Beim Abriss des Palastes der Republik und beim Bau des Schlosses stießen Archäologen auf einige Überraschungen. Im „Museum des Ortes“ wird die jahrhundertelange Historie des Areals erzählt.

Die Zeitreise in die Vergangenheit beginnt gleich hinter einer schmalen Metalltür mit einem Rahmen aus Holzlatten: Vorbei an Bauarbeitern und Maschinen, durch unfertige Räume und über noch rohe Betonstufen führt der Weg hinunter in den historischen Keller des Berliner Schlosses. Johannes Wien, kaufmännischer Vorstand der Stiftung Berliner Schloss – Humboldt-Forum, muss nur noch den Schlüssel herumdrehen und gleich dahinter öffnet sich Besuchern der Blick auf die Ruinenreste aus mehreren Jahrhunderten.

Ein leichter feucht-staubiger Geruch dringt aus den Grundmauern des früheren Prunkbaus und verleiht der ganzen Szenerie zusätzlich einen Hauch Geschichte. Unter der Erde entsteht das „Museum des Ortes“, das zeitgleich mit dem Humboldt-Forum für das Publikum eröffnet werden soll: Das Museum soll dann als begehbares Denkmal die über 700-jährige Geschichte des Ortes erzählen und die Steine dort zum Sprechen bringen.

Die originalen Kellerräume sind erstmals öffentlich zugänglich. „Seit 1443 der Grundstein gelegt wurde, sind das Schloss und der Grundriss des Kellers mehrfach verändert worden“, sagt Wien. „Auch die Art seiner Nutzung änderte sich im Lauf der Jahrhunderte mehrfach. Diesen Wandel wollen wir zeigen und dabei den historischen Ort in seiner Zerstörtheit erhalten und erfahrbar machen.“ Auf den künftig etwa 470 Quadratmetern begehbarer und 350 Quadratmetern nicht begehbarer Schauflächen lässt sich kompakt nachvollziehen, wie sich der Ort vom Mittelalter bis heute veränderte.

So stießen Archäologen bei ihren Grabungen auf Reste des früheren Dominikanerklosters aus dem 14. Jahrhundert, das vor dem Bau des Schlosses hier stand. Abschnitte der Klostermauern des Nordwestflügels sowie zwei gotische Stützpfeiler des Gewölbekellers sind erhalten und werden in die Ausstellung mit einbezogen. Unweit von den Klosterresten sind dann die Spuren einer Federviehkammer zu erkennen: Dorthin wurde lebendes Geflügel vor dem Schlachten in das Schloss gebracht und zwischengelagert. Gelbe Fliesen zeigen an, wo sich die Speisekammer früher befand.

Im Keller der Wachmannschaft

In unmittelbarer Nähe ist ferner der Aufenthaltsraum des Kommandanten der Schlosswache freigelegt. Zu Zeiten von Kaiser Wilhelm II. war die Wache im Keller des Schlossplatzflügels untergebracht: Bis zu 180 Leute umfasste die Wachmannschaft. Um für sie den Keller etwas wohnlicher zu gestalten, wurden Dielen verlegt sowie eine Wandheizung eingebaut, die jetzt wieder zu sehen ist.

Ganz in dessen Nähe soll ein bei den Ausgrabungen gefundenes Grabrelief mit Pelikanmotiv aus der italienischen Renaissance-Zeit seinen Platz finden. Denn zeitweise diente der Keller auch als Depot des Kunstgewerbemuseums. Das Relief gehört zu einer ganzen Reihe von Fundstücken, die jahrzehntelang in dem Schutt zwischen den Mauern und im Boden schlummerten: Eine lange Objektliste verzeichnet Artefakte wie Schlüssel, Ringe, Scherben Gürtelschnallen, Münzen oder Knochen. Aber auch ein Fingerhut und ein rotes Emailleschild mit der Aufschrift „Öffentlicher Fernsprecher“ sind als Zeugen der Geschichte aufgetaucht.

Die Reste einer Wendeltreppe einige Schritte weiter gehörte einst zu einem Abgang direkt bis ans Wasser der Spree – und führte zu einem Raum, in dem im 19. Jahrhundert eine Dampfmaschine stand, die Wasser vom Fluss in ein Reservoir des Schlosses pumpte.

