Neue Großmacht der Berliner Pflege

Johannesstift und EJF bereiten Mega-Fusion vor

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Joachim Fahrun

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Sollten sich das Evangelische Johannesstift und das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk zu einer Zusammenarbeit entschließen, würde der Betrieb mit seinem Markteinfluss Berlins Jugend- und Altenhilfe stark verändern.

In der Berliner Sozialwirtschaft steht eine Mega-Fusion bevor. Zwei der größten diakonischen Träger von Alten-, Jugend- und Behindertenhilfe sind dabei, eine Zusammenarbeit auszuloten. Das Evangelische Johannesstift (EJS) und das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) würden gemeinsam mit rund 6000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von fast 230 Millionen Euro der größte gemeinnützige Anbieter sozialer Dienste in der Stadt werden. Sie würden damit unter die 15 größten Arbeitgeber Berlins aufrücken.

Die Folgen der Elefantenhochzeit wären enorm. Für die Sozialbehörden würde es schwieriger, gegen ein so großes Gegenüber Transparenz und niedrigere Kosten durchzusetzen. In einigen Bereichen der Jugendhilfe gäbe es deutlich weniger Konkurrenz. Und in den Verwaltungen und zentralen Service-Bereichen dürften Arbeitsplätze wegfallen. Beide Unternehmen versichern, noch zu keiner Entscheidung über eine Kooperation gekommen zu sein. „Es gibt Gespräche, wie man enger zusammenarbeiten kann“, sagt Tobias Kley, Sprecher des Johannesstifts. „Wir haben uns zwei-, dreimal zusammengesetzt“, sagt EJF-Vorstand Andreas Eckhoff.

Fortgeschrittene Überlegungen

Die der Morgenpost Online vorliegenden Unterlagen belegen jedoch, dass die Unternehmensvertreter tiefstapeln. Denn die Überlegungen sind fortgeschritten, die Empfehlungen eindeutig: „Ein gesellschaftsrechtlicher Zusammenschluss bringt bei richtiger Umsetzung für beide Träger mehr Vor- als Nachteile“, lautet die Schlussfolgerung in einem streng vertraulichen Gutachten, in dem die Wirtschaftsprüfer von Curacon im November 2010 die Grundlagen für eine Fusion beleuchtet haben. Seither wird weiter an der großen Lösung gearbeitet, beide Sozialkonzerne unter dem Dach einer Holding zu vereinen.

Im Februar 2011 haben die Vorstände in einer Klausurtagung festgelegt, innerhalb von zwei Jahren beide Unternehmen zusammenzuführen. Und auch ein spezialisierter Berater stellte im September 2011 fest, die Position beider Träger auf dem Berliner Markt werde mit einer Fusion „sicherlich gestärkt“.

Beide Häuser haben unterschiedliche Schwerpunkte. Das Johannesstift ist stark in der Altenhilfe, bietet fast 2000 stationäre Plätze an. Zudem betreibt das Stift das Wichern Krankenhaus. Das EJF ist stärker in der lukrativeren Hilfe für Behinderte engagiert. Bekannt ist das EJF aber durch seine Jugendhilfe-Angebote, vor allem für delinquente Kinder und kriminelle Jugendliche. Der Träger bietet für Jugendliche und Kinder fast 1000 stationäre Plätze und setzt damit 42 Millionen Euro pro Jahr um. Ziel ist, gemeinsam vor allem weitere Kindertagesstätten zu eröffnen.

In der Branche kursieren Informationen, wonach die Fusion 1000 Jobs kosten könnte. Solche Zahlen weist der kaufmännische Vorstand des EJF, Andreas Eckhoff, weit von sich. Man habe es mit Dienstleistungen am Menschen zu tun, da seien Betreuungsschlüssel festgelegt. Es gebe also keinen Spielraum, Pflegekräfte, Betreuer oder Berater einzusparen.

Synergien könnten Kosten sparen

Die Gutachter von Curacon haben jedoch Synergieeffekte in zentralen Bereichen identifiziert. Hier sei es möglich, zehn bis 15 Prozent der Kosten zu sparen. Genannt werden Rechnungswesen, Speisenversorgung, Reinigung, Personalwesen, IT-Management und Gebäudeverwaltung.

Hauptmotiv hinter den Fusionsplänen sind die Absichten der Sozialbehörden, das Handeln der freien Träger durchschaubarer zu machen und die Kosten besser zu kontrollieren. Nach dem Skandal um die Berliner Treberhilfe und den Maserati-Dienstwagen des Chefs, der die bisweilen enormen Gewinnspannen in der Sozialwirtschaft offenlegte, hatte das Land Berlin eine Bundesratsinitiative gestartet, die von allen Bundesländern unterstützt wurde. Nun arbeitet das Bundessozialministerium an einer Novelle des Sozialgesetzbuches mit dem Ziel, weitreichende Prüfrechte der Behörden festzuschreiben sowie die Träger zu verpflichten, Kosten und Erlöse offenzulegen.

Je größer nun aber ein Träger wird, je mehr er einem Konzern ähnelt, desto schlechter sei eine Kontrolle möglich, sagt ein Sozialexperte: „Die haben eine differenzierte Kostenrechnung, aus der man nichts mehr herauslesen kann.“ Ob die mit den Trägern vereinbarten Kostensätze angemessen oder zu hoch sind, ließe sich in einem Konzern kaum nachvollziehen.

Die Strategie der möglichen Fusionspartner ist aber genau das. Die Verstärkung der Marktmacht gegenüber „wachsenden privaten Wettbewerbern“ und den „Kostenträgern und Verhandlungspartnern“ auf Behördenseite nennen die Gutachter als wesentliche „Chancen“ eines Zusammenschlusses. Der politische Einfluss werde verbessert, die Kapazitäten könnten durch gegenseitige Vermittlung und Steuerung von „Kundenströmen“ besser ausgelastet werden.

Beide haben Probleme

Beide Sozialkonzerne stehen zwar finanziell auf soliden Beinen und verfügen über beträchtliche Kapitalreserven, haben aber Probleme. So leidet das EJF weiter unter den Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft nach wie vor gegen den EJF-Vorstandschef Siegfried Dreusicke wegen des Verdachts der Untreue führt. Dreusicke soll in seinem Nebenberuf als Anwalt von einem Bauunternehmen Honorare für Beratung kassiert haben, das zuvor Bauaufträge des EJF erhalten hatte. Das Johannesstift erwirtschaftete wegen Schwierigkeiten in der Altenhilfe 2009 laut den im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Daten ein Minus von 4,4 Millionen Euro. Das Defizit wurde jedoch durch Spenden und Erbschaften kompensiert.