Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) will die Radikalisierung von jungen Menschen frühzeitig bekämpfen. Das Angebot soll auch Anlaufstelle für Aussteiger aus der islamistischen Szene sein.

Die Zahlen sprechen für sich: Mehr als 60 Berliner sind seit Beginn des Bürgerkriegs nach Syrien oder Irak ausgereist, um islamistische Terrorgruppen zu unterstützen. Bis zu zehn kamen dabei ums Leben. Die Sorge der Sicherheitsbehörden, dass einer der kampferprobten Dschihadisten den Kampf gegen „die Ungläubigen“ auch in der deutschen Hauptstadt austragen könnte, wächst. Auch der Nachschub für die selbst ernannten „Gotteskrieger“ scheint gesichert. Denn die Szene der radikalislamischen Salafisten, die den ideologischen Nährboden bildet, ist in Berlin mit rund 550 Anhängern so groß wie nie zuvor – und sie wächst weiter.

Berlins Innensenator Frank Henkel geht nun in die Offensive. Der CDU-Politiker unterstützt nicht nur die von der Bundesregierung verkündeten Gesetzesverschärfungen, etwa das Einziehen des Personalausweises, um Dschihadisten an der Ausreise zu hindern. „Wir müssen den radikalisierten Vorstellungen über den Islam auch präventiv begegnen“, sagte Henkel der Berliner Morgenpost. Im Zentrum soll eine ressortübergreifende „Landesberatungs- und Koordinierungsstelle“ stehen, um „ein frühestmögliches Eingreifen in einen Radikalisierungsprozess zu ermöglichen und Aussteiger zu begleiten“. Laut Innenverwaltung geht es um „ein niedrigschwelliges Angebot für Salafismus-Opfer“. Einzelheiten stehen noch nicht fest.

Senat streitet über Zuständigkeit

Auseinandersetzungen im Senat gibt es aber jetzt schon. Denn im Prinzip begrüßen zwar alle das Vorhaben. Wer den Hut aufhaben und die Finanzierung übernehmen soll, ist aber strittig. Denn von Henkel ging wohl – dem Vernehmen nach auf Druck des Bundes – die Initiative für die zentrale Präventionsstelle aus. Die Innenverwaltung möchte die Aufgabe jedoch nicht selbst schultern. Bereits Mitte September schickte Henkel vielmehr ein Schreiben an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Darin schlug er nicht nur vor, die Prävention an Schulen „etwa durch Fortbildungen der Lehrerschaft“ auszubauen. Er regte auch an, die Zuständigkeit für die von ihm vorgeschlagene Beratungsstelle nicht in seiner eigenen Verwaltung anzusiedeln – sondern bei der Sektenberatungsstelle. Diese wiederum untersteht der Bildungsverwaltung von Senatorin Scheeres.

Dort begrüßt man die Idee einer zentralen Anlaufstelle für religiösen Fanatismus zwar grundsätzlich. Die Verwaltung reagierte aber verschnupft, weil Henkel die Verantwortung nicht in seinem Haus, sondern bei der Sektenberatungsstelle sieht. Sprecher Thorsten Metter sagt, dass die Bildungsverwaltung die Stelle zwar durch „personelle und fachliche Ressourcen“ unterstützen könne. Er stellt aber auch klar: „An welches Haus die Stelle angegliedert ist, ist noch nicht entschieden.“ Mehr noch: Weil bei Prävention und Deradikalisierung alle relevanten gesellschaftlichen Bereiche einbezogen werden müssten, müsse sich auch die Verwaltung von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) beteiligen. Dort wollte man sich nicht äußern. In der Innenverwaltung ist man dagegen irritiert, weil Scheeres bis Ende vergangener Woche nicht auf das Schreiben Henkels geantwortet hat.

Berlin gilt als ein Zentrum der Szene

Mit einer zentralen Anlaufstelle würde der Senat Neuland betreten. Denn Experten warnten zwar bereits Ende des vergangenen Jahrzehnts vor der radikalisierenden Wirkung des Salafismus. Berlin galt schon damals als ein Zentrum der Szene. Und des gab auch damals Dschihadisten, die sich ausländischen Terrorgruppen wie al-Qaida anschlossen. Eine nennenswerte Präventions- und Deradikalisierungsarbeit des Landes gibt es aber bisher nicht.

Die Innenverwaltung konnte in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage immerhin auf diverse Präventionsprojekte verweisen. Mitarbeiter des Vereins „Schule ohne Rassismus“ etwa veranstalten Workshops, um Jugendliche gegen die Welterklärungsversuche islamistischer Fundamentalisten schon im Vorfeld zu immunisieren. Die „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“ (Kiga), das Projekt ufuq oder das „Violence Prevention Network“ richten sich an junge Menschen, bei denen sich eine Radikalisierung bereits abzeichnet.

Das „Zentrum Demokratische Kultur“ schult Lehrer, Sozialarbeiter oder Polizisten und berät in dem Projekt „Hayat“ Angehörige und Eltern von Menschen, deren Radikalisierung fortgeschritten ist. Es gibt Initiativen gegen religiösen Fanatismus. Die Projekte sind aber befristet, und die Träger hangeln sich von einem Fördertopf zum nächsten. Sie finanzieren sich zudem kaum aus dem Landes-, sondern weitgehend aus dem Bundeshaushalt.

Innensenator Henkel versicherte zwar kürzlich, bei der Islamismus-Prävention „auf ganz verschiedenen Ebenen“ viele Anstrengungen zu unternehmen. Tatsächlich aber sind in der Innenverwaltung damit bisher gerade drei Mitarbeiter befasst. Pro Jahr bieten sie nur 15 Schulungen an, etwa für JVA-Bedienstete und Polizisten. Henkels Vorgänger Ehrhart Körting (SPD) ließ vor drei Jahren eine Broschüre auflegen, die die Argumente extremistischer Islaminterpretationen mit Aussagen liberaler muslimischer Gelehrter widerlegen soll. Verbreitung und Wirkung des Heftes blieben aber begrenzt.

Andere Bundesländer sind weiter

Länder wie Hessen und Nordrhein-Westfalen hingegen haben längst umfangreiche Präventionsprojekte aufgelegt. Immerhin, in Berlin erarbeiten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mit freien Trägern wie ufuq nun Konzepte für Präventionsangebote an den Schulen. Die von Henkel angeregte zentrale Beratungsstelle dürfte ihre Arbeit angesichts der noch unklaren Zuständigkeit frühestens im kommenden Jahr aufnehmen.