Der Bezirk Lichtenberg will die Gerichtshilfe für Heranwachsende freien Organisationen anvertrauen. Experten sind gegenüber der Privatisierung skeptisch – Kosten werden nicht eingespart, aber Stellen.

Sie sprechen mit auffälligen Jugendlichen, sammeln Informationen über ihr familiäres Umfeld und geben sogar Empfehlungen für Gerichtsurteile ab. Für die Entscheidung, ob ein junger Mensch nach einem Vergehen hinter Gittern landet oder eine zweite Chance erhält, ist die Einschätzung der Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe oft ebenso wichtig wie die des Richters. „Es ist eine Aufgabe von enormer Bedeutung“, sagt Thomas Weylandt.

Doch das Vorstandsmitglied in der Berliner Landesgruppe der Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen sorgt sich, ob diese Aufgabe künftig noch verantwortungsvoll wahrgenommen werden kann. Denn mit Lichtenberg gibt es in Berlin erstmals einen Bezirk, der die Jugendgerichtshilfe an freie Träger übertragen will. Kritiker schlagen Alarm: Private Organisationen, so die Befürchtung, könnten ihre Anstrengungen weniger auf die Suche nach der bestmöglichen erzieherischen Wirkung richten – sondern darauf, mit der Aufgabe möglichst viel Geld zu verdienen.

Die Lichtenberger Jugendstadträtin, Sandra Obermeyer (Linke), und der Leiter des Jugendamtes, Rainer Zeddies, wissen, dass sie mit ihrem Vorhaben Neuland betreten. Sie wollen die Aufgaben von sieben der acht Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe an freie Träger übertragen. Der beim Bezirksamt verbleibende Mitarbeiter soll nur noch Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben wahrnehmen. Bis Januar 2016 soll es soweit sein. Die Bezirksverordneten haben den Plan bereits abgesegnet.

„Nachvollziehbare kritische Einwände“

Dass es „nachvollziehbare kritische Einwände“ gibt, räumt Stadträtin Obermeyer ein. Auch Jugendamtsleiter Zeddies gibt offen zu: „Die Entscheidung ist unter dem Druck der Vorgabe des Abgeordnetenhauses zustande gekommen, nach der wir bis 2016 insgesamt 274 Stellen einsparen sollen.“

Billiger werde die Vergabe an freie Träger aber nicht unbedingt. Denn der Bezirk werde zwar weniger Geld für eigenes Personal ausgeben, müsse aber im Gegenzug den freien Träger bezahlen. Der Befürchtung, eine private Organisationen könnte sich von rein finanziellen Gesichtspunkten leiten lassen, werde der Bezirk mit klaren Vorgaben und einer effektiven Kontrolle begegnen. „Wir erwarten gute Konzepte und werden die Angebote der Träger genau prüfen“, versichert Zeddies.

Thomas Weylandt von der Vereinigung für Jugendgerichtshilfe glaubt dagegen, dass die Qualität sinken wird. Freie Träger könnten zur Einschätzung von Jugendlichen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht die gleichen Informationen abfragen wie Mitarbeiter des Amtes. Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen würden zudem – bereits bevor sie vor Gericht landen – oft vom Jugendamt betreut, zu dem (noch) die Jugendgerichtshilfe gehört.

Rechtlich ist das Vorgehen unproblematisch

Die Trennung der Bereiche werde zu Reibungsverlusten führen, die Konsequenzen könnten fatal sein. Ein Jugendlicher, dessen Familienverhältnisse man ordnen müsste, könnte wegen einer fehlerhaften Empfehlung im Gefängnis landenund als Schwerkrimineller abgestempelt werden.

Üblich ist die „Privatisierung“ nicht, rechtlich ist sie aber möglich. Laut Kinder- und Jugendhilfegesetz können die Träger der öffentlichen Jugendhilfe – in Berlin die bezirklichen Jugendämter – ihre Aufgaben an „anerkannte Träger der freien Jugendhilfe“ übertragen. Genannt werden im Gesetz auch die Aufgaben der Jugendgerichtshilfe. „Juristisch ist das unproblematisch“, sagt auch der Göttinger Professor für Jugendstrafrecht, Jörg-Martin Jehle.

Praktiker bleiben jedoch skeptisch. „Ich glaube nicht, dass wir von freien Trägern genauso fundierte Einschätzungen bekommen würden wie von der bisherigen Jugendgerichtshilfe“, vermutet ein für Lichtenberg zuständiger Jugendrichter.