Nahverkehr in Berlin

Eine App verrät, ob der Aufzug funktioniert

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Thomas Fülling
Bis 2017 sollen Busse und Bahnen der BVG barrierefrei sein. Das hilft nicht  nur Menschen mit Behinderungen

Bis 2017 sollen Busse und Bahnen der BVG barrierefrei sein. Das hilft nicht nur Menschen mit Behinderungen

Foto: imago/Steinach / IMAGO

Die BVG muss sich auf immer ältere Kunde einstellen. Doch 64 U-Bahnhöfe sind noch nicht barrierefrei. Immerhin gibt es eine neue App.

Raúl Krauthausen ist auf den Rollstuhl angewiesen. Das elektrisch angetriebene Gefährt verhilft ihm zu einer Bewegungsfreiheit, wie sie für viele seiner Mitmenschen eine Selbstverständlichkeit ist. Doch im Berliner Alltag stößt Krauthausen allerdings immer wieder auf unüberwindbare Barrieren. Eine davon nennt er „Problem-Bahnhöfe“. Das sind Stationen wie etwa der Bahnhof Jannowitzbrücke in Mitte. Einer der wichtigen Verkehrsknoten der Stadt, die das Streckennetz der S- und der U-Bahn miteinander verflechten. Doch während Krauthausen zum S-Bahnsteig hinauf mit dem Aufzug fahren kann, steht ihm eine solche Hilfe zum U-Bahnhof nicht zur Verfügung , zumindest bislang nicht.

„Eigentlich kann man in Berlin mit öffentlichen Verkehrsmitteln alles innerhalb von einer halben Stunde erreichen. Doch kommt eine solche Hürde dazwischen, kann daraus auch ganz schnell mal eine Stunde und mehr werden“, sagt Krauthausen. Selbst in Bahnhöfen, in denen Aufzüge schon eingebaut sind, kann es schnell mal nicht weitergehen. Steht nur einer still, ist der Weg zum Ziel schnell unterbrochen. „Gefühlt steht ja in Berlin beinahe jeder Aufzug oder jede Rolltreppe gerade still“, so Krauthausen. Eine Grund zum Verzweifeln? Für ihn nicht.

Aktueller Störungsmelder für Aufzüge

Mit Unterstützung der Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) und des Projektbüros Henkehiedl haben Krauthausen und sein Verein „Sozialhelden e.V.“ eine Anwendung entwickelt, die im Internet (www.brokenlifts.org) oder auf dem Smartphone anzeigt, welche Aufzüge gerade aktuell nicht funktioniert. Genutzt werden dafür Informationen, die BVG und die S-Bahn bereitstellen, die diese aber nur für ihren jeweiligen Verantwortungsbereich veröffentlichen.

Brokenlifts führt diese Daten zusammen, auf der Internetseite werden dabei wird nicht nur der betroffene Bahnhof oder die U-Bahn-Station angezeigt, sondern auch der jeweilige Bahnsteig benannt. „Eine wichtige Zusatzinformation, denn der Aufzug, den ich auf meinem Weg benutze muss ja nicht unbedingt unter den gesperrten sein“, so Krauthausen. Für diesen Mittwoch weist Brokenlifts elf gestörte oder außer Betrieb genommene Aufzüge in Berlin aus, darunter je einer in den stark frequentierten Bahnhöfen Zoo, Rathaus Steglitz und Ostkreuz. Seit August vorigen Jahres gibt es diese praktische Website, seit Jahresbeginn fließen die Informationen in den Routen-Empfehlungen der weitaus bekannteren Fahrinfo-Apps von S-Bahn und vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg mit ein. Im Laufe des Jahres soll auch die BVG-App einbezogen werden.

Jeder vierte Berliner wird 2030 älter als 65 sein

Es sind „Erfindungen“ wie die von Raúl Krauthausen, die für Nicolas Zimmer, Chef der Technologie Stiftung Berlin, die Wege in die Zukunft zeigen. Die landeseigenen Stiftung stellte am Mittwoch ihre aktuelle Studie „Demografie und Mobilität in Berlin 2030“ vor. Der Trend ist eindeutig: Berlin wächst, die Bewohner der Stadt werden aber nicht nur zahlreicher, sondern auch älter. Rund 23 Prozent der Berliner, so aktuelle Prognosen, werden 2030 älter als 65 Jahre sein. Aktuell liegt der Anteil dieser Altersgruppe bei 19 Prozent. Besonders stark wird sich das hohe Gesundheitsbewusstsein und die gute ärztliche Versorgung in der Altersgruppe der über 80-Jährigen bemerkbar machen: Deren Anteil wächst in den nächsten 15 Jahren von aktuell 4,3 auf dann 7,1 Prozent. Und egal, ob jung oder alt: Es wird immer mehr Alleinlebende in der Stadt geben. Bereits jetzt ist jeder dritte Haushalt eine Single-Haushalt.

