Jahresbericht

Opfer von Gewalttaten beantragen selten Entschädigung

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Andreas Abel

Berlins Opferbeauftragter hat seinen Jahresbericht vorgestellt. Opferrechte werden in sehr unterschiedlichem Maß in Anspruch genommen. Bei Entschädigungen liegt Berlin auf dem vorletzten Platz.

In Berlin beantragen Opfer von Gewalttaten nur sehr selten eine Entschädigung. Das entsprechende Gesetz sei weitgehend unbekannt, selbst unter Anwälten sei das der Fall, sagte der Opferbeauftragte des Landes Berlin, Roland Weber, am Mittwoch. 2013 wurden demnach 1225 Anträge auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz gestellt, das betraf nur 7,1 Prozent aller Gewalttaten. Mit dieser Quote landete Berlin laut Weber im Vergleich der Bundesländer auf dem vorletzten Platz, nur in Bremen wurden prozentual noch weniger Anträge registriert. Am häufigsten werden Anträge demnach in Hessen gestellt – bei rund 21,4 Prozent aller Gewalttaten. Die Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor.

Allerdings wurden 2012 in Berlin mehr Anträge gestellt: 1390, was aber auch nur 7,6 Prozent aller Gewalttaten entsprach. Dabei ist Roland Weber, im Hauptberuf Fachanwalt für Strafrecht, ein emsiger Öffentlichkeitsarbeiter und Netzwerker in Sachen Opferschutz. Im Oktober 2012 wurde er auf Initiative von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) zum Berliner Opferbeauftragten ernannt, ein Ehrenamt. Am Mittwoch legte Weber nun seinen zweiten Jahresbericht vor. Er möchte erreichen, dass Opfer früher über Möglichkeiten der Entschädigung informiert werden. Heute würden das meist Hilfsorganisationen wie der Weiße Ring oder die Opferhilfe übernehmen. Besser wäre es, Geschädigten schon ein Antragsformular zu überreichen, wenn sie Anzeige erstatten.

Antrag zu kompliziert

Der Antrag selbst, der beim Versorgungsamt gestellt werden muss, könnte aber auch ein Grund für die geringe Inanspruchnahme sein. Er sei zu kompliziert, räumte der Justizsenator ein. Auf insgesamt sechs Seiten müssten Antragsteller zum Beispiel umfangreiche Fragen zu Vorerkrankungen ausfüllen, das überfordere viele Menschen. Das Antragsverfahren solle vereinfacht und automatisiert werden, versprach Heilmann. Konkrete Schritte dazu könne er aber noch nicht vorstellen.

Opferrechte und Hilfsangebote würden in sehr unterschiedlichem Maß in Anspruch genommen, erläuterte Roland Weber. Von der Opferhilfe Berlin etwa seien im Jahr 2013 insgesamt 868 Menschen beraten worden, 2,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Jahr 2014 hätten sich bereits 915 Geschädigte beraten lassen, das entspreche einer weiteren Steigerung um 5,4 Prozent. Dabei wies die Kriminalstatistik der Polizei für 2013 sogar eine gesunkene Opferzahl aus. In jenem Jahr wurden knapp 79.000 Berliner Opfer von Straftaten, 1700 weniger als im Vorjahr. Hingegen stagniert die Zahl der Geschädigten, die bei einem Gerichtsprozess als Nebenkläger auftreten. 2013 nutzten diesen Anspruch lediglich 529 Berliner am Amtsgericht und 131 bei erstinstanzlichen Verfahren am Landgericht.

Bei einer Nebenklage schließt sich der Geschädigte der Anklage der Staatsanwaltschaft an. Die Nebenklage ist eine Ausnahme vom Anklagemonopol des Staates und nur bei bestimmten Straftaten zulässig. Der Nebenkläger hat dann in der Regel das Recht, Zeugen und den Angeklagten zu befragen. Dieses Verfahren verbessert die Rechte des Geschädigten im Strafverfahren und kann wesentlich dazu beitragen, die Opferrolle zu überwinden.

Noch weit geringer als die Zahl der Nebenklagen ist die der sogenannten Adhäsionsverfahren. Das bezeichnet die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche bereits im Strafverfahren geltend zu machen und nicht einen abgetrennten Zivilprozess führen zu müssen. Am Amtsgericht Tiergarten wurden 2013 nur 90 solcher Verfahren geführt, gut ein Drittel endete mit einem Vergleich. Am Landgericht waren es sogar nur 37 Verfahren. Gut angenommen wurden nach Webers Angaben aber zwei Hilfeprojekte, die erst im vergangenen Jahr eingerichtet wurden und die die Senatsjustizverwaltung finanziell unterstützt: die Gewaltschutzambulanz der Charité und die integrierte Täter-Opfer-Beratung bei Stalking-Delikten.

Hilfe bei häuslicher Gewalt

Die im Februar 2014 eröffnete Gewaltschutzambulanz hilft bei häuslicher Gewalt. Es handelt sich um eine rechtsmedizinische Untersuchungsstelle zur Begutachtung und Dokumentation der Verletzungen von Gewaltopfern. Diese werden aber auch psychosozial beraten und über Hilfsangebote informiert. Bis zum Jahresende nutzten 305 Betroffene aller Altersstufen das Angebot. Zum Stalking wurden 2013 in Berlin mehr als 2100 Strafanzeigen gestellt, die Dunkelziffer soll aber wesentlich höher liegen. Bei der integrierten Täter-Opfer-Beratung beraten Pädagogen und Psychologen mit therapeutischer Zusatzausbildung zu Stalking, untersuchen Tatmuster und Täterprofile und erarbeiten mit den Klienten individuelle Lösungen. Wenn nötig, kooperieren sie mit der Polizei und der Amtsanwaltschaft. Diese Leistung nahmen im ersten Jahr bereits 437 Opfer in Anspruch

Nach Heilmanns Angaben solle in den kommenden Monaten das Netzwerk für ausländische Betroffene von Gewalttaten gestärkt werden. Gerade Flüchtlinge trauten sich oft nicht, Straftaten anzuzeigen, weil sie aus ihrer Heimat häufig keinen effektiven Rechtsschutz kennen würden. Das solle sich ändern. „Kulturkreis für Kulturkreis“ solle in verschiedenen Sprachen besser informiert werden. Außerdem werde, einer EU-Richtlinie entsprechend, ein Anspruch von besonders schutzwürdigen Opfern auf psychosoziale Begleitung bei Gerichtsprozessen vorbereitet. Dazu sei im April eine Expertenanhörung geplant.