Wirtschaftskrise

Berlins Polizeipräsident warnt vor Armutskriminalität

| Lesedauer: 5 Minuten
Michael Behrendt

Foto: dpa / DPA

Mit der Wirtschaftskrise wird auch die Arbeit der Berliner Polizei schwieriger. So warnt Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch vor einer steigenden Armutskriminalität. Morgenpost Online sprach mit Glietsch über Personalmangel, Videoüberwachung und Gewalt gegen Polizisten.

Morgenpost Online: „Herr Glietsch, wie wird sich die Berliner Polizei Ihrer Meinung nach in den nächsten fünf bis zehn Jahren verändern?“

Dieter Glietsch: „Ich glaube nicht, dass sie sich wesentlich verändern muss. Wir haben uns in den letzten Jahren so entwickelt, dass wir die Aufgaben von heute und morgen meistern können. Wir sind qualitativ sehr gut aufgestellt, das gilt für das Personal, die Organisation und die Ausstattung. Bei der Personalstärke haben wir mit 16.160 Stellen für Polizeivollzugsbeamte eine Marke erreicht, die nicht unterschritten werden darf, damit die Handlungsfähigkeit der Behörde auch bei einer veränderten Sicherheitslage erhalten bleibt. Auch in der Verbrechensbekämpfung haben wir uns so aufgestellt, dass wir uns frühzeitig neuen Gegebenheiten anpassen können. Unsere Leistungsfähigkeit in der Kriminaltechnik, insbesondere im Bereich der Spurensicherung und -auswertung wird in den kommenden Jahren einen noch größeren Stellenwert erlangen. Mikrospuren und DNA werden dabei deutlich in den Vordergrund rücken. “

Morgenpost Online: Wird es in der Zukunft den Allround-Ermittler geben, der sich allen Ermittlungskomplexen stellen kann?

Glietsch: Nein, auf keinen Fall. Die Kriminalitätsentwicklung hat uns in den letzten Jahren im Gegenteil immer mehr zur Spezialisierung gezwungen. Wir verfügen zur Unterstützung der Ermittlungsarbeit über Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen im LKA und kooperieren mit Universitätsinstituten. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen.

Morgenpost Online: Stichwort Videoüberwachung – können Sie sich vorstellen, dass die Hauptstadt in den nächsten fünf bis zehn Jahren mehr und mehr von Beamten hinter Monitoren kontrolliert wird?

Glietsch: Nein, das wird so nicht kommen. Nationale und internationale Erfahrungen unter anderem aus Großbritannien zeigen, dass die flächendeckende Videoüberwachung auf Dauer nicht wirkt. Der Einsatz solcher Technik macht Sinn im geschlossenen System des öffentlichen Nahverkehrs, in Bussen, Bahnen und Bahnhöfen, und auch dort nur im Rahmen einer Sicherheitskonzeption, die personelle und organisatorische Maßnahmen des Betreibers ebenso umfasst wie polizeiliche Aktivitäten Damit können wir es schaffen, Gewalt- und Drogenkriminalität aus den Verkehrsmitteln nicht nur zu verdrängen, sondern auch zu reduzieren, denn vergleichbar günstige Tatgelegenheiten stehen außerhalb des Nahverkehrssystems nicht zur Verfügung.

Morgenpost Online: Wird der Polizeiberuf in den kommenden Jahren noch attraktiv für junge Menschen sein?

Glietsch: Davon bin ich überzeugt. Man geht ja nicht zur Polizei, nur um Geld zu verdienen. Es ist die Arbeit mit und für die Menschen, die den Beruf attraktiv macht. Wir wissen aber, dass wir wegen der sinkenden Zahl der Schulabgänger wieder stärker mit der Wirtschaft, aber auch mit Bundesbehörden um qualifizierte Bewerber konkurrieren müssen. Es muss deshalb auch eine angemessene Bezahlung geben für unsere Beamten. Es kann nicht sein, dass die Mitarbeiter der stark belasteten Hauptstadtpolizei schlechter bezahlt werden als ihre Kollegen im bayrischen Wald oder auf der schwäbischen Alb.

Morgenpost Online: Wird die Gewalt gegenüber Polizisten noch zunehmen?

Glietsch: Die Gewalt gegen Polizeibeamte in Berlin bewegt sich seit 10 Jahren auf einem gleichbleibenden, aber viel zu hohen Niveau. Inzwischen haben wir steigende Zahlen in den anderen Bundesländern. Verändert hat sich in den letzten Jahren in Berlin die Qualität der Gewalt. Wir haben heute mehr Fälle von rücksichtsloser brutaler Gewalt. Deshalb haben wir ein anspruchsvolles Einsatz- und Eigensicherungstraining eingeführt und viel in die Schutzausstattung investiert. In spätestens fünf Jahren werden alle Berliner Polizisten im Außendienst am sogenannten Einsatzmehrzweckstock (Tonfa, Anmerkung der Redaktion) ausgebildet sein.

Morgenpost Online: Was macht Ihnen im Hinblick auf die Zukunft Sorgen?

Glietsch: Man muss immer auch mit überraschenden, nicht vorhersehbaren Entwicklungen der Sicherheitslage rechnen. Die Anschläge des 11. September 2001 hat niemand vorausgesehen, sie haben die Welt verändert und der islamistische Terrorismus ist nach wie vor die größte Bedrohung. Jetzt stehen wir am Beginn einer weltweiten Wirtschaftskrise. Wir wissen nur, dass sie Auswirkungen haben wird, wir wissen noch nicht, welche. Sicher ist, dass die ärmsten Länder am stärksten leiden werden. Wir müssen mit einer Zunahme der Armutsmigration rechnen und es kann sein, dass das soziale Gleichgewicht in unserem Land unter einer lang anhaltenden Krise leidet. Beides würde sich negativ auf die Sicherheitslage auswirken und die Polizei vor neue Herausforderungen stellen, zum Beispiel im Demonstrationsgeschehen, aber auch in der Kriminalitätsbekämpfung. Armutsmigration bedeutet auch immer Armutskriminalität.

Morgenpost Online: Kürzlich mussten die mutmaßlichen KaDeWe-Einbrecher freigelassen werden, weil sie als eineiige Zwillinge eine identische DNA haben. Werden gerissene Täter der Polizei auch künftig solche Schnäppchen schlagen können?

Glietsch: Das glaube ich nicht. Auch hier geht die Entwicklung weiter. In fünf Jahren haben wir das Zwillingsproblem gelöst, dessen bin ich mir sicher.

Morgenpost Online: Wird es eine Polizei-Fusion zwischen Berlin und Brandenburg geben?

Glietsch: Nur im Zusammenhang mit einer Länder-Fusion, und die sehe ich den nächsten fünf Jahren nicht.

Morgenpost Online: Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?

Glietsch: Dass er in der Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern und mit den Partnern in der Politik, in anderen Behörden und in der Gesellschaft genauso viel Glück hat, wie ich in den letzten sieben Jahren.