Randale in Mitte

Nato-Gegner verüben Blitz-Attacke mit Brandsätzen

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Axel Lier

Innerhalb weniger Minuten haben rund 100 Militante ein Chaos am Rosenthaler Platz angerichtet. Sie warfen Molotov-Cocktails und Steine, beschmierten Häuser. Dann verschwanden sie. Die Polizei vermutet einen Zusammenhang mit den Ausschreitungen in Straßburg und bewertet die Lage zum bevorstehenden 1. Mai neu.

Sie kamen wie aus dem Nichts und hinterließen eine Spur der Verwüstung: Ein Mob aus mehr als 100 Nato-Gegnern hat am Montagabend rund um den Rosenthaler Platz in Mitte innerhalb weniger Minuten gewaltsam ein Chaos angerichtet. Die zum Teil Vermummten griffen gegen 22.20 Uhr Fahrzeuge an und warfen Brandflaschen, so genannte Molotov-Cocktails, sowie Steine gegen Gebäude. Zudem wurden Feuerwerkskörper gezündet.

Die Wut der Randalierer richtete sich auch gegen unbeteiligte Passanten: Ein 39-jähriger Autofahrer ist am Arm verletzt worden, als ihn ein Stuhl traf. Der Mann hatte sein Fahrzeug verlassen, weil die Autonomen einen Tisch aus einem Lokal gegen seinen Wagen geworfen hatten. Die Unbekannten beschädigten drei weitere Fahrzeuge durch Farbschmierereien und Schläge mit einer Metallstange. Außerdem warfen sie Warnbaken und Schrammborde auf die Fahrbahn.

Autonome schlugen Scheiben ein

Am Firmengebäude des Softwareherstellers SAP in der Rosenthaler Straße und an einer Bank schlugen die Unbekannten Scheiben ein. Zwei durch Brandflaschen verursachte Feuer an einem Hotelneubau in der Weinmeisterstraße wurden später von der Feuerwehr gelöscht.

Die Aktion der Extremisten wirkte militärisch geplant: Zeugen gaben an, dass die Randalierer nach etwa vier Minuten wieder verschwunden waren. Wahrscheinlich flüchteten sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Alarmierte Polizisten durchkämmten den Kiez – vergeblich. Das einzige, was auf die zumeist schwarz gekleideten Chaoten hinwies, waren mehrere frische Farbschmierereien, die sich gegen die Nato richteten.

Knapp eine Stunde später warfen Unbekannte einen Kleinpflasterstein in die Lüftungsfenster des Polizeiabschnitts 15 in der Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg. Zwei Scheiben wurden beschädigt. Die Täter flüchteten unerkannt.

Hintergrund der Ausschreitungen könnten die Urteile gegen militante NATO-Gegner aus Deutschland sein, die am Montag von einem Straßburger Gericht gesprochen wurden. Bei einem der Verurteilten soll es sich um den 29-jährigen Studenten Matthias St. handeln, der in Berlin geboren ist.

Polizeigewerkschaft warnt vor neuer Form des „Kiezterrorismus“

Bodo Pfalzgraf, Berliner Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG), sprach in Zusammenhang mit der Autonomen-Aktion von „einer neuen Form des Kiezterrorismus“. Ein solches Vorgehen habe es in der Stadt seit längerer Zeit nicht mehr gegeben. Pfalzgraf macht sich Sorgen um die nahe Zukunft: „Ich hoffe, der 1. Mai wird nicht so heiß, wie diese Vorzeichen es vermuten lassen“, so der Gewerkschafter.

Die zahlreichen Aktionen der Autonomen führen in Polizeikreisen zu einer neuen Lagebewertung in Zusammenhang mit möglichen Ausschreitungen am „Kampftag der Arbeitklasse“. „Die Krawalle von Straßburg könnten als Initialzündung für die seit längerer Zeit eher müde wirkende militante linke Szene gewertet werden“, sagt ein Ermittler des Landeskriminalamtes. „Viele der uns einschlägig bekannten Gesichter waren in Frankreich unterwegs und auch an den Ausschreitungen dort beteiligt“, so der Staatsschützer weiter.

An den Demonstrationen rund um den NATO-Gipfel nahmen nach seiner Einschätzung etwa 650 Berliner teil. Verschiedene Initiatoren, darunter die Linkspartei und die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) hatten zur Teilnahme aufgerufen und Fahrtmöglichkeiten organisiert. Die Busse waren ausgebucht.

Die als friedlicher Protest angekündigten Demos entwickelten sich zu schweren Krawallen. Wie viel Berliner unter den Festgenommenen sind, konnte ein Sprecher der Prefecture Region Alsace zunächst nicht sagen. Auch die Behörden in Berlin sind über genaue Zahlen nicht informiert.

Polizei befürchtet Mai-Ausschreitungen in der O2-World

Sorgen bereitet der Polizei auch eine Veranstaltung am 1. Mai in der O2-World in Friedrichshain. Gewaltbereite Basketball-Fans aus Griechenland und Russland werden zu einem Turnier erwartet. Die Fans von ZSKA Moskau gelten als „rechtslastig“, die Anhänger von zwei griechischen Teams sind traditionell verfeindet und solidarisierten sich in der Vergangenheit mit der linksextremistischen Szene in ihrer Heimat. Die O2-Halle ist fast ausverkauft, in ihr werden sich am Maifeiertag 15.000 Menschen aufhalten.

Der Berliner Polizei liegen zurzeit 25 Anmeldungen für den 1. Mai vor. Bis auf eine Veranstaltung (Falun Gong) richten sich die meisten gegen Rechtsextremismus. Auch in 2009 wird es demnach eine „Revolutionäre-1.Mai-Demonstration“ am Oranienplatz und eine 18-Uhr-Demo („Kapitalismus ist Krise und Krieg“) am Kottbusser Tor geben.

Für die Walpurgisnacht hat die Sicherheitsbehörde eine Anmeldung unter dem Motto „Kapitalismus abschaffen“ von 14 bis 22.30 Uhr am Boxhagener Platz in Friedrichshain erhalten. Pikant: Auch der NPD-Bundesvorstand mobilisiert seine Anhänger zum 1. Mai. Die Rechtsextremisten planen eine Kundgebung am Mandrellaplatz in Köpenick.

Neben den fast üblichen Randalen im Zusammenhang mit angemeldeten Veranstaltungen rechnet die Berliner Polizei stets auch mit ungeplanten, so genannten „Ad-hoc-Ausschreitungen“. Dazu gehörte im vergangenen Jahr der Angriff von Autonomen auf den Polizeipräsidenten Dieter Glietsch am Rande einer Demonstration am Lausitzer Platz. Der Staatsschutz ermittelte danach wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruchs und Beleidigung. Das Verfahren wurde im Januar eingestellt. Grund: „Täter unbekannt“.