Mieten

Berliner IHK fordert bezahlbare Mieten für die Mittelschicht

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Isabell Jürgens

Die Industrie- und Handelskammer legt ein Thesenpapier zur Wohnungspolitik vor. Darin erteilt sie dem sozialen Wohnungsbau eine Absage.

Mit einem eigenen Konzept für eine neue Berliner Wohnungspolitik hat sich jetzt die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) in die öffentliche Debatte um die Neubauförderung eingeschaltet. Nachdem CDU und SPD in den vergangenen Wochen ihre Vorschläge vorgestellt haben, überrascht die IHK mit Handlungsempfehlungen, die zum Teil im Widerspruch zu den Plänen der Berliner Regierungsparteien stehen. Das 34-Seiten starke Thesenpapier, das seit Donnerstag auf der Homepage der IHK steht, erteilt vor allem dem Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau eine Absage.

„Eine Förderung mit der Gießkanne darf sich Berlin nicht noch einmal leisten“, warnte IHK-Präsident Eric Schweitzer. Berlin zahlt noch heute jährlich dreistellige Millionenbeträge für die in den 80er- und 90er-Jahren in großem Stil gebauten Wohnungen, die zudem noch nicht einmal mehr besonders günstige Mieten haben. „Wir müssen nicht den Bau von Sozialwohnungen fördern, sondern die Menschen, die am Wohnungsmarkt benachteiligt sind“, so Schweitzer weiter. Nach den Vorstellungen der IHK sei deshalb vor allem nötig, die Wohnkostenzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger zu erhöhen.

Wer gehört in Berlin zu den Durchschnittsverdienern?

Neben dieser Bevölkerungsgruppe gelte es aber vor allem, die breiten Schichten der Bevölkerung mit durchschnittlichen Einkommen mit bezahlbarem Wohnraum in der Innenstadt zu versorgen. Dies gelte insbesondere auch für neu gebauten Wohnraum. In dem Papier, das maßgeblich die IHK-Koordinatorin für Bau- und Immobilienwirtschaft, Karla Leyendecker erarbeitet hat, werden als „bezahlbarer Wohnraum für die Mittelschicht“ Kaltmieten zwischen „acht und zehn Euro pro Quadratmeter“ genannt. Um diese Mieten für einen Anteil von 20 Prozent der errichteten Wohnungen im Neubau zu erreichen, so Leyendecker, sollen verstärkte Anreize zur Quersubventionierung geschaffen werden. „Die teure Dachgeschosswohnung mit zwölf bis 14 Euro subventioniert so die günstigere Wohnung in den weniger begehrten Etagen“, so Leyendecker. Zwar gebe es in einigen Bezirken entsprechende Vereinbarungen zwischen Investoren und Bauämtern bereits. „Dies wird jedoch häufig erst nach dem Kauf des Grundstücks zur Auflage gemacht“, kritisierte die Expertin. Das habe zur Folge, dass die Wirtschaftlichkeitsberechnung der Bauherren im Nachhinein gemindert werde. „Wir brauchen stadtweit verbindliche Auflagen, die den prozentualen Anteil der Wohnungen mit niedrigen Mieten regelt – und das schon vor dem Grundstückskauf“, sagte Leyendecker.

Mieterverein legt Obergrenze bei 6,30 Euro an

Beim Berliner Mieterverein (BMV) sorgt diese Rechnung für Kopfschütteln. „Die IHK sollte sich sachkundig machen, was die ,breiten Schichten" in Berlin an Miete zahlen können“, so der Chef des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. So müssten etwa 65 Prozent aller Berliner Singlehaushalte mit einem Brutto-Monatseinkommen von 1500 Euro auskommen. 30 Prozent stehe sogar weniger als 1000 Euro zur Verfügung. „Da sind Kaltmieten von acht bis zehn Euro nicht drin“, so Wild. Der BMV-Chef beziffert die Obergrenze der für „breite Schichten“ leistbaren Kaltmiete bei 6,30 Euro. Die im noch geltenden Berliner Mietspiegel ausgewiesene durchschnittliche Wohnungsmiete für Berlin liegt bei 5,21 Euro pro Quadratmeter (nettokalt). Angesichts der Mietsteigerungen, so Wild, sei davon auszugehen, dass der Mietspiegel 2013/2014, der im kommenden Sommer erscheint, als Berliner Durchschnittsmiete „um die sechs Euro“ ausweisen werde. Nach Angaben des Forschungsinstitutes F+B mussten Neumieter im zurückliegenden Jahr 6,50 Euro zahlen.

Der Arbeitskreis Stadtentwicklung der CDU-Fraktion hatte, anders als die IHK, vorgeschlagen, den Bau preiswerter Mietwohnungen durch Zinssubventionen anzukurbeln. Bauherren, die sich diese über eine Laufzeit von 15 Jahren sichern wollten, müssten im Gegenzug 33 Prozent der errichteten Wohnungen mit einer Mietpreis- und Belegungsbindung versehen. Die Festpreismiete soll nach dem CDU-Vorschlag 5,95 Euro pro Quadratmeter und Monat im ersten Jahr der Förderung betragen. Einzugsberechtigt sollten zudem alle Berliner sein, die über einen Wohnberechtigungsschein verfügen. „Die IHK-Definition von Kaltmieten im Bereich von rund neun Euro als ,bezahlbarer Wohnraum" sehen wir kritisch“, so der wohnungspolitische Sprecher der CDU, Matthias Brauner. Die CDU halte daran fest, Neubaumaßnahmen von unter sechs Euro für die Mittelschicht zu realisieren.

Schnellere Genehmigungsverfahren beim Liegenschaftsfonds

Über die weiteren Handlungsempfehlungen, die die IHK ausspricht, gibt es dagegen weitgehend Einigkeit. So fordert die IHK eine Modernisierung des Baurechts, das für den größten Teil des westlichen Berlins aus dem Jahr 1961 stammt. Darin ist selbst in den innerstädtischen Kerngebieten eine so geringe Geschossflächenzahl festgelegt, dass die Bauherren dazu gezwungen sind, Zeit und hohe Gebühren zu entrichten, um sich davon befreien zu lassen. Ferner fordert die IHK die bessere Personalausstattung der planenden Bauaufsichtsbehörden in den Bezirken, die schnellere Ausweisung von Bebauungsplänen für neuen Wohnraum und deutlich schnellere Vergaben der Grundstücke durch den Berliner Liegenschaftsfonds. Erwerber müssten häufig ein bis zwei Jahre darauf warten, bis ihnen nach der Bewerbung um ein Grundstück dieses auch zugeschlagen werde, so die Expertin Leyendecker.

Steigende Mietpreise seien zwar Voraussetzung für rentable Wohnungsbauinvestitionen, ergänzte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Die Bezieher von unteren und mittleren Einkommen seien durch höhere Mietbelastungen aber finanziell häufig überfordert. „Die Mischung aus vielen gesellschaftlichen Gruppen in der Innenstadt hat die deutsche Hauptstadt bislang immer von anderen Metropolen der Welt unterschieden.“ IHK-Chef Eder führte weiter aus: „Berlin ist deshalb Anziehungspunkt für Zuzügler aus dem Ausland, weil sie genau diese Mischung suchen und die Stadt damit wirtschaftlich voranbringen.“