Entwicklungen, die auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und andere Mobilitätsdienstleister der Stadt vor ganz neue Herausforderungen stellen wird. „Allein leben und älter sein heißt ja nicht, dass man isoliert leben will“, betonte Nicolas Zimmer von Technologie Stiftung Berlin am Mittwoch bei der Vorstellung der Studie „Demografie und Mobilität in Berlin 2030“. Ganz im Gegenteil: Wer heute 65 Jahre und älter ist fühlt sich mindestens zehn Jahre jünger. Entsprechend groß ist der Wunsch, teilzuhaben am Leben der Stadt. Und dabei spielt das eigenen Auto eine immer geringere Rolle. Statt dessen wachsen die Anforderungen an den öffentlichen Nahverkehr.

Ganz oben auf der Wunschliste Älterer stehen laut Gesa Koglin, der Autorin der Studie, der Abbau von Barrieren und die Erhöhung der Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer. Und an der Stellte kommt wieder das Projekt Brokenlifts mit ins Spiel. „Ob die Aufzüge funktionieren, interessiert nicht nur Menschen mit Behinderungen. Sie werden schließlich auch von Eltern mit Kinderwagen, aber auch von Reisenden mit Gepäck und eben Älteren genutzt“, sagt Zimmer.

Nikutta: Barrierefreiheit ist „strategisches Ziel“

Die BVG hat das erkannt. „Barrierefreiheit ist für uns ein strategisches Thema“, versicherte Sigrid Nikutta, Chefin der landeseigenen Verkehrsbetriebe. Ziel sei, dass bis 2020 alle U-Bahnhöfe barrierefrei, also mit Aufzügen und Rampen ausgestattet sind. Derzeit sind es 109 Stationen. „Anders als etwa in London und Paris sind bei uns denkmalgeschützte Bahnhöfe in der Innenstadt vom Umbau nicht ausgenommen“, betonte Nikutta. Die 1300 Linienbusse der BVG seien bereits jetzt zu 100 Prozent barrierefrei, bei der Straßenbahn werde dieser Wert 2017 erreicht, wenn die letzten Tatra-Bahnen ausgemustert werden.

Ein weiterer Punkt ist für die BVG die Verbesserung der Fahrgastinformation. Vorbereitet wird ein Pilotprojekt: Getestet werden soll etwa eine Indoor-Navigation, mit der sich Fahrgäste besser in unübersichtlichen Bahnhöfen orientieren können. Weniger Chance auf Erfolg hat die „sprechende Haltestelle“, bei der auf Knopfdruck die nächsten Züge angesagt werden. Dagegen würden laut BVG-Sprecherin Petra Reetz nicht nur die hohen Investitionen bei der Umrüstung von rund 7500 Haltestellen, sondern auch die Wünsche von sehbehinderten Menschen selbst sprechen. Sie würden individuelle Lösungen bevorzugen, etwa Informationen auf ihr Smartphone.

Prognose Berlin wird in den nächsten 15 Jahren um 340.000 Einwohner wachsen. Das sind so viele Menschen, wie in einer Großstadt wie Wuppertal leben. Laut einer Prognose der Bertelsmann-Stiftung kommt die Hauptstadt dann auf 3,71 Millionen Einwohner. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) geht sogar von einem Plus von 500.000 Einwohnern bis 2030 aus.

Die Bevölkerungsstruktur verändert sich der Bertelsmann-Studie zufolge deutlich: So steigt bis 2030 die Zahl der Über-80-Jährigen um mehr als drei Viertel.

Immer älter 2030 wird die Hälfte der Bundesbürger älter als 48,1 Jahre sein, 2012 lag das sogenannte Medianalter noch bei 45,3 Jahren. In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg liegt es mit 43 Jahren am niedrigsten, Berlin ist zudem das einzige Bundesland, in dem das Medianalter sogar zurückgeht. Dagegen ist die Hälfte der Bevölkerung in Brandenburg in 15 Jahren älter als 53 Jahre, in Mecklenburg-Vorpommern älter als 52,6 Jahre.