Kalte Luft weht die Betonstufen herauf, die unter die Erde führen. Draußen vor der Tür sind es 26 Grad, hier unten zwölf. Im schummrigen Licht eröffnet sich eine riesige Halle, gestützt von unzähligen Säulen aus Beton, 60 mal 70 Meter.
Ein seltener Anblick, denn normalerweise reicht hier das Wasser vier Meter hoch, fast bis unter die Decke der Halle. Einer der Berliner Wasserspeicher ist leer, weil er repariert wird, an der Lüftung. Eine gute und einzigartige Gelegenheit, das Bauwerk zu besuchen. Das Innere eines Reinwasserbehälters sieht aus wie die düstere Kulisse eines Gangsterfilms. Das Echo schallt gespenstisch noch viele Sekunden durch das Zwielicht.
Von hier kommt also das Berliner Wasser. Es fließt aus dieser Halle über Pumpen und ein Netz aus Rohren in die Wasserhähne der Berliner Badezimmer und Küchen. Dann ist es bereits gesäubert und aufbereitet, alles ohne Chemie, nur mit Hilfe von Sauerstoff und den Bodenschichten.
Der Reinwasserbehälter, der 1920 erbaut wurde, ist einer von vieren im Wasserwerk Tiefwerder in Grunewald. 16.000 Kubikmeter fasst allein dieser eine, 39.000 alle zusammen. Dabei ist das Werk Tiefwerder, das in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, für Berliner Verhältnisse ein relativ kleines, quasi eine Filiale der Mutter Beelitzhof in Wannsee. Im deutschen Vergleich ist es jedoch sehr groß.
Auch an heißen Tagen wird volle Kapazität nicht ausgeschöpft
Wie rund 60 Prozent des Berliner Trinkwassers, kommt auch das Wasser, das in Tiefwerder aufbereitet wird, aus einem Gewässer. Es wird zum größten Teil aus dem Hohlen Weg, einem vor Jahrzehnten angelegten Arm der Havel, gepumpt. Man spricht dann von Uferfiltrat, weil Brunnen in Ufernähe das Wasser so ansaugen, dass es durch Bodenzonen sickert, die es säubern.
Ralf Binz arbeitet schon seit 1986 im Wasserwerk Tiefwerder, 39 Angestellte gab es damals. „Heute arbeiten hier sechs Mitarbeiter“, sagt er, „wir können das meiste vom Werk Beelitzhof fernsteuern.“ Binz leitet heute das Werk Beelitzhof, das eines von drei sogenannten Berliner Schwerpunktwerken ist. Sie stellen den größten Teil der 530.000 Kubikmeter Wasser, die Berlin täglich im Durchschnitt verbraucht.
„Aber keines der Werke arbeitet an seiner Kapazitätsgrenze“, sagt Stepahn Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe (BWB). Kapazitätsgrenze würde bedeuten, 1.090.000 Kubikmeter. Selbst an sehr heißen Tagen ohne Ferien erreicht Berlin kaum 800.000. Tiefenwerder liefert sechs Prozent der gesamten Fördermenge. Noch bis vor wenigen Jahren gab es sogar 16 Wasserwerke in Berlin, heute sind es neun. Denn der Verbrauch der Berliner ist von etwa 150 Liter pro Tag und Kopf auf 110 gesunken.
Jazz-Konzert im Wasserbehälter
Wenn alles gut läuft, wird die Halle Anfang nächster Woche wieder mit Trinkwasser geflutet. Jetzt blickt man nur in ein dunkles Loch im Boden der Halle. An den grauen Wänden der Öffnung sind Fingerabdrücke zu erkennen. Die Filmbilder bleiben. Normalerweise ist dieser Ort ein hermetisch verschlossener Raum.
„Man muss es sich vorstellen wie eine Lebensmittelverpackung“, sagt Sprecher Natz. Deswegen muss unter der Erde immer die gleiche Temperatur herrschen, egal, ob im Sommer oder im Winter. Zwölf Grad, die Temperatur des Grundwassers. Das Dach des Reinwasserbehälters ist aus diesem Grund mit Erde aufgeschüttet und bepflanzt worden. „Es darf auch kein Licht an das Wasser kommen, und es muss alles absolut keimfrei bleiben“, erklärt Natz. Deswegen darf die Halle auch nur mit desinfizierten Gummistiefeln betreten werden.
Alle zwei Jahre wird der Reinwasserbehälter in Tiefwerder entleert, gesäubert und gewartet, bevor er die Berliner wieder mit Wasser versorgt. Die Akustik in der leeren Halle lässt auch an andere Verwendungsmöglichkeiten denken. Und tatsächlich: Ein Jazzkonzert hat es in einem solchen Behälter bereits gegeben – mit nur einem Saxophonisten, der Lärm wäre sonst nicht zu ertragen, erzählt Stephan Natz. Die Krimikulisse wäre die andere Option.