Vorurteile lassen sich am besten durch Begegnungen abbauen. Eine Initiative bringt Flüchtlinge und Deutsche an einen Tisch - beim gemeinsamen Kochen. Das Konzept ist ein großer Erfolg.

Richtig glücklich sieht Shaik aus. Dabei könnte sein Leben durchaus einfacher sein. Seit eineinhalb Jahren lebt der Pakistaner in Charlottenburg in einer Flüchtlingsunterkunft und wartet auf sein Asylverfahren. Ob der ehemalige Kaufmann aus Karatschi in Deutschland bleiben kann, steht für ihn noch in den Sternen. Und doch lächelt er auf dem Foto in dem gerade erschienenen Kochbuch „Rezepte für ein besseres Wir“.

Wahrscheinlich hängt es mit dem Kochen zusammen. Oder mit den Freunden, die er über die gemeinsame Essenszubereitung in seiner neuen Lebensumgebung gefunden hat. „Über den Tellerrand kochen“ heißt das Projekt, in dem vier junge Berliner seit etwas mehr als einem Jahr gemeinsam mit Flüchtlingen Gerichte aus deren Herkunftsland zubereiten und verkosten. Gestartet war die Initiative als Projekt im Funpreneur-Wettbewerb der Freien Universität (FU), in dem innerhalb von acht Wochen unternehmerisch ein Produkt oder eine Dienstleistung kreiert und auf den Markt gebracht werden sollte. Für das erste, noch dünne Heftchen mit 21 internationalen Rezepten, das bei Besuchen in Flüchtlingsheimen und im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz entstanden war, erhielten die Studenten im Dezember 2013 den Funpreneur-Preis.

Der Erfolg und vor allem die positiven Rückmeldungen – 400 Rezeptsammlungen hatten die vier zunächst drucken lassen, allein auf einen Bericht in einem prominenten Online-Magazin hin kamen 1500 Bestellungen – machten ihnen Mut, das Projekt zu professionalisieren. „Da wussten wir, jetzt können wir nicht aufhören“, sagt Projekt-Mitbegründerin Ninon Demuth. „Außerdem hatten wir unser eigentliches Ziel, Flüchtlinge und Einheimische zusammenzubringen, noch nicht erreicht. Es war klar, da steckt noch Potenzial drin.“

Kochkurse geleitet von Flüchtlingen

Unter dem Dach von Social Impact, einem Gründungsprogramm für soziale Unternehmungen, starteten sie im Frühjahr dieses Jahres mit einem neuen Konzept. Zwei Mal pro Monat bietet das wachsende Team seither Kochkurse an, geleitet von Flüchtlingen. Shaik war von Anfang an dabei. Er wolle seine Begeisterung fürs Kochen weitergeben, sagt der 44-Jährige mit dem dichten schwarzen Bart.

Die bisher rund 80 Teilnehmer seien aus allen Bezirken gekommen, berichtet Demuth. Studenten waren darunter, aber auch viele gutsituierte Mitdreißiger und -vierziger. Denn der sechs- bis achtstündige Kochkurs, professionell organisiert mit Menükarten und Gewürzproben zum Mitnehmen, der auch eine etwa einstündige Vorstellung von Gesellschaft und Kultur der jeweiligen Flüchtlingsheimat sowie das gemeinsame Essen umfasst, ist nicht kostenlos. Auch wenn der Preis mit 45 Euro deutlich unter dem Marktüblichen liegt und gerade zur Kostendeckung reicht.

Einen Mehrwert haben beide Seiten

„Viele der Teilnehmer waren Menschen, die bis dahin noch nie Kontakt zu Flüchtlingen oder überhaupt zu diesem Thema hatten“, sagt Ninon Demuth. Berührungsängste, eine gewisse Scheu gebe es anfangs auf beiden Seiten. „Gerade über das Kochen kann man aber Barrieren abbauen“, so die Erfahrung von Teammitglied Rafael Strasser. Einen Mehrwert hätten beide Seiten: „Der Flüchtling kommt aus der Isolation und kriegt Kontakt zu Deutschen, die wiederum können in einem vorgegebenen Rahmen in eine fremde Kultur eintauchen.“

Am Ende, beim Essen, würden oft schon Telefonnummern ausgetauscht. „Fast immer müssen wir irgendwann daran erinnern, dass wir abschließen müssen, sonst würde das Ganze kein Ende finden“, sagt Strasser. Allerdings: Auch nach Monaten sind die Kochlehrer überwiegend männlich. Frauen zu motivieren, in die Öffentlichkeit zu treten, sei gerade angesichts der Herkunftskulturen sehr viel schwieriger, sagt Ninon Demuth. An Alternativen wie zum Beispiel Kursen vor Ort in Flüchtlingsunterkünften wird gearbeitet.

Hälfte der „Kochlehrer“ lebt in Berlin

Als ein Ergebnis der bisherigen Kochrunden haben die jungen Unternehmer erst einmal im Dezember das zweite, dieses Mal sehr viel hochwertigere und reich bebilderte Kochbuch mit 36 Rezepten von 27 Flüchtlingen herausgebracht. Den Vertrieb übernimmt die Münchener Verlagsgruppe. Etwa die Hälfte der Kochlehrer – Menschen aus Syrien und Afghanistan, aus Guinea und Niger, aus Mazedonien und Tschetschenien – lebt in Berlin. Denn: Inzwischen hat die Idee der interkulturellen Kochbegegnungen Nachahmer gefunden. Fast 100.000 Antworten erhielt ein Aufruf zur Vervielfältigung der Initiative, der im Sommer in der Internet-Community von „Über den Tellerrand kochen“ gestartet wurde. Aus ganz Deutschland kamen Anfragen, „so viele, dass uns das schon überfordert“, sagt Ninon Demuth. In mehreren Städten haben Menschen das Konzept aufgegriffen und eigene Flüchtlings-Kochkurse initiiert.

Auch deren Rezepte finden sich in dem Buch, das außerdem kurze Porträts der Flüchtlinge enthält. „Die Geschichten dieser Menschen kommen bei den Kursen immer auch zur Sprache. Allerdings sind wir bewusst unpolitisch und vertreten keine Position in der Flüchtlings- oder der Asylpolitik“, sagt Demuth. Was „Über den Tellerrand kochen“ ausmache, sei vielmehr der Anspruch, dass sich Flüchtlinge und Einheimische auf Augenhöhe begegneten. Ohne Mitleids- oder Helfersyndrom auf der einen Seite, und mit dem Selbstbewusstsein des Experten statt der Demut des Bittstellers auf der anderen.

„Rezepte für ein besseres Wir: Koch mit uns über den Tellerrand“, Pearl, 192 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3957600028

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