Besonders prägnant ist schließlich der Bereich, in dem sich im Boden eines Ganges unter dem Eosander-Portal fünf Sprenglöcher auftun. „Das ist ein ganz besonderer Raum“, sagt Michael Malliaris, archäologischer Leiter der Ausgrabungen am Schlossplatz. „Denn die fast fünf Meter hohen Mauern bildeten ein massiv gebautes Fundament, das zusätzlich auf in den Boden gerammten Gründungspfählen ruhte. Darüber befand sich ein zweischaliges Tonnengewölbe, das das Eosander-Portal und die im 19. Jahrhundert errichtete Kuppel tragen konnte.“

Spuren einer gewaltigen Druckwelle

Als die SED-Führung um Walter Ulbricht das kriegsbeschädigte Schloss sprengen und abreißen ließ, wurden deshalb besonders große Sprengladungen in dem schmalen aber massiven Keller angebracht, die das Gebäude gewissermaßen von unten „knacken“ sollten – was schließlich gelang. Die Krater der Explosionen legen Zeugnis darüber ab, wie gewaltig die Druckwelle gewesen sein muss, um allein das mächtige Kuppelportal zum Einsturz zu bringen. Teilweise ist der barocke Ziegelbelag regelrecht pulverisiert worden. An dieser Stelle geht der Rundgang durch 700 Jahre Geschichte auf engem Raum symbolträchtig zu Ende mit Filmaufnahmen von einer der zahlreichen Sprengung.


Die Humboldt-Box, davor die ausgegrabenen Kellergewölbe des zerstörten Schlosses
Die Humboldt-Box, davor die ausgegrabenen Kellergewölbe des zerstörten Schlosses © Getty/Siegfried Layda | Siegfried Layda

Unter der nach der Zerstörung eingeebneten Fläche geriet das unterirdische architektonische Erbe weitgehend in Vergessenheit. „Erst durch den Bau des Palasts der Republik in den 1970er-Jahren ging dann ein großer Teil der Kellerruinen für immer verloren“, sagt Michael Malliaris. „Das betrifft vor allem den ältesten Teil des Schlosskellers.“

Seit Mitte des 15. Jahrhunderts erbaut, begrenzte dieser älteste Teil der Residenz den so genannten Schlüterhof – von ihm sind heute keine Spuren mehr da, weil im Zuge des Palastbaus auch keine archäologischen Grabungen vorgenommen wurden. Vom südwestlichen Komplex um den großen Schlosshof herum sind allerdings die Keller und Fundamente aus dem 18. Jahrhundert erhalten.

Ein Paradies für Archäologen

„Nach dem Abriss des Palasts der Republik begannen wir im Mai 2008 im Auftrag des Landesdenkmalamts Berlin mit dem Ausgraben“, sagt Malliaris. Ein seltener Glücksfall für Archäologen. Denn die Forscher konnten auf einem Areal von rund 15.000 Quadratmetern mitten im ältesten Stadtkern jahrelang Schicht für Schicht abtragen und ihnen dabei mehr und mehr Geheimnisse entlocken.

Normalerweise können Archäologen gerade in Städten oftmals höchstens Flächen von der Größe eines Hausgrundstückes unter die Lupe nehmen. „Insgesamt waren manche der Schichten bis zu dreieinhalb Meter mächtig“, sagt Malliaris. „Teilweise waren diese Schichtungen seit Jahrhunderten Stück für Stück gewachsen und so bis heute erhalten.“

Bis zu 30 unterschiedliche Schichten vom 14. Jahrhundert bis heute konnten der Archäologe und sein Team nachweisen und untersuchen. Zum Beispiel hatte sich in der Renaissance eine Schicht von einem halbem Meter Dicke gebildet – und darunter lagen wiederum Fragmente einer mittelalterlichen Stadt wie Abfallgruben, Öfen und Keller. „Wir haben sogar Reste der alten Cöllner Stadtmauer gefunden, deren Verlauf bis dahin nicht bekannt war“, erläutert Malliaris.

Spuren von Fünf Jahrhunderten voller Veränderungen

Dieser Fund erinnert daran, dass das heutige Berlin mit seiner Schwesterstadt Cölln im 12. Jahrhundert entstand. „Diese Cöllner Stadtgrenze lief ursprünglich genau durch den Schlosshof hindurch und trennte die Stadt von seiner Feldmark“, so Malliaris. „Das Schloss selbst ist nicht in einem Guss entstanden, sondern sein Baukörper hat sich über fünf Jahrhunderte hinweg immer wieder verändert.“

So fanden die Archäologen neben dem Gartenhorizont des alten Lustgartens auch Originalpflaster des Schlosshofs von 1836. Später erhielt die Residenz unter Kaiser Wilhelm II. auch eine moderne Niederdampfdruck-Heizungsanlage, von der in der Ausstellung unter anderem ein Ventilator zu sehen sein soll.

Dass auch das Humboldt-Forum Spuren im historischen Keller hinterlassen hat, zeigen die dicken Betonstützen im unterirdischen Ausstellungsbereich, auf denen der Neubau darüber ruht: Sie werden gleichzeitig zum Kühlen mit Erdwärme genutzt.