aus Teheran, das Paar im Flugzeug, der junge Farhad via Mittelmeer und Balkanroute. Unterkunft fanden sie in Tempelhof, ein Gefühl von „Zuhause“ gibt ihnen die Kirche an der Bismarckstraße. Laut möchte er es herausschreien, sagt der ältere Farhad, das mit der Taufe. Und doch reden Konvertiten aus dem Islam wenig über die zweite große Zäsur nach der Flucht. Aus Angst um die Familie in der Heimat, wo die Abkehr von Allah als todeswürdig gilt. Und für ihre Sicherheit: Religiös Radikale gibt es auch unter Asylbewerbern.

Kein Massenphänomen, aber das Interesse steigt

Wie viele Geflüchtete islamischer Herkunft sich in Berlin taufen lassen, weiß keiner. Von einer statistisch nicht messbaren Größe sprechen offiziell katholische und evangelische Kirche, die Mitgliederbilanz 2015 liegt noch nicht vor. Inoffiziell bekennen evangelische Pfarrer, mit den Konversionen gehe ihre Kirche ungern hausieren. Manche wähnen dahinter Sorgen um den interreligiösen Dialog mit dem Islam. „In der Landeskirche gibt es eventuell eine Zurückhaltung, Menschen in Not mit Taufangeboten zu begegnen“, formuliert es vorsichtig Christoph Heil, Sprecher der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO). Man wolle Muslime nicht von sozialen Angeboten abschrecken.

Dennoch sah man 2013 Bedarf für eine Handreichung „Zum Umgang mit Taufbegehren von Asylsuchenden“, die auch Freikirchen als Leitfaden gilt. Es gebe „Menschen aus dem Iran, aus Afghanistan, Pakistan, Vietnam, der Türkei, Syrien, Ägypten und anderen Ländern, für die das Christsein eine besondere Attraktivität entfaltet“, heißt es da. Seit dieser Schrift bekundeten „einige Pfarrer eine große Bereitschaft“, ihre Gemeinde für taufwillige Moslems zu öffnen, sagt Heil. Es gebe unter Flüchtlingen „zumindest ein wachsendes Interesse, wenn auch kein Massenphänomen“, bestätigt Christoph Soyer von der Katholischen Glaubensinformation, einer Art Empfangspforte des Erzbistums Berlin für religiös Suchende.

Vor allem die Freikirchen wachsen durch den Zustrom

In den Kirchen vor Ort werden die Konturen klarer. Gerade Farsi Sprechende integrieren sich dort gleich zu Dutzenden. Die evangelische Hausgemeinschaft in Neukölln, eine Gliederung unter dem Dach der EKBO, hatte früher etwa 40 Mitglieder. Nun wächst sie seit Jahren durch iranische und afghanische Konvertiten. 2015 waren es 70, allein im April 2016 sollen es ebenso viele sein. „Zu Ostern zu taufen, schaffen wir gar nicht“, sagt Diakonissin Schwester Rosemarie. Überwiegend junge Leute seien es, in ihrer Heimat Mittelschicht. Manche waren dort heimlich christlich orientiert, andere kamen hier zum neuen Glauben.

Pfarrer Jens Jacobi von der evangelischen Melanchthon-Kirche in Spandau taufte Anfang 2016 zehn Iraker. Ein Thema sei das in allen Gemeinden, glaubt er. Vor allem Freikirchen gehen mit dem Phänomen offen um. „Es ist wohl so, Konvertiten kommen eher in den Freikirchen an als in den großen Kirchen“, sagt Andrea Meyerhoff vom überkonfessionellen Netzwerk „Gemeinsam für Berlin“, das am ehesten den Überblick über die christlichen Strömungen in der Stadt behält. Eine bunte Mischung arabischer Asylbewerber schloss sich der evangelisch-freikirchlichen Josua-Gemeinde in Spandau an. Sein Bruder verbot ihm den Kontakt zu christlichen Freunden, erzählt der Iraker Adel. In einer Kirche in Bagdad erlebte er dann eine Explosion: „Ich hatte Angst.“ Auch die Mutter riet zur Flucht. Seine Taufe in Spandau im Januar – „das war der glücklichste Tag meines Lebens“, sagt der 25-Jährige.

Sähen allerdings Moslems sein Kreuz, bespuckten sie es schon mal und drohten ihm, sagt Adel. Im Februar rückte auf dem Tempelhofer Feld Polizei an, weil christliche Flüchtlinge von islamischen bedroht wurden. Heiner Koch, katholischer Erzbischof, kündigte am Dienstag an, sich für den Schutz geflüchteter Christen einzusetzen. Emmanuel Sfiatkos, Vorsitzender des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg, mahnt: „Auch wenn es vielleicht nur Einzelfälle sind, ist die Diskriminierung und Bedrohung christlicher Flüchtlinge in den Unterkünften ein Problem, das dringend angegangen werden muss.“

Die Konvertiten eint Freiheitsdrang und Islamkritik

Und doch: Mission geht oft genug von Geflüchteten aus. Getaufte bringen andere zur Kirche mit, die Konfession scheint zweitrangig: „Die Wahl der Gemeinde bestimmen eher soziologische Gründe“, sagt Matthias Linke, Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde in Kreuzberg. Ihm rennen Iraner zwar nicht die Tür ein wie der lutherischen Dreieinigkeitsgemeinde in Steglitz, die zu mehr als die Hälfte Iraner und Afghanen stellen. Bei Linke gab es 2015 vier solcher Übertritte, dazu kam eine Ägypterin. Alle Konvertiten, so Linke, eine ihr Freiheitsdrang und die Islamkritik: „Sie beschreiben das Christentum als Religion der Freiheit.“

In der evangelischen Friedensgemeinde in Charlottenburg ist derzeit jeder zehnte Iraner. Hendrik Kissel pflegt wie andere Pfarrer einen intensiven religiösen Dialog, in einigen Kirchen „Taufkurs“ genannt. Wessen Bekenntnis nicht glaubhaft schien, den bat Pastor Linke in Kreuzberg schon mal, den Schritt noch zu prüfen. Ohnehin ist er nicht risikolos: Vor dem Betonen der Konversion im Asylverfahren warnen viele Pfarrer. Das könne auch als taktischer Schritt gewertet werden, so Schwester Rosemaries Erfahrung.