Islamismus

Analyse - Das sind die Dschihadisten aus Berlin

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Ulrich Kraetzer

Foto: Di Matti / dpa

Erstmals hat der Berliner Verfassungsschutz die Biographien der 90 Berliner analysiert, die in den „Heiligen Krieg“ gezogen sind. Dabei ergeben sich viele Übereinstimmungen.

Sie verlassen ihre Heimatstadt, um Terrororganisationen wie den „Islamischen Staat“ (IS) zu unterstützen: Mindestens 90 Berliner sind seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien als selbst ernannte „Gotteskrieger“ in die Kampfgebiete gereist. Der Berliner Verfassungsschutz hat nun die Biografien und Radikalisierungsverläufe von 60 von ihnen analysiert. Der am Freitag veröffentlichten Analyse zufolge sind die Dschihadisten, die die Hauptstadt verlassen, meist männlich, in der Regel zwischen 19 und 30 Jahre alt und oft schon seit Jahren in der Szene aktiv.

Fast 80 Prozent der Ausgereisten sind Männer. In 21 Fällen, ist dem Verfassungsschutz bekannt, dass die Personen mit Angehörigen ihrer Familien, auch mit Kindern, in die Krisenregionen fuhren. Älter als 40 waren nur sechs Dschihadisten, vier waren zum Zeitpunkt der Ausreise noch minderjährig. Auffällig ist, dass fast alle der gewaltbereiten Islamisten aus Einwandererfamilien stammen. Jeweils 16 kommen aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil aus der Türkei oder aus einem Staat der ehemaligen Sowjetunion stammt.

Auffallend hoch im Vergleich zum Bundesdurchschnitt ist der Anteil der Ausgereisten, die einen Bezug zum Kaukasus, insbesondere zu Tschetschenien oder zu Dagestan haben. 15 Hauptstadt-Dschihadisten wuchsen in arabischstämmigen Familien auf. Keinerlei Migrationshintergrund hatten nur 4 der 60 untersuchten Dschihadisten.

Die meisten kommen aus Neukölln und Wedding

Über die Berliner Stadtteile sind die Ausgereisten sehr ungleich verteilt. Vorne liegen Neukölln und Wedding mit zwölf und elf Personen. Es folgen Reinickendorf (10) und Kreuzberg (8), sowie Charlottenburg (4) und Tempelhof (3). Die übrigen Stadtteile spielen nur eine geringe oder gar keine Rolle. Fast ein Drittel der untersuchten Personen verfügt über keinen Schulabschluss. Zum Vergleich: Betrachtet man alle Berliner, können nur 1,5 Prozent keinen Schulabschluss vorweisen. Zu 24 Personen lagen dem Verfassungsschutz keine Informationen über den Bildungsweg vor.

Bei der Radikalisierung spielen Moscheen laut Studie nach wie vor eine wichtige Rolle. Die Vorstände der meisten muslimischen Gebetshäuser würden Dschihadisten, wenn sie als solche erkennbar werden, allerdings aus ihren Räumen verweisen oder sogar ein formelles Hausverbot aussprechen. Erkenntnisse, dass die Verantwortlichen dschihadistische Aktivitäten duldeten oder sogar beförderten, lägen „nur in Einzelfällen“ vor.

Viele sind der Szene über Jahre hinweg treu

Ein in den Medien gelegentlich beschriebener Trend zu sogenannten „Turbo-Radikalisierungen“ innerhalb weniger Monate lässt sich durch die Untersuchung nicht belegen. Erstaunlich sei vielmehr, wieviele Dschihadisten der Szene und der Ideologie über Jahre hinweg treu geblieben sind. So waren zwölf der 60 untersuchten Personen, bevor sie nach Syrien oder in den Irak fuhren, zuvor in Kampfgebiete oder Terrorcamps im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet gereist.

Gut die Häflte der in Syrien oder Irak aktiven Dschihadisten waren laut Verfassungsschutz an bewaffneten Kämpfen beteiligt. Andere würden Propaganda verbreiten oder logistische Aufgaben wahrnehmen. Einige strebten auch nur danach „ein schariakonformes Leben in einem ihrer Ansicht nach wahrhaft „islamischen Staat“ zu führen“.