Auch das Berliner Theater war beteiligt, mit Kreuzen der Mauertoten gegen die EU-Außengrenzen zu protestieren. Die Einrichtung, die über Steuern finanziert ist, half bei der umstrittenen Aktion mit.
Der Diebstahl der Mauerkreuze am Reichstag hatte für helle Empörung gesorgt. Angehörige von Mauertoten sahen die Würde der Getöteten beschädigt, die Stiftung Berliner Mauer sprach von einer „Instrumentalisierung“, die CDU von „einer widerlichen Tat“. Am Freitag verurteilte auch Bundestagspräsident Norbert Lammert die Aktion. Nun bekommt die Affäre eine brisante Wendung. Denn mit dem Maxim-Gorki-Theater hat eine aus Steuermitteln finanzierte Einrichtung die Diebe der Mauerkreuze in mehrfacher Hinsicht unterstützt. Außerdem erhielten die Aktivisten, die die Kreuze entwendet hatten, Mittel aus dem Hauptstadtkulturfonds.
Das mit öffentlichem Geld finanzierte Gorki-Theater fertigte auf Anfrage der Gruppe Zentrum für Politische Schönheit, die sich zu dem Diebstahl der am Spreeufer auf Höhe des Reichstags aufgehängten Kreuze bekannt hatte, Duplikate der Kreuze. Diese sollten offenbar eingesetzt werden, um die Aktion auf Fotos publik zu machen. Die Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters, Shermin Langhoff, bestätigte auf Anfrage der Berliner Morgenpost, dass die Duplikate in ihrem Haus gefertigt wurden. „Die weißen Kreuze sind Symbole der Geschichte und im Theater arbeitet man mit Symbolen“, sagte Langhoff. Auf die Frage, ob sie gewusst habe, zu welchem Zweck die Kreuze angefertigt werden sollten, antwortete Langhoff nicht. Den Plan, die Mauerkreuze zu stehlen, habe sie aber nicht gekannt. Das Gedenken der Mauertoten sei auch ein wichtiges Anliegen des Gorki-Theaters. „Ich bin aber keine Zensorin“, sagte die Intendantin.
10.000 Euro aus Steuermitteln
Berührungsängste mit dem Zentrum für Politische Schönheit zusammenzuarbeiten, hat Langhoff nicht – auch nicht, nachdem die Aktivisten sich zu dem Diebstahl der Mauerkreuze bekannten. Die Intendantin lud die Gruppe sogar ein, bei dem Kunstfestival Voicing Resistance teilzunehmen. Das Zentrum für Politische Schönheit bestritt am Freitag sogar die Eröffnung des Events. Um gegen die Abschottungspolitik der EU zu protestieren und auf das Schicksal der Flüchtlinge aufmerksam zu machen, die an den Außengrenzen der EU ums Leben kommen, werden bei der Aktion Freiwillige an die Grenzzäune gebracht, um diese niederzureißen. Zwei Busse starteten vor dem Gorki-Theater. Auch Langhoff hielt bei der Verabschiedung der Busse eine Rede.
Finanziert wird das Festival aus Steuermitteln. Der Hauptstadtkulturfonds habe dafür 100.000 Euro bereitgestellt, bestätigte der Sprecher der Kulturverwaltung, Günter Kolodziej. Für die Aktion des Zentrums für Politische Schönheit seien 10.000 Euro bewilligt worden. Im Ausschuss, der die Auszahlung der Mittel aus dem Hauptstadtkulturfonds absegnet, sitzen unter anderem der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und die Kulturstaatsministerin des Bundes, Monika Grütters (CDU). Der genaue Verwendungszweck sei den verantwortlichen Gremien im Detail aber nicht bekannt gewesen, sagte Kolodziej. Aus den Unterlagen habe sich lediglich ergeben, dass es bei der Aktion darum gehen sollte, „auf die neuen Mauern Europas aufmerksam zu machen“.
„Würde der Toten verletzt“
Das Entwenden der Mauerkreuze verurteilte Kolodziej. „Es ist ein nachvollziehbares Anliegen von Künstlern, auch in provokanter Form auf das Schicksal von Flüchtlingen an den Außengrenzen der EU aufmerksam zu machen. Es ist aber völlig unakzeptabel, wenn dabei die Würde der Mauertoten und die Gefühle der Angehörigen verletzt werden“, sagte Kolodziej. Die Verantwortlichen des Zentrums für Politische Schönheit stünden in der moralischen Pflicht, die Kreuze schnellstmöglich zurückzubringen und für die Angehörigen der Mauertoten Worte der Entschuldigung zu finden. „Ich gehe davon aus, dass das Gorki-Theater die Aktivisten dabei unterstützt, die Kreuze wieder anzubringen“, sagte Kolodziej.
Nach Aussage von Intendantin Langhoff war der Diebstahl der Mauerkreuze ohnehin nicht Teil des vom Hauptstadtkulturfonds geförderten Festivals Voicing Resistance. Der Sprecher des Zentrums für Politische Schönheit, Philipp Ruch, bestreitet sogar, dass das Gorki-Theater Duplikate der Mauerkreuze angefertigt hat – entgegen der Aussagen von Theaterinterdantin Langhoff. Mit dem Festival Voicing Resistance, so Ruch weiter, habe die Entwendung der Mauerkreuze ohnehin nichts zu tun. Auf einer Internetseite der Aktivisten entsteht allerdings ein anderer Eindruck: Darauf wirbt man für das Projekt bei Voicing Resistance mit dem Slogan „Wir werden die neuen EU-Außengrenzen zum 25. Jahrestag des Mauerfalls kurzerhand wieder abreißen“. Auf der Seite wird aber auch ein „weiterführendes Original der Reihe ‚Weiße Kreuze‘ mit dem Namen eines neuen Mauertoten“ für 1000 Euro zur Versteigerung angeboten.
„Kunst wird kriminalisiert“
Inhaltlich verteidigt Ruch beide Aktionen. „Es ist eine traurige Ironie, dass wir zum 25. Jahrestag des Mauerfalls der Mauertoten gedenken, während Europa militärisch abgeriegelt wird und an den Außengrenzen der EU bereits 30.000 Menschen gestorben sind“, sagte Ruch. Die Mauerkreuze befänden sich in Melilla. In der spanischen Exklave in Nordafrika campieren Flüchtlinge, die nach Europa wollen.
Intendantin Langhoff kritisierte, dass sich die Politiker der Diskussion um den Umgang mit Flüchtlingen verweigerten. „Stattdessen wird Kunst im schlimmsten Fall kriminalisiert, wenn sie das ihr zugewiesene Terrain verlässt“, sagte Langhoff. Es liege ihr fern, das Gedenken an die Mauertoten zu verletzten. Es sei aber gut und wichtig, dass der künstlerische Akt, Freiwillige mit Bussen zu den Außengrenzen der EU zu bringen, als Widerstand wahrgenommen werde. Langhoff: „Ich kann nur alle aufrufen, die Freiheit der Kunst zu achten.“