60er-Jahre Baukunst aus Beton: Ein Besuch mit der Architektin Regine Leibinger in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum am Heckerdamm.
Die Kirche schwebt. Vier Meter über dem Boden wirkt der fensterlose Baukörper trotz seiner massiven Fülle hinter der hellen Fassade aus Kieselsteinmarmor geradezu erhaben. Dem Himmel ein Stück näher. „Gucken Sie mal, das ist doch fantastisch“, sagt Regine Leibinger.

Die 52-jährige Architektin macht uns auf eine der quer stehenden schmalen und dunklen Stützmauern aufmerksam, die den Kirchenbau tragen. „Das ist doch irre“, schiebt Leibinger schnell nach. Die Mitbegründerin des renommierten Büros „Barkow Leibinger Architekten“ ist, wie sie selbst sagt, „fasziniert von dieser Baukunst aus Beton“.
Leibinger plant mit ihrem Mann und Kollegen, dem gebürtigen Amerikaner Frank Barkow gerade in Berlin Deutschlands höchsten Hotelbau, den Estrel-Turm in Neukölln. Das Büro Barkow Leibinger hat bereits vis à vis am Hauptbahnhof mit dem Tour Total die Berliner Hochhauslandschaft bereichert oder jüngst erst die Lücke am Aufbauhaus mit einem weiteren Neubau am Kreuzberger Moritzplatz geschlossen.
Jetzt steht die eher zierliche Architektin auf dem großen kopfsteingepflasterten weiten Freihof vor der katholischen Gedenkkirche Maria Regina Martyrum am Heckerdamm im nördlichen Charlottenburg.
Die riesige Freifläche wirkt bedrückend
Die riesige Freifläche vor der Kirche wirkt trotz ihrer Weite durch die Fassung in vier Meter hohe Mauern aus dunklen Basaltsteinen sehr düster und im ersten Moment auch sehr bedrückend.
Zum Heckerdamm hin fällt an einer Ecke des Areals der Glockenturm ins Auge. Nüchtern und schlicht gestaltet, offenbart primär das Kreuz, dass der eckige und nicht begehbare Betonturm Teil eines Kirchenkomplexes ist. Fast scheint es, dieser Bauteil könnte einmal ein Wachturm gewesen sein.
Warum der Glockenturm nicht 40 Meter hoch ist
„Der Glockenturm sollte doppelt so hoch werden, er war mit mehr als 40 Meter Höhe geplant“, weiß Frau Leibinger zu berichten. Doch wegen der Nähe zum Flughafen Tegel wurden diese Pläne gecancelt, der Turm nur etwas über 20 Meter hoch gebaut – Berliner Traufhöhe.
Regine Leibinger ist gut vorbereitet auf die Präsentation dieser Kirche. Ursprünglich wollte uns die Wahlberlinerin aus der Nähe von Stuttgart den „Umlauftank 2“ in Tiergarten von Ludwig Leo näher bringen.
Doch dieses teils rosafarbene bekannte Baudenkmal der 70er-Jahre wird gerade aufwendig saniert, ist eingerüstet und deshalb natürlich auch nicht zugänglich. Anders die Gedenkkirche am Heckerdamm. Sie ist ein offenes Haus, nicht weniger interessant, nur möglicherweise weniger bekannt.
Ein Ort zum Gedenken der Märtyrer
Der als Denkmal eingetragene Baukomplex wurde 1963 nach dem Entwurf des Dombaumeisters Hans Schädel und des Architekten Friedrich Ebert fertig gestellt. Als Ort, an vor allem der Märtyrer gedacht werden soll, die unweit dieser Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus in Plötzensee zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Plötzensee war 1933 bis 1945 Hinrichtungsstätte für 2891 Menschen.
Die Kirche wurde durch ein Kloster erweitert
20 Jahre nach ihrem Bau wurde die Gedenkkirche am Heckerdamm zudem in den 80er-Jahren durch ein Kloster erweitert. Dessen Gemeinschaft zählt derzeit elf Schwestern, wie uns Schwester Teresia Benedicta erläutert. Die Priorin steht der Klostergemeinschaft vor und begleitet uns bei dem Besuch der Gedenkkirche.
Sie sei ein Fan dieser Architektur der 60er-Jahre betont Regine Leibinger, als wir vor dem Betonbau stehen und erst einmal die gesamte Anlage in all ihrer Wucht auf uns wirken lassen.
Die „Apokalyptische Frau“ glänzt golden in der Sonne
Hinter dem weit geöffneten Stahltor und dem Freihof liegt der Kirchenbau vor uns. In der Herbstsonne glänzt die goldene Skulptur „Apokalyptische Frau“ über dem Eingang auf der Fassade. „Die bräuchte es nicht unbedingt“, sagt Regine Leibinger.
„Das Ganze hier berührt einen besonders, wenn man die Geschichte von Plötzensee kennt und weiß, dass auch der Bendlerblock unmittelbar mit Plötzensee zusammenhängt“, betont die Architektin.
Dass man an dieser Stelle ganz bewusst der Märtyrer gedenke, beeindrucke sie. „Das ist eine tolle Geste“, sagt Regine Leibinger und blickt auf die Kirche. „Sie ist in ihrer schlichten und durchdachten Gestaltung einfach brillant.“
„Hier geht es um das Abgeschiedensein“
Auch der Freihof sei „schön“, sagt die Architektin. Wobei sie das Attribut schön keineswegs oberflächlich dahergesagt verstanden wissen will. Was sie an diesem Platz denn „schön“ finde? Leibinger antwortet bedächtig: „Mir gefällt, dass ich hier, sobald ich durch das große Tor getreten bin, erst einmal aus allem rausgezogen werde. Hier geht es um das Abgeschiedensein, in diesem weiten Raum zu stehen und sich das Ganze langsam zu erarbeiten.“
Dass man auf diesem großen Platz angesichts der Leere und der dunklen Mauern erst einmal bedrückt ist, sei ja durchaus beabsichtigt, bestätigt Regine Leibinger unsere Wahrnehmung.
Eine Frage der Perspektive
Und auch Schwester Benedicta sagt: „Ich kann sofort nachvollziehen, dass man beim ersten Gang auf den Freihof erschlagen ist. Aber es kommt natürlich auch darauf an, worauf man seinen Blick lenkt.“
So ist der Gesamtkomplex von Maria Regina Martyrum keineswegs ausschließlich dunkel, düster und bedrückend. Ganz im Gegenteil. Vor allem im Inneren dieser wirklich einzigartigen Kirche beeindruckt die ebenso reduzierte wie offene und auch lichte Gestaltung. Ausdruck von Hoffnung, der die Architekten hier auch Raum gewähren.
Eine schlichte unprätentiöse Betontreppe führt zu der beeindruckenden Oberkirche, zunächst direkt zur Taufkapelle. Hier verleihen die schimmernden, weil vergoldeten Betonwände dem Raum um das runde Taufbecken eine ebenso feierliche wie gedämpfte Stimmung. Dagegen wirkt das riesige und hohe Kirchenschiff in seiner ganzen Dimension kraftvoll und klar. Begrenzt wird es am Ende über der Treppe durch eine Orgel- und Sängerempore - natürlich auch aus Beton.
Raumhohes Altargemälde mit warmen Pastelltönen

