Organtransplantation

Mitten ins Herz - Wie das Herzzentrum Vertrauen verspielt

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Andreas Abel und Claudia Kade

Foto: Maurizio Gambarini / dpa

Am Herzzentrum Berlin sollen Ärzte Wartelisten manipuliert haben. Der Fall dürfte die Zahl der Spender sinken lassen. Ein Motiv für die Manipulationen: der fragwürdige Ehrgeiz der Mediziner.

Zwei Jahre nach dem Göttinger Organspende-Skandal ist in Berlin ein neuer Verdacht auf schwerwiegende Unregelmäßigkeiten in einem großen Transplantationszentrum aufgetaucht. Es geht um das renommierte Deutsche Herzzentrum, eine der weltweit führenden Kliniken zur Behandlung von Herzkranken.

Hier sollen Ärzte die Wartelisten für Spenderherzen manipuliert haben. Konkret geht es um den Vorwurf gegen eine Medizinerin, die ihre Patienten zwischen 2010 und 2012 auf vordere Plätze der klinikübergreifenden Dringlichkeitsliste bugsiert haben soll, indem sie ihnen hochdosierte Herzmedikamente verabreichte und ihnen somit einen schlechteren Gesundheitszustand zuschrieb, als es nach der Aktenlage plausibel erschien. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen versuchten Totschlags.

Das Herzzentrum hatte die Ermittler selbst eingeschaltet – offenbar ein Versuch, in dem Skandal in die Offensive zu kommen. Denn aufgedeckt wurden die Unregelmäßigkeiten – das Herzzentrum spricht von Auffälligkeiten – durch die Kontrolleure der Prüfungskommission von Bundesärztekammer, Krankenkassen und Deutscher Krankenhausgesellschaft bereits vor einigen Wochen.

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Dreimal waren die Prüfer der Bundesärztekammer im Haus. Im Rahmen ihrer laufenden Kontrollen der Transplantationsprogramme für Herz, Leber und Niere seit Oktober 2013 prüften sie in deutschen Kliniken 37 Programme. Im Herzzentrum seien die Vor-Ort-Prüfungen abgeschlossen, das Gesamtprüfungsverfahren jedoch noch nicht, teilte die Bundesärztekammer am Freitag mit. Die Ergebnisse würden nach Abschluss des Verfahrens in einem Bericht zusammengestellt, der auch veröffentlicht werden soll. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) rechnet damit, dass der Bericht im September vorliegt. Ebenfalls im September, bei der Bilanzpressekonferenz, will die Prüfungskommission über die bisherigen Ergebnisse der abgeschlossenen Prüfungen informieren.

Rückschlag für Organspendebereitschaft

Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass im Herzzentrum Patienten hochdosierte Herzmedikamente verabreicht wurden, um sie in der internationalen Liste nach vorn zu bringen, wäre das der zweite aufsehenerregende Organspende-Skandal nach dem Fall des Göttinger Transplantationszentrums. Hier ging es vor allem um Manipulationen zugunsten der dortigen Leberpatienten. In den darauffolgenden Monaten waren außerdem weitere ähnliche Manipulationen an anderen Kliniken quer durch die Republik enthüllt worden, so etwa in München, Leipzig und Regensburg. Mitunter wurden auch Spenderorgane als minderwertig eingestuft, sodass sie gleich vor Ort und vorbei an der internationalen Vergabestelle Eurotransplant mit Sitz in den Niederlanden weitergegeben werden konnten.

Die Meldungen über mögliche Unregelmäßigkeiten dürften einen weiteren Rückschlag für die Organspendebereitschaft in Deutschland bringen: Seit Bekanntwerden der Manipulationen von 2012 ging die Zahl der Spender Monat für Monat zurück. So wurden nach Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantationen in der ersten Jahreshälfte 2014 nur noch 435 Organspender registriert, vor einem Jahr waren es noch 459 und damit weit weniger als die gut 600 Spender, die noch vor der Enthüllung der Skandale verbucht worden waren. Selbst wenn es sich im Fall des Berliner Herzzentrums noch um einen Verdacht handelt – er erschüttert das Vertrauen in die Transplantationsmedizin erneut. Es ist wie ein Stich ins Herz.

„Vertrauen stark erschüttert“

„Das Vertrauen der bundesweiten Öffentlichkeit in die Transplantationsmedizin ist bereits stark erschüttert und die Zahl der Organspender dadurch deutlich zurückgegangen“, sagte Gesundheitssenator Czaja. Ein weiterer Verlust des Ansehens der Transplantationsmedizin und der damit verbundene Verlust von Hoffnung vieler potentieller Empfänger von Organen könne nur verhindert werden, „wenn umfassende Transparenz hergestellt wird, mögliche Unregelmäßigkeiten strikt aufgeklärt werden und das neue Transplantationsgesetz konsequent angewendet wird“. Mit diesem Gesetz, das seit seit dem 1. August 2012 gilt, seien einheitliche und klare Standards für die Qualität und Sicherheit der Organtransplantation geschaffen worden.

