Wertpapier-Geschäft

BVG verliert erneut im Kampf um Millionen

| Lesedauer: 5 Minuten
Joachim Fahrun

Die US-Bank JP Morgan Chase hat auch die zweite Runde im Streit mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) gewonnen. Die BVG kämpft darum, den Rechtsstreit mit der Bank vor einem deutschen Gericht zu führen. Es geht um einen gewaltigen Spekulationsverlust. Die BVG beruft sich unter anderem darauf, in ihrem Haus seien die Kompetenzen überschritten wurden.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben auch die zweite Runde im juristischen Ringen mit der angloamerikanischen Investmentbank JPMorgan Chase verloren. Der Rechtsstreit um eine Forderung von derzeit 112 Millionen US-Dollar (85 Mio. Euro) der Bank gegen die Berliner Anstalt des öffentlichen Rechts soll nach Ansicht der britischen Richter in London verhandelt werden und nicht in Berlin. Die BVG will das verhindern, weil sie sich vor einem deutschen Gericht größere Chancen ausrechnet, nicht für die Folgen eines missratenen Spekulationsgeschäfts in Haftung genommen zu werden.

Eine Hoffnung bleibt: Nachdem das Berliner Landgericht zunächst den Gerichtsstand London bestätigt hatte, hat das Kammergericht am 8. März den Europäischen Gerichtshof angerufen, um die internationale Streitfrage klären zu lassen. Die europäischen Richter hätten die Sache zur Entscheidung angenommen, sagte eine Sprecherin der Verkehrsbetriebe.

JPMorgan treibt hingegen eine Entscheidung in Großbritannien voran. Und in London hat am ?28. April das Berufungsgericht für Zivilklagen des Royal High Court of Justice für ein Hauptverfahren in London entschieden und damit den Spruch der ersten Instanz gegen die BVG bestätigt (Case Number A3/2009/16637). Die Sache ist kompliziert. Nach einer zweitägigen Anhörung begründeten die Richter in 117 Artikeln ihr Urteil gegen Berlin. Sollte es dabei bleiben, wären die Aussichten der Berliner Verkehrsmanager, um die Zahlung der verlorenen Millionen an JPMorgan herumzukommen, weiter gesunken.

Die Investmentbank in London wollte den neuen Zwischenstand in dem Konflikt nicht kommentieren. Die Banker sind vorsichtiger geworden, weil die Geschäftspraktiken von Investmentbankern gegenüber Kunden seit dem Vorgehen der US-Börsenaufsicht gegen Goldman Sachs weltweit kritisch unter die Lupe genommen werden.

Deal verhagelte BVG schon die Bilanz 2009

JPMorgan verlangt von der BVG 112 Millionen Dollar, weil sich die Berliner im Juli 2007 verpflichtet hatten, ein von JPMorgan zusammengestelltes Wertpapierpaket (ein sogenanntes CDO-Paket) in einem Volumen von 156 Millionen Dollar zu besichern. Als im Zuge der Finanzkrise unter anderem die US-Bank Lehman Brothers zusammenbrach, sowie sechs weitere in dem Paket enthaltene Portfolios Not leidend wurden, machte JPMorgan den ersten Ausfall bei der BVG geltend. Möglicherweise folgen weitere Forderungen.

Für die BVG ist das ein Desaster: Anstatt aus dem Deal einen Spekulationsgewinn von 5,7 Millionen Euro einzufahren, droht ein Vielfaches an Ausfall. In ihrem Jahresabschluss 2009 mussten die Verkehrsbetriebe das gesamte Paket über 156 Millionen Euro in die Rückstellungen nehmen. Die Bilanz war verhagelt.

Warum die BVG-Spitze mit dem Vorstand Andreas Sturmowski und dem damaligen Aufsichtsratschef Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sich überhaupt auf den Deal mit den Angelsachsen einließ, erklärt sich in dem Bestreben, Verluste aus früheren Spekulationsgeschäften zu kompensieren und einen Sondergewinn einzustreichen.

Die Geschichte begann, als die BVG zwischen 1997 und 2002 im Rahmen von Cross-Border-Leasing-Deals insgesamt 427 U-Bahnwagen und 511 Straßenbahnen an amerikanische Finanzinvestoren verkaufte und zurückleaste. Die Amerikaner machten ihre Verluste aus diesen Geschäften zuhause steuerlich geltend, die Steuerersparnis teilten sich der Investor und die BVG. 2004 schob der US-Fiskus dieser Art Geschäften zu seinen Lasten einen Riegel vor.

Die Leasing-Geschäfte wurden stets über eine komplexe Kette von Garantiegebern abgesichert. Im Sommer 2006 erklärte JPMorgan den BVG-Managern, es gebe ein Problem mit vier der Leasing-Verträge, die JPMorgan 1997 aufgelegt hatte. Ratingagenturen hätten Zweifel an der Bonität der Schuldübernehmer angemeldet, zusätzliche Absicherungen seien nötig.

Die BVG hätte seinerzeit einfach eine Kreditversicherung für 1,3 Millionen Euro abschließen können und wäre aus dem Schneider gewesen. Aber die Investmentbanker rieten zu einem Zusatzgeschäft und der Übernahme des CDO-Paketes. Die BVG sollte 5,7 Millionen Euro bekommen, wenn sie JPMorgan die im Paket schlummernden Risiken abnehme. Oppositionspolitiker fragen sich, warum man der beratenden Bank das eigene Paket abkaufte, ohne misstrauisch zu werden. Aber die Bosse schlugen zu, Sarrazin gab im Aufsichtsrat sein Plazet.

Jetzt macht die BVG geltend, falsch beraten worden zu sein. Die Banker hätten sie nicht ausreichend über die Risiken aufgeklärt. Außerdem hätte die BVG als Anstalt öffentlichen Rechts ihre Kompetenzen überschritten, indem sie sich auf ein solches Spekulationsgeschäft eingelassen hätten.

Vor allem das letzte Argument sollte den Anspruch unterstreichen, die Hauptsache um die Millionen in Berlin und nicht in London zu verhandeln. Denn die BVG-Manager hätten dann mit dem Deal in erster Linie gegen deutsches Recht verstoßen. Das müsse hierzulande geahndet werden.