Getrappel rechts, Gewieher links – Dutzende Droschken sind zurück in Berlins Innenstadt und transportieren Touristen vom Alexanderplatz bis zur Siegessäule. Seit Ostern bewegen sich Pferde und Kutscher nun auch auf rechtlich abgestecktem Terrain. Denn in Berlin sind jetzt Leitlinien für Pferdekutschen (rund 40 gibt es in Berlin) in Kraft getreten. „Sie enthalten Mindestanforderungen für Kutschbetriebe, die künftig einzuhalten sind“, sagt Katrin Lompscher (Die Linke), Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz.
Sowohl Polizei wie Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt Mitte hatten im vergangenen Jahr zahlreiche Kutschen überprüft und dabei Mängel bei der Einhaltung des Tierschutzes und der Verkehrssicherheit festgestellt. Schlagzeilen machte darüber hinaus der Zusammenbruch einer Stute am Brandenburger Tor in sengender Sommerhitze, und im Dezember war ein Pferdegespann durchgegangen.
Um den Schutz der eingesetzten Pferde zu verbessern und die Verkehrssicherheit zu gewährleisten, hatten sich im vergangenen Jahr Tierärzte der Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter und der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz zusammengesetzt und die Berliner Leitlinien für Pferdefuhrwerksbetriebe erarbeitet. „Diese konkretisieren die geltenden rechtlichen Bestimmungen und berücksichtigen dabei die besonderen Verhältnisse einer Großstadt“, sagt Lompscher.
Im Detail bedeutet das maximal neun Stunden Arbeitszeit für die Pferde und zwar vom Ein- bis zum Abspannen. Die Tiere haben nun ein Anrecht auf zwei Pausen, die ungestört sein sollen und 30 Minuten betragen müssen. Jeder Kutscher muss die Uhrzeiten in einem Fahrtenbuch dokumentieren. Während der Pausen dürfen die Tiere nicht auf Asphalt stehen, sondern nur auf Naturboden – theoretisch. Denn die Standortsuche gestaltete sich in den vergangenen Monaten als so schwierig, dass in den Leitlinien zu diesem Punkt Übergangsfristen eingeräumt wurden.
Zudem sind die Fahrer verpflichtet, ausreichend Heu und Trinkwasser bereitzustellen. Und sie müssen das Wetter beachten: Erreicht die Temperatur ab 10 Uhr morgens kontinuierlich Werte von über 30 Grad im Schatten, muss spätestens alle zwei Stunden eine Pause von mindestens einer halben Stunde eingelegt werden. Die Kutscher müssen ein Thermometer dabei haben.
Künftig müssen Kutscher mindestens 18 Jahre alt seine und den Kfz-Führerschein besitzen. Zudem sollen sie, wie vom Tierschutzverein gefordert, ihre Sachkunde im Umgang mit Pferden und Fuhrwerken nachweisen. Auch sind die Droschken zu kennzeichnen: Passanten und Mitarbeiter der Ordnungsbehörden sollen Namen und Telefonnummer des Betriebes erkennen sowie eine Fuhrwerksnummer. Die Pferdefuhrwerke sind außerdem vor ihrer ersten Inbetriebnahme einer technischen Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen.
Das sagen betroffene Kutscher
„Dokumentieren, Temperatur messen, Pferde zur Pause ausspannen – wenn das so vorgeschrieben ist – bitte. Aber man hätte vorher mal mit uns reden können“, sagt Kutscher Per Borgen, der mit seinen Fjordpferden Josy (17) und Winnie (21) auf dem Pariser Platz auf Kundschaft wartete. Er ist seit 2005 im Geschäft. Außerdem ist er 48 Jahre alt und Autofahrer – und erfüllt damit zwei weitere Bedingungen.
