In Berlin-Mitte wurde der neue Saal der Staatsbibliothek übergeben. Die Leser müssen sich allerdings noch etwas gedulden.

Nach achteinhalb Jahren Bauzeit und mit insgesamt vierjähriger Verspätung war es am Montag endlich soweit: Die Schlüsselübergabe für die neuen Lesesäle und weiteren Neubauten der im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten Staatsbibliothek Unter den Linden konnte endlich gefeiert werden. Gänzlich abgeschlossen sind die Arbeiten an Deutschlands zweitgrößtem Kulturbauvorhaben nach der Wiedererrichtung des Berliner Schlosses jedoch noch immer nicht. Wenn jetzt alles läuft wie geplant, soll der zweite Bauabschnitt des riesigen Gebäudekomplexes 2015/2016 fertig sein.

„Insbesondere mit dem neuen zentralen Lesesaal hat das Haus seinen Glanz zurückbekommen“, sagte Generaldirektorin Barbara Schneider-Kempf, die den symbolischen Hausschlüssel bei der Feierstunde mit 800 geladenen Gästen im fertig gestellten Lesesaal entgegen nahm. Besucher können die beiden großzügig ausgestatteten Lesesäle jedoch erst im Frühjahr des kommenden Jahres nutzen.

Für das Einräumen der Bücher und das Einrichten der Technik werde der Standort Unter den Linden bis Mitte März 2013 vollständig geschlossen, sagte Schneider-Kempf. Dann werden in dem mehr als 30 Meter hohen Allgemeinen Lesesaal über drei Etagen etwa 130.000 Bücher und 250 Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.

Die Lesesäle versammeln nur drei Prozent des Bestands

Im sogenannten „Rara-Lesesaal“, einem Sonderlesesaal für besonders seltene und wertvolle Drucke, können ab März 2013 gut 30.000 weitere Bücher eingesehen werden. Der Saal, in dem sich Alt- und Neubau vereinen, bietet 48 weitere Arbeitsplätze.

In den beiden Lesesälen sind jedoch nur drei Prozent der riesigen Bestände von Deutschlands größter Universalbibliothek versammelt, so die Generaldirektorin der Bibliothek weiter. Insgesamt lagern in den Tresormagazinen der Staatsbibliothek elf Millionen Bücher und 13 Millionen andere Materialien, darunter zahlreiche kostbare Handschriften.

Mit den neuen Lesesälen und den beiden Tresormagazinen unter dem Allgemeinen Lesesaal, mit den bereits 2011 fertig gestellten Werkstätten der Staatsbibliothek, in denen die Buchrestaurierung, die Digitalisierung und die Druckerei untergebracht sind, sind die Arbeiten an der Staatsbibliothek noch nicht abgeschlossen.

Der gesamte südliche Block muss noch saniert werden

Die nächste Schlüsselübergabe gebe es voraussichtlich Ende 2015 oder Anfang 2016, kündigte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an. Der gesamte südliche Block mit dem Hauptportal Unter den Linden müsse nun noch saniert werden. Eine besondere Herausforderung werde die Wiedererrichtung des Tonnengewölbes über der zentralen Treppenhalle und der Kuppel über dem Hauptzugang Unter den Linden sein.

Weiterhin müssen noch fünf Sonderlesesäle instand gesetzt und das Bibliotheksmuseum eingerichtet werden. Nach der Gesamtfertigstellung aller Gebäudeteile wird das Haus rund 650 Benutzerarbeitsplätze und über 50.000 Quadratmeter Hauptnutzfläche umfassen. Mit einer Bruttogeschossfläche von 100.000 Quadratmetern, so der Projektleiter des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Jens Andreae, sei das Gebäude damit sogar größer als der Reichstag.

