Berlin wächst – und braucht bis zum Jahr 2030 rund 137.000 neue Wohnungen. Die Idee, mehrere Tausend Wohnungen dort zu bauen, wo Berlin zentral ist und zugleich enorm viel Platz hat, in der historischen Mitte, ist da naheliegend. Dennoch gleicht der Vorstoß des SPD-Landesparteichefs Jan Stöß, durch die Wiederherstellung von Straßen und Plätzen zwischen Alexanderplatz und Schloßplatz ein Wohnquartier zu schaffen, einer Palastrevolution.
Denn die Pläne von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) und seiner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher sehen dies bislang nicht vor. Doch mit der Verknüpfung der Themen „Wohnungsbau“ und „Historische Mitte“ setzt Stöß seinen Parteifreund Müller nun zusätzlich unter Druck.
Auch der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) kritisierte auf seiner Neubautagung am Montag, dass die Umsetzung der vom Senat angekündigten Wohnungsbauoffensive nicht schnell genug vorankommt.
Innerstädtischer Wohnungsbau vor allem in Mitte
Der SPD-Landeschef hatte seine Überlegungen zur historischen Mitte am vergangenen Wochenende vorgetragen. Damit setzte Stöß seine Strategie fort, sich besonders im Bezirk Mitte für eine Verdichtung der Stadt und innerstädtischen Wohnungsbau stark zu machen.
Damit, so hatte Stöß jüngst bei einem Besuch der SPD-Basis in Mitte gesagt, könne sich die SPD auch gegen die Grünen absetzen, die im Bundestagswahlkampf der stärkste Konkurrent um das prestigeträchtige Direktmandat im Regierungsbezirk sind. Für diese Linie erhielt Stöß Beifall der anwesenden Parteimitglieder. Man müsse als SPD auch Konflikte aushalten, wenn es um innerstädtisches Wohnen gehe.
Die Kritik, die nun auch aus der eigenen Partei vor allem von den Stadtentwicklungsexperten der Abgeordnetenhaus-Fraktion kommt, hat der Landesvorsitzende durchaus erwartet. In die Debatte, die er auslöste, hat er sich seither nicht mehr eingemischt. Stöß urlaubt auf Mallorca.
Konzept zur Bebauung lag schon 2009 vor
Politisch brisant ist die Bebauung des Areals, weil sie eine Revision der alten DDR-Stadtplanung voraussetzt. Denn dort, wo andere Städte ihre Altstadt haben, im historisch gewachsenen Zentrum der Stadt, klafft in Berlin eine Lücke, abgeräumt für das einstige Staatszentrum der DDR. Nach der Wiedervereinigung sind diese riesigen Aufmarschflächen jedoch funktionslos geworden.
Doch wer immer sich in den vergangenen 20 Jahren für die Bebauung der insgesamt 14 Hektar großen Fläche beidseits der Spandauer Straße, zwischen Rotem Rathaus und Karl-Liebknecht-Straße stark gemacht hatte, sah sich schnell als rückwärtsgewandter Berlin-Traditionalist diffamiert. Dass sich mit Jan Stöß ausgerechnet ein Parteilinker für die Wiederbebauung einsetzt, gibt den Befürwortern nun den lang ersehnten Auftrieb.
„Das Wort von Stöß muss jetzt Gewicht haben, die Senatsverwaltung darf nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen“, fordert auch der Berliner Architekt Bernd Albers. Dieser hatte 2009 gemeinsam mit dem ehemaligen Senatsbaudirektor Hans Stimmann ein umfassendes Konzept zur Bebauung des insgesamt zwei Hektar großen Areals nach historischem Vorbild vorgelegt. „Wenn sich Senatoren nur noch als bloße Verwaltung begreifen, dann ist es gut, wenn die Parteien handeln“, meint der Stadtplaner.
Statt trister Atmosphäre lebendiger Spielraum
Vor knapp einem Jahr hatte auch die CDU angekündigt, sie werde nunmehr konsequent darauf hinarbeiten, dass endlich eine verbindliche Rahmenplanung für das Herzstück der historischen Mitte geschaffen wird. „Insofern sind wir natürlich sehr froh über den überraschenden Vorstoß von Herrn Stöß“, so Stefan Evers, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Die Vorstellungen der CDU und des SPD-Landeschefs seien zudem weitgehend deckungsgleich: Auf Grundlage des historischen Straßenrasters könne sich statt der heutigen tristen Atmosphäre ein lebendiger Stadtraum entwickeln.
In der Verwaltung von Bausenator Michael Müller (SPD) verweist man einerseits darauf, dass man derzeit unter Hochdruck die Gebiete identifiziere, die eine schnelle Wohnbebauung zulassen. Auch in der historischen Mitte werde Wohnen ermöglicht. „Am Molkenmarkt, an der Breiten Straße und auf der Fischerinsel sind wir dabei, Baufelder für insgesamt 1500 auszuweisen“, so Sprecherin Daniela Augenstein.
Linksfraktion lehnt „kleinteilige Wiederbebauung“ ab
Die Debatte um den Rathausvorplatz und das sogenannte Marx-Engels-Forum seien berechtigte Anliegen. „Allerdings werden beide Flächen noch auf Jahre hinaus für die Baustelleneinrichtungen der U5-Verlängerung und des Humboldt-Forums gebraucht“, so die Sprecherin weiter. Deshalb hätte die Ausweisung anderer Flächenpotenziale Vorrang.
Komplett abgelehnt wird die „kleinteilige Wiederbebauung in der historischen Mitte“ vor allem von der Linksfraktion. „Vor allem der Bau von Wohnungen dort mag sich zunächst verlockend anhören“, so die stadtentwicklungspolitische Sprecherin Katrin Lompscher. „Aber glaubt Stöß wirklich, dass hochpreisige Wohnungen eine Belebung der historischen Mitte bringen werden?“, fragt sie.
Dem SPD-Chef sei offenbar entgangen, dass rund um den Fernsehturm fast 5000 Menschen wohnen, etwas mehr auf der Fischerinsel, noch mehr im Umfeld des Alexanderplatzes. „Gäbe es nicht den viel geschmähten DDR-Städtebau – wir hätten kaum Wohnungen und schon gar keine bezahlbaren mehr“, so Lompscher.
Stockende Umsetzung der neuen Liegenschaftspolitik
Eine Konzentration auf den bezahlbaren Wohnungsbau forderte am Montag auch der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). „Seit Jahren mahnen wir dringenden Handlungsbedarf an, damit wir schneller bauen können“, so BBU-Chefin Maren Kern.
Doch noch immer fehlten in Berlin entsprechende Rahmenbedingungen, die dafür sorgen würden, dass sich „wenigstens übermorgen“ Baukräne auch wieder für Mietwohnungen drehen. Sie verwies unter anderem auf die stockende Umsetzung der neuen Liegenschaftspolitik sowie die aufgrund des Personalmangels in den Bauämtern zu langen Bearbeitungszeiten für Baugenehmigungen. Kern: „Die Zeit drängt.“