Die Transplantationsmedizin vollbringe Höchstleistungen, die bereits unzählige Leben gerettet hat, betonte Czaja. Insbesondere das Herzzentrum Berlin habe sich durch große Leistungen ein hohes Renommee erworben, das nicht in Misskredit geraten dürfe. „Ich bin davon überzeugt, dass dieses Renommee durch lückenlose Aufklärung auch wieder vollständig hergestellt werden wird“, sagte der Senator. Eine Beurteilung der Vorgänge durch die Gesundheitsverwaltung könne erst vorgenommen werden, wenn die Prüfberichte vorliegen.

Jeder Patient, der auf eine Organspende wartet, wird in einer bundesweiten Liste geführt. Damit soll sichergestellt werden, dass gespendete Organe nur nach medizinischer Dringlichkeit vergeben werden. In Deutschland warten etwa 10.700 schwer kranke Menschen auf ein lebensrettendes Spenderorgan. Alle acht Stunden stirbt nach Angaben der Stiftung Organtransplantation einer von ihnen, weil kein Organ rechtzeitig zur Verfügung steht. Im vergangenen Jahr warteten in Deutschland nach der Liste der Vergabestelle Eurotransplant 929 Menschen auf ein Spenderherz.

Strengere Vorgaben und Kontrollen

Die möglichen Manipulationsfälle im Herzzentrum stammen aus den Jahren 2010 bis 2012 und fallen damit in eine Zeit, in der die Vorgaben und Kontrollen noch weniger streng geregelt waren als jetzt. Nach den früheren Manipulationsskandalen wurden die Vorschriften verschärft: Unter anderem wurden Kontrollen durch eine Prüfungs- und eine Überwachungskommission aus Ärzten, Kliniken und Krankenkassen in den deutschen Transplantationszentren auf den Weg gebracht, die jetzt in Berlin die Auffälligkeiten zutage förderten. Außerdem hatte der Bundestag die Änderung des Transplantationsgesetzes beschlossen. Nun müssen Ärzte, die Manipulationen an Wartelisten vornehmen, um Patienten zu bevorzugen, künftig mit einer „Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe“ rechnen.

Darüber hinaus muss sich die Bundesärztekammer die Richtlinien, nach denen Herzen, Lungen, Lebern, Nieren und Bauchspeicheldrüsen vergeben werden, künftig vom Bundesgesundheitsministerium genehmigen lassen. Auch in den Transplantationszentren wurde viel verändert. So führte das Herzzentrum etwa Transplantationskonferenzen und ein Vier-Augen-Prinzip ein. Dies schließe fragwürdige Entscheidungen einzelner Ärzte in der Praxis weitgehend aus, sagen Experten.

Die Stiftung Patientenschutz forderte dennoch eine weitere Verschärfung der Regelungen. So müssten in der zuständigen Überwachungskommission in Zukunft staatliche Stellen mitarbeiten. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sollte die Überwachung von Transplantationen dem Robert Koch-Institut übertragen, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Er warf dem Herzzentrum vor, seit Monaten von den Vorwürfen gewusst zu haben.

Fragwürdiger Ehrgeiz

Die Manipulationen werden unter anderem darauf zurückgeführt, dass viele Ärzte im Wettstreit um die Organe einen fragwürdigen Ehrgeiz entwickeln. So kritisieren die gesetzlichen Krankenkassen, dass es zu viele Transplantationszentren bei zu wenigen Spenderorganen gebe – und Kliniken mit zu geringen Fallzahlen für das Patientenwohl nicht die optimalen Voraussetzungen böten. Doch mit der Schließung von Zentren tun sich die zuständigen Landesbehörden bislang immer noch schwer.

Eine Frage im Berliner Herzzentrum ist nun, ob die Patienten die starken Medikamente wirklich brauchten. Oder wurden sie, wie im laufenden Prozess um die Lebertransplantationen in Göttingen vermutet wird, kränker gemacht, als sie ohnehin bereits waren? Das alles ist noch unklar. Nur die Hauptursache für mögliche Manipulationen ist bekannt. Es ist der Mangel an Spenderorganen und die immer wieder neue Abwägung, wer weiterleben soll und wer nicht. Es ist ein menschliches Drama.