Islamist

Der Gotteskrieger aus Kreuzberg ist tot

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Samir M. war ein Berliner, nett, höflich. Doch dann entdeckte er die Religion für sich - und wurde zum Islamisten. Jetzt ist er in Syrien als Dschihadist gefallen. Er wurde nur 27 Jahre alt.

Der Polizeieinsatz an jenem Donnerstag im September des Jahres 2011 war spektakulär. Mehr als 200 Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) stürmten zeitgleich zu den Wohnungen des damals 28-jährigen Hani N. in der Neuköllner Heinrich-Schlusnus-Straße und des damals 24-jährigen Samir M. in der Kreuzberger Urbanstraße. Der Vorwurf: Vorbereitung eines Terroranschlags. Den Ermittlungen zufolge hatten die Männer große Menge Chemikalien bestellt, mit denen sie eine Bombe hätten bauen können.

Von mindestens einem der Männer geht nun definitiv keine Gefahr mehr aus: Denn Samir M. ist tot. Nach Informationen der Berliner Morgenpost starb der Deutsch-Libanese Ende März in der Umgebung der syrischen Stadt Kasab. Sie liegt nur wenige Kilometer südlich der Grenze zur Türkei. Die Umstände des Todes von Samir M. sind unklar. Bekannt ist aber, dass es in der Region bei einer Offensive islamistischer Gruppen Ende März heftige Kämpfe und viele Tote gab.

Familie von Samir M. schweigt

Die Familie von Samir M. will nicht über seinen Tod sprechen. Das ist verständlich. Denn für sie ist Samir kein knallharter Dschihadist, der seinen Tod möglicherweise billigend in Kauf nahm – sondern ihr viel zu früh verstorbener Sohn. Auch aus seinem Umfeld ist nur Gutes über den mit 27 Jahren Gestorbenen zu hören. Nett, höflich und zuvorkommend sei er gewesen, berichtet eine ihm nahe stehende Person, die ihn nach seiner Festnahme wegen des Terrorverdachts kennen gelernt hat. Er habe die Religion für sich entdeckt. Extremistisch sei Samir früher aber nicht gewesen. Dann habe er ernste Beziehungsprobleme bekommen. Als er dann immer häufiger „mit den falschen Leuten“ umher zog, habe er sich mehr und mehr von alten Bekannten und seiner früheren Umgebung distanziert – und sei zum Extremisten geworden.

Von da an verfolgten auch die Sicherheitsbehörden den Werdegang von Samir M. Seine charakterlichen Vorzüge interessierten sie weniger, umso mehr aber seine zahlreichen Aktivitäten in der Berliner Dschihadisten-Szene, wo Samir M. zu einer zentralen Figur wurde.

Ausreise am Flughafen Tegel verweigert

Zum ersten Mal fiel Samir M. den Behörden spätestens im September 2009 auf. Beamte griffen ihn am Flughafen Tegel auf, als er mit zwei weiteren Islamisten nach Istanbul fliegen wollte. Von dort wollten die drei Männer weiter in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ziehen, um an der Seite islamistischer Kämpfer gegen die westlichen Truppen zu kämpfen oder um sich zumindest in einem Terrorcamp ausbilden zu lassen. So vermuteten es jedenfalls die Ermittler. Ganz unbegründet war ihr Verdacht nicht. Denn sie hatten nicht nur E-Mails abgefangen, die auf eine solche Ausreise hindeuteten, sondern wähnten sich auch durch den später aufgeflogenen V-Mann Irfan P. über die Pläne der Berliner Dschihadisten bestens informiert.

Die Beamten verweigerten den dreien die Ausreise – und entzogen Samir M. zudem seinen Reisepass. Viel nutzte das nichts. Denn nicht einmal ein Jahr später, im August 2010, unternahm Samir M. einen neuen Anlauf. Diesmal wählte er den Landweg für die Reise nach Istanbul. Dafür reichte der Personalausweis. Schon im Oktober kehrte er allerdings zurück. Ob er es bis ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet schaffte, ist bis heute nicht geklärt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte jedenfalls. Zu einer Anklage ist es aber nie gekommen.

