Ihre Eltern sind entsetzt gewesen. Zum Studium nach Berlin, damit konnten sie sich noch anfreunden. Aber muss es denn unbedingt eine Wohnung in Neukölln sein? Ja, musste es. Der Bielefelder Daniel Bruns und Fabian Gerstenberger aus Hannover können über die Vorbehalte der Eltern nur milde lächeln. Die beiden Architekturstudenten wohnen seit einem Jahr zusammen in einer WG im Schillerkiez. „Gern“, wie sie betonen. Der Kiez habe sich innerhalb eines Jahres sehr gewandelt, sagt Daniel Bruns. Nur zu seinem Vorteil.
Neukölln mit seinen mehr als 300.000 Einwohnern ist auf einem guten Weg. Immer mehr junge Menschen entdecken den Bezirk, in dem die Mieten noch bezahlbar sind. Künstler siedeln sich mit ihren Ateliers und Galerien an, eine kreative Szene hat sich in den Kiezen nahe der Karl-Marx-Straße entwickelt. Und doch täuscht gerade der jüngste Hilferuf der Heinrich-Mann-Schule in Buckow nicht darüber hinweg, dass der Bezirk mit den niedrigsten Familieneinkommen, höchsten Verschuldungsraten, mit der größten Hartz IV-Dichte, 40 Prozent Zuwanderern und Wachschützern vor 17 Schulen noch einen weiten Weg vor sich hat.
Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) sieht auch künftig in der Bewahrung des sozialen Friedens, in einer besseren Bildung, der Integration der 163 Nationen und dem Kampf um mehr Geld für den Bezirk die größten Herausforderungen. Am 18. September entscheiden die Neuköllner, wer die Politik in ihrem Bezirk künftig bestimmen wird.
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Während der Campus Rütli fünf Jahre nach dem Brandbrief mittlerweile als Modellprojekt für ganz Europa gilt, gibt es immer neue Probleme. In den Fokus geraten ist jetzt wieder die Gropiusstadt. Die Trabantenstadt mit mehr als 35000 Wohnungen gilt seit Jahrzehnten als sozialer Brennpunkt. Auf dem Bat-Yam-Platz am U-Bahnhof Lipschitzallee stoßen zwei Welten zusammen. Rentnerehepaare, die sich schick gekleidet haben, queren den Platz, der von der Trinkerszene bevölkert wird. Junge Leute in Schlabberhose, mit Piercings und Armen voller Tattoos brüllen sich vor der Kulisse der grauen Betontürme an. Der türkische Supermarkt liegt neben dem Nahkauf, der Döner Kebab neben dem Restaurant Buckower Tönnchen.
Familienzentrum, Bibliothek und Eiscafé sind Garanten dafür, dass der Kiez nicht kippt. Im Gemeindezentrum auf dem Platz sind die Türen an diesem Tag weit geöffnet, viele Neuköllner sind gekommen, um sich 14 Zukunfts-Modelle der Gropiusstadt von Studenten der Technischen Universität und der Bauhaus-Universität Weimar anzusehen. Nach dem Vorbild des Campus Rütli ist in der Satellitensiedlung ein „Campus Efeuweg“ in Planung – ein Ort, der Schulen, Sportplätze und Freizeitheime städtebaulich vereint. Zäune und soziale Schranken sollen fallen, um ein neues Wir-Gefühl im Kiez zu ermöglichen.
Daniel Bruns und Fabian Gerstenberger wollen diese Zukunft mitgestalten. Sie stehen im großen Saal des Gemeindehauses vor ihrem Modell der Gropiusstadt. Wohnen in der Hochhaussiedlung wollen sie nicht. „Zu weit draußen, zu wenig städtisch“, sagen sie. Dennoch sehen sie auch das Potenzial der Siedlung. Sie haben die Idee, 700 neue Bäume – Birken, Robinien und Platanen – zu pflanzen und den Campus unter dem neuen Baumdach zu einer Einheit verschmelzen zu lassen.
