Madame Tussauds

"Endlich hat ein Hitler-Attentat geklappt"

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Kurz nach der Eröffnung des Wachsfigurenkabinetts von Madame Tussauds in Berlin hat ein Besucher den Kopf der umstrittenen Hitler-Figur abgerissen. Der 41-Jährige hatte damit gegen die Ausstellung protestieren wollen. Dem Besucherstrom tat die "Enthauptung" keinen Abbruch.

Bereits um 9.30 Uhr stand Frank L., der sich gegenüber Morgenpost Online als Helmut Fischer ausgab, als zweiter in der Schlange der Wartenden, die die Berliner Dependance des Wachsfigurenkabinetts Madame Tussauds besuchen wollten. Er würde sich besonders auf Angela Merkel freuen, sagte er Morgenpost Online mit einem süffisanten Lächeln und gab vor, gar nicht gewusst zu haben, dass auch Adolf Hitler zu sehen ist.

Fünf Minuten nach zehn Uhr öffnet dann das neue Wachsfigurenkabinett und Frank L. stand schon fünf Minute später vor der Hitlerfigur. Er sei zielgerichtet darauf zu gelaufen, sagte Polizeisprecher Bernhard Schodrowski. L. kletterte über den Tisch, an dem die Figur platziert war, und versuchte sie zu berühren. Ein Wachmann, der nur die Hitler-Figur im Auge behalten sollte, bemühte sich sogleich, den 41-jährigen Kreuzberger davon abzuhalten, denn das Berühren und Fotografieren der im Vorfeld bereits sehr umstrittenen Hitler-Figur ist verboten. Doch Frank L. wehrte sich, ein zweiter Wachmann versuchte einzugreifen, der Besucher schlug zu und riss schließlich der Wachsfigur den Kopf ab. Dabei soll er geschrien haben: "Nie wieder Krieg".

"Endlich hat ein Hitler-Attentat geklappt“

"Wir haben es mit zwei Personen nicht geschafft, diesen Mann zurückzuhalten", sagte einer der Wachleute später. Erst nachdem der Kopf ab war, ließ Frank L. sich überwältigen. Da lag die gesamte Figur bereits am Boden. "Rein menschlich gesprochen: Attentat geglückt", sagte ein Polizeisprecher. Und auch der Essayist Henryk M. Broder witzelte vor dem Eingang zu dem Kabinett nach dem Angriff: "Endlich hat ein Hitler-Attentat geklappt.“

Polizisten, die um 10.15 Uhr am Ort waren, nahmen Frank L. noch in der Ausstellung fest, setzten ihn aber am Nachmittag wieder auf freien Fuß. Ersten Erkenntnissen der Polizei zu Folge wollte L. mit der Aktion gegen die Ausstellung protestieren. Bislang ist er nur wegen kleinerer Delikte wie Schwarzfahrens polizeilich aufgefallen, niemals aber wegen politische motivierter Vergehen. Nun wird gegen L. wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung ermittelt. Einer der Wachleute wurde bei der Aktion am Bein verletzt.

"Jetzt hat sich endlich mal einer getraut!“

Die nach Angaben der Verantwortlichen 200.000 Euro teure Hitler-Figur liegt nun in einem Depot im hinteren Teil des Ausstellungsgebäudes. "Das Ausmaß des Schadens ist noch nicht bekannt", sagte Natalie Ruoß, Pressesprecherin von Madame Tussauds. Ebenso könne sie noch keine Aussage darüber machen, ob die Figur wieder aufgestellt würde. "Wir werden mit der Geschäftsführung und unseren Anwälten beraten und dann eine Entscheidung treffen“, sagte Ruoß. Nach Angaben eines Museumsmitarbeiters würde eine Reparatur der Figur bis zu zwei Monate dauern.

Dem Besucherstrom tat die "Enthauptung“ keinen Abbruch. Verwundert blieben die meisten vor dem leeren Schreibtisch stehen, an dem doch eigentlich ein erschöpfter, düster dreinblickender Diktator am Ende seiner Tage zu sehen sein sollte. "Jetzt hat sich endlich mal einer getraut!“, rief eine ältere Frau und eilte weiter. Wenig Verständnis zeigte hingegen der 20-jährige Markus Müller. Der Mannheimer war zu Besuch in Berlin. "Hitler gehört zu unserer Geschichte, deshalb hätte ich ihn gern gesehen“, sagte er. Sein Kommilitone Alexander Rank war seiner Meinung: "Man kann ihn doch nicht verstecken. Nach rund 60 Jahren wissen wir doch mit ihm umzugehen.“

Um die Hitler-Figur hatte es in den vergangenen Wochen einigen Streit gegeben. Der Grünen-Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer beharrte auch nach der Attacke auf seiner Ablehnung der Hitler-Figur. Er war eher zufällig an dem Kabinett vorbeispaziert, als der Störenfried schon festgenommen worden war. Es sei "eine Banalisierung von Verbrechen", Hitler als Wachsfigur auszustellen, sagte Bütikofer. "Das finde ich nicht hinnehmbar." Der Berliner SPD-Abgeordnete Frank Zimmermann begrüßte die Attacke. „Es ist schon eher eine Kunst, Hitler den Kopf abzureißen, und weniger eine Kunst, Hitler überhaupt aufzustellen“, sagte Zimmermann. Ein Besucher der Ausstellung scherzte: „Vielleicht wird der Eintritt ja jetzt billiger.“

Laut Veranstalter-Umfrage gibt es eine Mehrheit für die Figur

Die Veranstalter hatten vor Ausstellungsbeginn gesagt, die Figur sei unentbehrlich für die Ausstellung. Hitler werde aber in einer besonderen Szenerie mit finsterem Blick in einem grauen Kriegsbunker hinter dem Schreibtisch gezeigt. Zudem wurden Tafeln mit Erläuterungen angebracht. Darauf steht: "Liebe Besucher, bei Madame Tussauds dürfen Sie grundsätzlich die Wachsfiguren berühren und fotografieren. Bitte beachten Sie, dass aus Rücksicht auf andere Besucher und aus Respekt gegenüber den Millionen von Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs umgekommen sind, das Berühren und Fotografieren der Figur von Adolf Hitler sowie das Posieren mit ihr in diesem Sonderfall untersagt ist. Vielen Dank für Ihr Verständnis."

Proteste in London, Gelassenheit in Hamburg

Madame Tussauds zeigt in seinem Londoner Kabinett bereits seit 1933 eine Figur von Adolf Hitler – die bereits mehrmals beschädigt wurde. Die Puppe steht nach Angaben der BBC seit 2002 dennoch nicht mehr hinter Glas. Hitler steht neben seinem Widersacher während des Zweiten Weltkriegs, dem britischen Premierminister Winston Churchill. London zeigt den Diktatur allerdings nicht wie in Berlin in seinen letzten Tagen, sondern in kämpferischer Pose.

Im Hamburger Panoptikum hingegen stört sich seit 60 Jahren kaum jemand an dem dortigen Wachs-Hitler. "Die meisten Besucher haben keine Probleme damit“, sagte der Chef des ältesten Wachsfigurenkabinetts Deutschlands, Hayo Faerber. „Für sie ist Hitler eine Figur der Zeitgeschichte.“ Eine Umfrage zeige, dass sich nur ein bis zwei von 1000 Gästen über das 1941 geschaffene Hitler-Abbild aufregen. In dem 1879 eröffneten Panoptikum sind auch Figuren von Joseph Goebbels und Widerstandskämpferin Sophie Scholl zu sehen.

( kla/pol/sh/dpa/ap/apä )