Groß war die Empörung, als in Kleidungsstücken der irischen Billigmodekette Primark angebliche Hilferufe von asiatischen Textilarbeitern auftauchten. Klein ist sie am Donnerstag in der Warteschlange auf dem Alexanderplatz, wo der Textilriese an diesem Morgen seine zweite Berlin-Filiale eröffnet. Ein Teeniepärchen wartet hier schon seit 8 Uhr. „Was? Ob sich mein Einkaufsgefühl jetzt wegen der Berichte geändert hat?“ Das Mädchen schaut seinen Freund fragend an. „Eigentlich nicht. Ist doch anderswo dasselbe. Ich kaufe halt, wo ich billig Sachen kriegen kann.“ Auch Katharina aus Königs Wusterhausen sagt, sie denke beim Einkaufen nicht daran, wie das Kleidungsstück produziert wurde. „Das ist mir nicht so wichtig“, erklärt die 16-Jährige. Genauso sehen das zwei andere Mädchen am hinteren Ende der Schlange. „Wenn ich später mal Geld verdiene, kann ich mir fair produzierte Klamotten vielleicht leisten“, so die eine. Ihre Freundin ist da pragmatischer. „Sorry, aber mir ist Quantität halt wichtiger als Qualität.“ Es folgt ein trotziges Schulterzucken, wie es nur eine 15-Jährige hinbekommen kann.
Kleidertausch statt Kleiderkauf
Viel Stoff für wenig Geld – dafür steht die Modekette Primark seit ihrer Gründung 1969. Seit 2009 expandiert sie auch in Deutschland. An diesem Donnerstag nun findet endlich statt, worauf angeblich Tausende Berliner vor allem der jüngeren Jahrgänge seit Monaten hingelebt haben: Primark eröffnet seine zweite Filiale in der Stadt, mitten auf dem Alexanderplatz. 5000 Quadratmeter T-Shirts, Hosen und Röcke für das kleine Budget. Das Band durchschneidet der irische Regierungschef Enda Kenny. Man stelle sich nur einmal vor, Bundeskanzlerin Merkel würde zur Eröffnung einer Adidas-Filiale nach Irland reisen.
Kurz vor Eröffnung drängeln sich die Menschenmassen hinter den Absperrungen, alle wollen rein. Doch nur eineinhalb Stunden zuvor füllten – sämtlichen Prophezeiungen zum Trotz – gerade einmal 60 Menschen die Erste der acht durch Metallabsperrungen im Slalommuster entstandenen Reihen, die stark an den Eincheck-Bereich am Flughafen erinnern. Auch bei der Polizei will kein rechter Enthusiasmus aufkommen. Aber es ist auch ein Donnerstag. Noch gibt es keine Ferien, weswegen sich die Zahl der Schüler anfangs in Grenzen hält. Und viele Erwachsene müssen arbeiten.
Vor der Filiale gibt es zwei Stände mit Menschentrauben drumherum. An diesen sind die T-Shirts noch günstiger als bei Primark, hier sind sie umsonst. Die Jugend des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat an den Ständen eine Kleidertauschaktion organisiert. Sie will damit das Argument vieler junger Primark-Kunden entkräften, wegen der niedrigen Preise dort einzukaufen. Munter drängeln sich Menschen um die Kleiderberge und packen alles, was ihnen gefällt, in braune Papiertüten mit dem Schriftzug „CRIMEark“. „Kleidung hat einen Wert“, sagt Hanna Steinmüller von der BUNDjugend. „Deshalb veranstalten wir hier die Kleidertauschparty. Wir wollen zeigen, dass man auch anders konsumieren kann als in Fast-Fashion-Läden.“
Kritik an Wegwerfmentalität
Fast Fashion, dieser Begriff stammt von der Kampagne für Saubere Kleidung, die neben den kostenlosen Klamottenbergen mit Flyern und Performances auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen der Textilarbeiter aufmerksam machen will. „Wir lehnen diese Wegwerfmentalität ab. Dieses Sachen kaufen, sie vorher nicht einmal anprobieren, nur weil sie so billig sind“, meint Aktivist Simon Toewe. Fast Fashion sei speziell durch Primark entstanden, denn es sei bekannt, dass die Filialen zu wenig Umkleidekabinen hätten. „Die Leute kaufen also auf Verdacht. Es ist bewiesen, dass mit der Expansion von Primark in Großbritannien die Anzahl an ungetragenen Klamotten in Mülltonnen eklatant gestiegen ist.“ Das unterscheide den Konzern noch einmal von Konkurrenten wie H&M oder C&A.