Daniel Bruns war nicht immer so gut auf Neukölln zu sprechen. Anfangs hatte der 25-Jährige Vorbehalte. Die Rütli-Schule war ihm ein Begriff, dass schlechte Image des Bezirks auch. Doch bei der Internet-Recherche nach einer bezahlbaren Wohnung gab er seine Bedenken auf. Zusammen mit Fabian Gerstenberger mietete er schließlich eine Drei-Zimmer-Wohnung mit 90 Quadratmetern im Schillerkiez. „Sehr günstig“, wie sie sagen. In Bielefeld hätten sie für eine vergleichbare Wohnung wesentlich mehr gezahlt. Sehr schnell konnte sich Daniel Bruns mit seinem Kiez anfreunden. „Viele neuen Kneipen und Galerien haben aufgemacht“, sagt der Student. Bunt sei der Bezirk, trendy, fügt Fabian Gerstenberger hinzu. Nur eins vermisse er: eine gute Bäckerei, die Milchhörnchen im Angebot habe.
Auch Islam Öztürk hat sein Modell für die künftige Gropiusstadt aufgebaut. Der 29-Jährige sieht seinen Bezirk nicht in einem so guten Licht. Öztürk wohnt seit vier Jahren im Norden Neuköllns. „Ungern“, gibt er zu. Es gebe zuviel Verkehr und zu viele Billigläden, kritisiert Öztürk. Und für Jugendliche fehle ein richtiger Treffpunkt. Islam Öztürk, der seit sechs Jahren verheiratet ist, hat nur ein Ziel: Sobald er genügend Geld verdient, will er nach Zehlendorf ziehen.
Seit einigen Jahren verändert sich die Karl-Marx-Straße. Sie gehört zusammen mit der Sonnenallee zu einem der Sanierungsgebiete, die vom Senat gefördert werden. Mit einer Lichtinstallation unter der S-Bahn-Brücke, dem sogenannten Neuköllner Tor, wurde ein erster Schritt zum positiven Wandel gemacht. Jetzt soll in dem Kiez das Wohnumfeld verbessert werden. Für Daniel Bruns ist die Karl-Marx-Straße zu weit weg vom Schillerkiez. Manchmal gehe er zum Einkaufen hin, sagt er. Aber für die wirklich wichtigen Dinge fahre er zum Einkaufen nach Mitte oder Prenzlauer Berg. So hip ist Neukölln dann doch noch nicht.
SPD - Heinz Buschkowsky
Seit zehn Jahren ist Heinz Buschkowsky als Bezirksbürgermeister im Amt und will es auch bleiben. Der 63-Jährige lebt seit seiner Geburt in Neukölln. 1973 trat Buschkowsky in die SPD ein. Von 1973 bis 1989 war der Diplom-Verwaltungswirt in verschiedenen Senatsverwaltungen tätig. Nach seiner Wahl als Bezirksverordneter im Jahr 1979 führte er von 1985 bis 1989 die SPD-Fraktion in Neukölln an. Seitdem blieb Buschkowsky der Kommunalpolitik treu und setzte sich in verschiedenen Positionen für die Belange von Neukölln ein. 1991 und 1992 war er bereits Bezirksbürgermeister
CDU - Michael Büge
Die Neuköllner CDU schickt ihren Kreisvorsitzenden Michael Büge in das Rennen um das Amt des Bezirksbürgermeisters. Der 45-Jährige ist seit fast zehn Jahren als Stadtrat im Bezirksamt tätig, zunächst zuständig für das Ressort Soziales, derzeit für Soziales, Wohnungen und Umwelt. Vor zwei Jahren hat er das Amt des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters übernommen. Der studierte Betriebswirt war vor seiner Zeit im Bezirksamt als Regierungsreferendar beim Land Berlin und als Oberregierungsrat beim Rechnungshof von Berlin tätig. 1982 trat Büge in die CDU ein.