Tempelhofer Feld

Der SPD-Feldversuch ist mit dem Volksentscheid gescheitert

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Joachim Fahrun

Noch nie hat eine Koalition eine so deutliche Schlappe bei einer wichtigen Frage erlitten wie an diesem Sonntag. Das müsste eigentlich personelle Konsequenzen für Wowereit und Müller nach sich ziehen.

Die erste Reaktion des SPD-Landeschefs war sportlich-fair. „Wir gratulieren der Volksinitiative“, sagte Jan Stöß, nachdem der Erfolg der Bebauungsgegner im Tempelhof-Volksentscheid schon relativ früh am Abend feststand. „Aber in der Sache bleiben wir hart: Wir kämpfen weiter für bezahlbaren Wohnraum. Nicht in Tempelhof, aber überall sonst in der Stadt“, fügte der oberste Sozialdemokrat der Stadt fast trotzig hinzu.

Das hatten sich Stöß und seine Parteikollegen im Kurt-Schumacher-Haus ganz anders vorgestellt. Die Tempelhof-Kampagne sollte die Berliner SPD, die für eine Randbebauung stärker kämpfte als ihr Koalitionspartner CDU, wieder in die Vorhand bringen in der Stadt. Die SPD wollte sich profilieren als die politische Kraft, die gegen alle Partikular- und Gruppeninteressen den Blick auf die Bedürfnisse der Gesamtstadt lenkt und mit dieser Position das Vertrauen der besonnenen, an Entwicklung interessierten Berliner zurückgewinnt. Auch wenn die Plakate optisch missraten waren, zeigte die SPD doch starke Präsenz in der Stadt.

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Aber jetzt hat die Volksinitiative gewonnen und mit ihr die Oppositionsparteien. „Wir haben es gepackt, genial“, twitterte Linken-Landeschef Klaus Lederer. Vom „größten Geschenk, das mir diese Stadt heute machen konnte“, sprach der Piraten-Fraktionschef Martin Delius. „Das ist Berlin“, kommentierte der Landeschef der Grünen, Daniel Wesener.

Für die CDU ist die Tempelhof-Niederlage leichter zu verkraften

Die Regierungskoalition hat offensichtlich das Misstrauen und die Frustration unterschätzt, die diesem Senat von den Wählern mittlerweile entgegenschlagen. SPD und CDU haben einen politischen Fehler begangen, als sie sich nicht mit Teilen der Opposition auf einen gemeinsamen Gesetzestext gegen das totale Nein zur Bebauung einigen konnten. Die 100-Prozent-Tempelhof-Kampagne nahm deutlich Fahrt auf, als auch Linke und Grüne gegen die Baupläne mobilisierten.

Nicht einmal in ihrer eigenen Wählerschaft konnten SPD und CDU ihre Positionen zu der Tempelhof-Bebauung durchgängig vermitteln. Viele, die in Europa für die Regierungsparteien stimmten, folgten deren Empfehlungen beim Volksentscheid nicht. Für die CDU ist die Tempelhof-Niederlage leichter zu verkraften als für den größeren Koalitionspartner. Denn die Union hatte sich sehr viel weniger offensiv in den Tempelhof-Meinungskampf eingeschaltet als die Sozialdemokraten. Sie hatte deutliche Kritik am Senats-Masterplan erkennen lassen. Unter anderem hatte Fraktionschef Florian Graf davon gesprochen, dass er die auf dem Feld geplante Zentral- und Landesbibliothek eigentlich ablehne.

Entsprechend fielen die Reaktionen in den Parteien aus. Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) sprach von einem „Generalkampf gegen den Senat“. Der Schöneberger SPD-Abgeordnete Lars Oberg kommentierte zynisch, die Berliner hätten ein Herz für Immobilienbesitzer entdeckt, deren Eigentum sie dank ihres „weitreichendem Nein zu Neubau schlagartig teurer gemacht“ hätten.

Europa gemeinsam gewonnen - Volksentscheid gemeinsam verloren

Deutlich moderater äußerte sich der stadtentwicklungspolitische Sprecher der CDU, Stefan Evers. Es sei „ganz offensichtlich nicht gelungen, die Berliner von der Notwendigkeit der Bebauung am Rande des Feldes zu überzeugen“, so der CDU-Abgeordnete. „Die Diskussion um die Bibliothek war sicher nicht hilfreich.“ Auch CDU-Generalsekretär Kai Wegner setzte sich von der Koalitionslinie ab. Die Berliner hätten ein klares Votum gegen die Zentral- und Landesbibliothek abgegeben, sagte Wegner. „Es war ein Fehler, dass der Regierende Bürgermeister an seinem Lieblingsprojekt so starr festgehalten hat.“ Diese Worte könnten ein Spaltpilz sein für die rot-schwarze Koalition.

Die Bürger haben die vor allem von der SPD vorgenommene Überhöhung des Tempelhof-Themas verweigert. Das Feld zum Schicksalsort für die Stadtentwicklung hochzustilisieren und alle Bebauungsgegner als „Egoisten“ zu brandmarken, wie es der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit tat, hat den Gegnern noch mehr Unterstützer zugetrieben. Die Ergebnisse waren selbst nach den Umfragen in dieser Deutlichkeit nicht zu erwarten. Einem Senat, der die Pläne für das Feld mehrfach änderte, wollten die Menschen nicht folgen.

Noch nie hat in Berlin eine Regierung eine derartig deutliche Schlappe bei einer zentralen politischen Frage erlitten. Für den Regierenden Bürgermeister und seinen Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) ist die Volksabstimmung ein weiteres Misstrauensvotum, das eigentlich personelle Konsequenzen nach sich ziehen müsste. Die SPD rettet ihr gutes Abschneiden bei den Europa-Wahlen. Noch am Sonntag mahnte Fraktionschef Raed Saleh, man habe die Europa-Wahl gemeinsam gewonnen und den Volksentscheid gemeinsam verloren.

Zudem wurde am Sonntag über die Zusammensetzung des Europaparlaments entschieden.

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