Die Aktion mit den Hilferuf-Etiketten, die vermutlich im Rahmen einer Kunstaktion entstanden sind, findet Simon Toewe gut. In drei Kleidungsstücken von Primark fanden Kundinnen im Juni eingenähte Botschaften, auf denen vermeintliche Textilarbeiter aus Bangladesch über zu lange Arbeitszeiten und „entwürdigende Konditionen im Ausbeuterladen“ klagten. In einer Hose war gar ein chinesischer Gefangenenausweis eingenäht, überschrieben mit „SOS!“ in Großbuchstaben. Primark gab an, die Sache mit den Etiketten und den damit verbundenen Vorwurf der Ausbeutung prüfen zu wollen. Und ließ wenig später verlauten, bei zumindest zwei der drei Notrufe handele es sich höchstwahrscheinlich um Fälschungen. Der Fall des chinesischen Insassen hingegen werde derzeit noch untersucht. Jedoch zweifelt Primark auch hier die Echtheit an. „Ob die Labels jetzt echt sind oder nicht, das ändert an den unwürdigen Arbeitsbedingungen in Bangladesch und China nichts“, meint Toewe. „Da ist Öffentlichkeit geschaffen worden, und die ist wichtig.“ In den Ländern in Südostasien, in denen viele Großkonzerne Kleidung produzieren lassen, sind die Arbeitsbedingungen häufig schlecht. Es gibt niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten. Die Fabriken gelten aufgrund ihrer billigen Bauweise als gefährlich. Bei einem Einsturz eines Hochhauses in Bangladesch starben 1100 Menschen, knapp 2500 wurden verletzt. Die Opfer arbeiteten aber nicht für Primark.
Eine aus humanitärer Sicht weiße Weste hat der Textilriese ebenso wenig wie manche andere Modekette. Zwar richten sich die Proteste auf dem Alexanderplatz nicht ausschließlich gegen Primark. „Doch die treiben durch ihre sehr günstigen Preise diese Wegwerfmentalität einfach auf die Spitze“, findet Hanna Steinmüller. Primark unterbietet selbst die Preise beim Massenversorger H&M bei Weitem. Die teuersten Teile der neuen Herbstkollektion sind Stiefel für 17 Euro und eine Jacke für 28 Euro. Ansonsten bewegen sich die Preise für Shirts, Röcke und Hosen eher im einstelligen Bereich.
Mitschuld des Verbrauchers
Auf seiner Website stellt der Konzern eindrücklich dar, mit welchen Initiativen und Projekten er sich für die Verbesserung seiner Arbeiterinnen einsetzt. Bunte Image-Filme im Stil der Spendenaufruf-Clips von Hilfsorganisationen sind eingebettet, untermalt von Klängen in Bollywood-Manier. Da ist von Schulungen zu Hygiene und Ernährung die Rede, von eigenen Bankkonten für die Arbeiter und „Wegen, die Arbeiterlöhne zu erhöhen“. Doch sprachlich bewegen sich die Ausführungen auf verpflichtungsfreiem Terrain. Die genannten Ziele bleiben Ziele, man ist „entschlossen“, man „bemüht“ sich.
„Als ein internationales Unternehmen mit einer globalen Lieferkette haben wir die Verantwortung, ethisch zu handeln, und wir sehen diese Verantwortung als Chance, Gutes zu tun“, ist zu lesen. Der Nachweis, dass Primark dieser Verantwortung in der Praxis nachkommt, fehlt. Die Selbstdarstellung schließt mit: „Primark ist entschlossen, seinen Kunden den bestmöglichen Wert zu bieten, aber nicht auf Kosten der Menschen, die unsere Produkte herstellen.“ Die Kette beruft sich auf ihre Mitgliedschaft in der Ethical Trading Initiative (ETI), einem Zusammenschluss von Unternehmen und Hilfsorganisationen, der sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Konsumsektor weltweit einsetzt. Die ETI bescheinigte Primark immerhin, transparente Berichte über seine Fortschritte bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu liefern. Auch könne das Unternehmen „positive Effekte“ für seine Arbeiter vorweisen.
Primark gesteht: „Wir wissen aber auch, dass wir noch mehr Arbeit vor uns haben.“ Die Mehrzahl der Primark-Kunden mögen ausführliche Beschreibungen der Bemühungen um ethischen Handel beruhigen. Gewerkschafter Hubertus Thiermeyer mag die Konsumenten nicht vollständig aus ihrer Verantwortung entlassen: „Wer ein T-Shirt für zwei Euro kauft, muss wissen, dass jemand anderes den Preis dafür bezahlen muss“, sagt der Handelsexperte von Verdi.
Vielen Kunden am Alexanderplatz ist der Protest vor der Tür egal. Hauptsache billig.