„Schauen Sie mal, wie schön das hier ist“, sagt Frau Leibinger und lenkt unseren Blick auf das fast raumhohe riesige moderne Altargemälde von Georg Meistermann. Das Bild am Ende des hohen Kirchenschiffes schafft mit seinen Pastellfarben einen warmen Kontrast zu den rauhen und grauen Betonwänden. Sie wirken durch bewusste Sprünge dank vertikaler und horizontaler Verschalung in ihrer Schlichtheit dennoch auch sehr lebendig. Dies wiederum wird durch das Licht verstärkt, das von oben aus den Lichtbändern an der Seite der mit Holz getäfelten hohen Decke hinab leuchtet.
Der stützenfreie riesige Raum der Kirche die bewusst ostwärts Richtung Plötzensee gerichtet ist, hat eine enorme Wirkung. Auch hier kommt Scharouns Satz in den Sinn, den der Architekt Volkwin Marg bei unserem Besuch der Staatsbibliothek zitiert hat: „Der Raum ist Luxus“.

Gebe es nicht den Altar, die Empore mit der Orgel und die frühgotische Madonna mit Kind, man könnte sich fast in einem modernen wie großzügigen und schlichten Veranstaltungsraum wähnen. Aber wir stehen mitten in einer Kirche.
Dass dieses außergewöhnliche Bauwerk mit seiner fensterlosen Fassade und dem nach Innen gekehrten Wesen des Raumes an die Deutsche Oper in der Bismarckstraße erinnert , verwundert nicht. Beide Gebäude, die Oper (1956-10961) von Fritz Bornemann wie auch die Kirche (1963) von Dombaumeister Horst Schädlich und Friedrich Ebert sind Bauten einer Zeit.
Die hat es Regine Leibinger angetan. „Ich liebe diese Architektur der 60er- Jahre. Sie hat eine Zurückhaltung und so eine Strenge und Klarheit“, sagt Leibinger. Sie sehe da eine Verwandschaft . Auch im „Interesse am Material, an einer reduzierten Form. Damit viel zu bewirken und atmosphärisch rauszuholen, das entspricht auch der Haltung unseres Büros.“
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