Bauarbeiten sollten schon 2012 abgeschlossen sein

Ursprünglich sollten sämtliche Bauarbeiten schon 2012 abgeschlossen sein. Nun sind für den zweiten Bauabschnitt noch einmal drei weitere Jahre eingeplant. Die zusätzlichen Baujahre haben bei der Staatsbibliothek – ähnlich wie bei weiteren Prestigeprojekten in Deutschland – die Kosten enorm in die Höhe getrieben. Wie auch beim Großflughafen BER in Schönefeld oder bei der Elbphilharmonie in Hamburg ist der einstmals festgelegte Kostenrahmen längst Makulatur.

Statt der ursprünglich bewilligten 324 Millionen Euro soll die Staatsbibliothek Unter den Linden nun für 406 Millionen Euro fertig gestellt werden. Grund für die Bauverzögerungen und Kostensteigerungen war „eine Vielzahl von Schwierigkeiten“, wie Projektleiter Andreae sagte. Schon gleich zu Beginn der Planung mussten sich die Bauherren mit Vergabebeschwerden von Firmen auseinandersetzen, die nicht zum Zuge gekommen waren.

Besonders ins Gewicht fiel dann während des Baus, dass der Architekt HG Merz im Frühjahr 2011 seine Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung „aus persönlichen Gründen“ beendete und ein neues Planungsbüro gesucht und beauftragt werden musste.

Eine Verzögerung von drei bis vier Monaten, so Andreae, verursachte zudem die Tischlerei aus Bayern, die die zahlreichen Regalwände und Schreibtische in der Bibliothek hergestellt hat. Die Firma, die auch am Großflughafen BER mit einem Großauftrag beteiligt war, zog im Frühjahr dieses Jahres sämtliche Mitarbeiter aus der Staatsbibliothek ab, um die Tischlerarbeiten in Schönefeld fristgerecht abzuschließen. Dass der Einsatz der Tischler am BER wiederum nicht verhindern konnte, dass der Flughafen nicht fristgerecht am 3. Juni eröffnete, darüber kann Andreae mittlerweile sogar schmunzeln.

Insgesamt sind die Bauverzögerungen jedoch vor allem eines: extrem teuer. So führte allein die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent zu einer Verteuerung um 7,5 Millionen Euro. Dazu kam die allgemeine Preissteigerung am Bau, die auch die Rekonstruktion des Berliner Schlosses auf der anderen Straßenseite Unter den Linden verteuerte. Zur Erinnerung: Für das Humboldtforum in Gestalt der 1950 gesprengten Hohenzollernresidenz hat der Haushaltsausschuss des Bundestages die neue Kostenobergrenze von 590 Millionen Euro beschlossen. Das sind 38 Millionen Euro mehr als zunächst geplant.

Bibliothek wird fast so teuer wie das Humboldtforum

Betrachtet man die gesamte Baugeschichte der Staatsbibliothek Unter den Linden, wird der Gebäudekomplex den Steuerzahler am Ende wohl nicht viel günstiger kommen als das Humboldtforum, über dessen Finanzierung, die zum Teil aus Spendenmitteln erfolgen soll, seit Jahren gestritten wird. Denn seit der Wiedervereinigung sind in das 1904 bis 1914 nach den Plänen des kaiserlichen Hofbaumeisters Ernst von Ihne errichtete Gebäude schon für die Grundsanierung (1991–2005) rund 165 Millionen Euro geflossen. Dabei waren bei laufendem Bibliotheksbetrieb unter anderem die rund 2700 Holzpfähle, auf denen das Gebäude fußt, durch Betonpfeiler von 26 Meter Länge ersetzt worden.

Ob tatsächlich alle im zweiten Bauabschnitt geplanten künftigen Arbeiten diesmal termingerecht abgeschlossen werden, darf bezweifelt werden. Auf der Homepage des zuständigen Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung wird jedenfalls vorsorglich schon mal darauf verwiesen, dass es sich dabei um Bauarbeiten „im denkmalgeschützten Bestand“ handele, die daher „hinsichtlich der Termin- und Kostenplanung eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, verbunden mit durchaus beachtlichen Risiken“ seien.