Mindestens 18 Jahre alt sein und den Kfz-Führerschein besitzen, Sachkunde im Umgang mit Pferden und Fuhrwerken nachweisen: „Ist kein Problem“, sagt Klaus Winckelmann, seit 2006 im Berliner Kutschen-Geschäft. „Nur muss man immer bei der Realität bleiben“, sagt er. Heu könne er auf dem Pariser Platz nun mal nicht füttern. „Aber auf fünf Mahlzeiten kommen meine Pferde immer. Ich bin an ihrem Wohlergehen interessiert.“
Das sahen nicht alle Fuhrunternehmer so, sagt Umweltstadtrat Oliver Schworck (SPD) aus Tempelhof-Schöneberg. Etliche Droschkenpferde standen im Vorjahr auf der Trabrennbahn Mariendorf, sie hatten täglich weite Anfahrts- und zu lange Arbeitszeiten. „Mit Pferden darf man Geld verdienen – aber man muss auch Rücksicht nehmen“, sagt Schworck. Die Leitlinien seien sinnvoll, müssten aber nun den Realitätstest bestehen.
Mehrere Tausend Euro Strafe
Polizei und Veterinäramt sollen die Einhaltung der Leitlinien stichprobenartig überprüfen. Wer gegen die Richtlinien verstößt, sagt Amtstierarzt Hans-Joachim Bathe-Peters vom Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt Mitte, dem drohen deftige Geldbußen: „Bis zu mehreren 1000 Euro sind möglich.“
Tierschutzverein zweifelt an Kontroll-Willen
Der Tierschutzverein Berlin begrüßt jeden Schritt, der das Wohl der Tiere verbessert und hält die Leitlinien für einen guten Ansatz. „Weite Teile unserer Forderungen finden sich wieder“, sagt Geschäftsführer Marcel Gäding. Dennoch bleibt der Tierschutzverein bei seiner Maximalforderung: Pferdekutschen sollen raus aus der Stadt. Denn die Belastung durch Lärm und Abgase sei zu hoch. „Wir gehen jetzt davon aus, dass zahlreiche Betriebe nicht mehr in der Stadt agieren können, wenn die Leitlinien auch wirklich kontrolliert werden – und das wird jetzt die spannende Frage, ob Polizei und Veterinärämter der Bezirke das auch umsetzen“, sagt Gäding.
Der tierschutzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Daniel Buchholz, nennt die Leitlinien einen großen Fortschritt, der angesichts unhaltbarer Zustände überfällig gewesen sei. „Bisher waren die Tiere bis zu 14 Stunden pro Tag im Einsatz, Kutschfahrer benötigten keinen Führerschein und es gab für die Fahrzeuge keinerlei Sicherheitsvorschriften. Die jetzt in Kraft gesetzten Leitlinien schalten dem einen Riegel vor. Veterinärärzte und die Polizei können Verstöße gegen den Tierschutz oder die Verkehrssicherheit sofort ahnden.
Verbindlicher "Kutschen-Erlass" gefordert
Doch ein Problem bleibt: Das Land Berlin ist zum Schutz der Tiere auf Zusammenarbeit mit Brandenburg angewiesen. Etliche Betriebe stellen ihre Pferde im Nachbarland unter und transportieren sie jeden morgen nach Berlin – zur Arbeit. „Deswegen wird sich die Senatsverwaltung mit dem zuständigen Brandenburger Ministerium in Verbindung setzen, um die Anwendung der Leitlinien auch durch die Veterinärbehörden des Landes Brandenburg zu erreichen“, sagt Lompscher.
Buchholz pocht darauf, dass auswärtige Betriebe, die weder unter Berliner noch Brandenburger Regelungen fallen, genau beobachtet werden sollen, damit sie die Leitlinien nicht unterlaufen. „Für uns klar, dass es eine absolut verbindliche Kutschen-Verordnung, einen „Kutschen-Erlass“ für Berlin geben muss. Diese würde für sämtliche Anbieter von Kutschfahrten in Berlin gelten, unabhängig von ihrem ursprünglichen Geschäftsort“, so der SPD-Politiker.