Nach der spektakulären Festnahme im September 2011 schien die Dschihadisten-Karriere des Samir M. ihren Schlusspunkt gefunden zu haben. Nach Überzeugung der Ermittler hatte der damals ebenfalls festgenommene Hani N. Säure geordert und eine große Menge an Kühlelementen, womit sich eine Bombe bauen ließe. Samir M. soll der Komplize von Hani N. gewesen sein und ihn unterstützt haben. Der entscheidende Hinweis kam damals von der NSA. Der US-Nachrichtendienst hatte eine E-Mail abgefangen, mit der Hani N. einen Teil der Chemikalien bestellt hatte. Die große Menge hatte die US-Behörden offenbar stutzig gemacht.

Glückwünsche waren verfrüht

Konkrete Anschlagspläne hatten die Männer allerdings nicht. Der damalige Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sprachen nach der Festnahme dennoch von einem großen Fahndungserfolg. Doch die Glückwünsche waren verfrüht. Denn fast alle Beobachter gingen zwar davon aus, dass die Islamisten die Kühlpads nicht für den nächsten Camping-Urlaub gekauft hatten. Der Nachweis zur Vorbereitung einer „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ fehlte aber. Das Berliner Kammergericht erkannte daher keinen dringenden Tatverdacht.

Strafrechtlich war Samir M. und Hani N. also nichts nachzuweisen. Wie tief sie in die Berliner Dschihadisten-Szene verstrickt waren, bewiesen sie aber noch am Tag ihrer Entlassung. Auf einem per Facebook verbreiteten Foto zeigten sie sich grinsend und in Siegerpose mit den seinerzeit wichtigsten Protagonisten des militanten Flügels der Berliner Salafisten-Szene: Rechts von ihnen posierte der zum Islamisten mutierte einstige Gangster Rapper Denis Cuspert. In ihre Mitte nahmen Hani und Samir den Österreicher Mohamed Mahmoud. Er hatte als Gründer und Chef der deutschen Sektion der „Globalen Islamischen Medienfront“ eine vierjährige Haftstrafe wegen der Verbreitung von Terrorpropaganda abgesessen.

Samir M. gehörte offenbar zu Cusperts und Mahmouds engstem Umfeld – zur Gruppe „Millatu Ibrahim“ („Gemeinschaft Abrahams“). In ihr versammelten sich einige Dutzend gewaltbereiter Salafisten, die später in Solingen, anfangs aber von Kreuzberg aus agierten. „Wir werden nicht aufhören, bis die Scharia komplett über die ganze Erde herrscht“, schmetterte ihr Anführer, Mohamed Mahmoud, seinen Anhängern entgegen. Oder: „Islam ist wirklich Frieden – für jeden Gläubigen. Aber ein Krieg gegen jeden Ungläubigen!“

Viele Anhänger verließen Deutschland daraufhin

Es waren solche „Predigten“, die den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Juni 2012 veranlassten, „Millatu Ibrahim“ zu verbieten. Das Führungspersonal und viele Anhänger der Gruppe verließen Deutschland daraufhin. Auch Samir M. war dabei. Wie viele seiner Mitstreiter zog es ihn zunächst wohl nach Ägypten. Vermutlich über das Zwischenziel Libyen reiste Samir M. dann nach Syrien. Der Kampf gegen das Regime des Machthabers Baschar al-Assad wurde in der internationalen Dschihadisten-Szene zur religiösen Pflicht überhöht. Seit die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS, vormals ISIS) vor wenigen Wochen das „Kalifat“ ausrief, lockt auch die zweifelhafte Aussicht, am Aufbau eines angeblich „islamischen“ Gottesstaates mitzuwirken. Auch der einst als „Deso Dogg“ bekannte Kreuzberger Denis Cuspert spielt in Syrien eine wichtige Rolle. Wie die meisten Dschihadisten aus Deutschland schloss auch er sich dem IS an. Dort gilt er als Anführer der „Deutschen Brigade Millatu Ibrahim“. Sein einstiger islamistischer Busenfreund Mohamed Mahmoud wurde nach seiner Ausreise aus Deutschland dagegen in der Türkei verhaftet und sitzt in Auslieferungshaft.

Insgesamt sind nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz mittlerweile bereits etwa 320 Islamisten aus Deutschland nach Syrien gereist. Die Behörden gehen aber davon aus, dass etwa zwei Dutzend selbst ernannte Gotteskrieger aus Deutschland im „Heiligen Krieg“ in Syrien bereits ums Leben gekommen sind. Nun gehört auch Samir M. zu ihnen. Er ist der erste Dschihad-Tote aus der Hauptstadt – zumindest der erste, dessen Fall bekannt geworden ist.