08:30 Uhr: Jens Hillje tritt zu Shermin Langhoff ins Büro. Seit November 2013 bilden die beiden die Doppelspitze Berlins kleinster Staatsbühne. Ihr Theater hatte in den vergangen Tagen Kritik auf sich gezogen. Im Rahmen eines Festivals dort hatte eine Künstlergruppe 14 Gedenkkreuze für die Maueropfer abgeschraubt, als Protest gegen die Flüchtlingspolitik der EU. Doch jetzt geht es um das neue Programm. Die Premiere von „Entertaining Mr. Sloane“ steht an. Das Theater ist eines der populärsten der Stadt. Berliner sitzen im Publikum, viele Touristen. Da zählt vor allem das Alltagsgeschäft.
08:50 Uhr: Heidi Wettlin setzt sich auf die dunkle Holzbank im Foyer des Maxim Gorki Theaters, lehnt ihren Kopf an die weiße Wand und schließt für einen Moment die Augen. Wie an fast jedem Tag in ihren elf Jahren als Putzfrau beim Gorki war sie morgens die erste im Theater. Heute ist sie seit 4.30 Uhr beschäftigt. „Zur Ruhe komme ich hier nur selten – außer ich mache gerade eine Kaffeepause“, sagt Wettlin. Die Kantine öffnet aber erst um neun Uhr. Bis dahin will sie das Foyer fertig haben, sagt Wettlin in einer rauen Stimme, die verrät, dass zu ihrer Kaffeepause auch Zigaretten gehören.
10:00 Uhr: Probenbeginn. Die Schauspieler Mareike Beykirch, Jerry Hoffmann, Aleksandar Radenković und Thomas Wodianka stehen auf der Bühne und singen sich ein. Die hochschwangere Magda Willi schaut ihnen aus der ersten Sitzreihe zu, achtet jedoch eher auf den Hintergrund. Sie ist die Hausbühnenbildnerin des Gorki und hat auch das Set für „Mr. Sloane“ konzipiert. „Die Gorki-Bühne ist eine Herausforderung, weil sie so klein ist“, sagt Willi. Normalerweise werden täglich zwei Bühnenbilder aufgebaut. „Das erste für die Probe am Nachmittag und das zweite für die Abendvorführung“, erklärt Willi.
11:00 Uhr: An der hinteren Seite des Hauses ist die Holztür des Bühneneingangs, wohinter sich die kleine Pförtnerloge befindet. Die ist 24 Stunden am Tag besetzt. Karl Schneider ist der einzige der Pförtner, der nicht Mitarbeiter einer privaten Wachfirma ist. „Ich bin ein Theater-Urgestein, wenn man so will. Ich gehöre schon seit 1990 zum Gorki“, sagt der beleibte kleine Mann. Schneider sitzt jedoch nicht nur hinter dem Plexiglas der Pförtnerloge. Er steht auch manchmal auf der Bühne des Gorkis. Wie es dazu kam? „Ich wollte die Theatermaschinerie besser kennenlernen und hatte den Mumm, den damaligen Intendanten Armin Petras zu fragen.“ Mittlerweile hat Schneider in 13 Rollen gespielt. „Gehobene Statisterei, nenne ich das“, sagt er und lacht.
12:00 Uhr: „Hier ist es also“, sagt eine Philosophiestudentin der Humboldt Universität zu ihrer Kommilitonin, als die beiden das temporäre Kantinenzelt des Gorki betreten. Noch bis Ende November wird die eigentliche Kantine, die auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist, renoviert. Bis dahin werden die 160 Bühnenmitarbeiter und 23 Ensemblemitglieder (so wie andere Hungrige) in dem weißen Zelt mit Essen versorgt. Auf den langen Holztischen stehen jetzt zur Dekoration Glasvasen mit Schwertlilien. An den Seiten stehen mehrere Heizkörper, die warme Luft in Richtung der Speisenden blasen. Heute steht Kartoffelsuppe, Pasta mit Sardellen und indisches Dahl mit Butterreis auf dem Menu. Die Studentinnen entscheiden sich für das Dahl.
13:00 Uhr: Im Theater geht die Probe zu „Mr. Sloane“ weiter. Gerade sind Jerry Hoffmann und Thomas Wodianka auf der Bühne.
13:30 Uhr: „Du bist verwundert: Wie kann das sein? Und jetzt verärgert“, ruft Nurkan Erpulat seinem Schauspieler Jerry Hoffmann zu. Schnell finden seine Worte auf dem Gesicht des 25-Jährigen Ausdruck. „Sehr gut!“, sagt der Regisseur begeistert und klatscht in die Hände.
15:30 Uhr: Die Probe ist zu Ende. Bärbel Kleemann ruft: „Bis später!“ in den Zuschauersaal. Es ist möglicherweise der erste Satz, den sie im Haus heute in normaler Lautstärke sagt. Denn Bärbel Kleemann ist Souffleuse und seit 30 Jahren am Gorki. Damals, 1984, fing sie in der PR-Abteilung an. Heute ist der offizielle letzte Arbeitstag der 65-Jährigen, obwohl sie weiter als Gast-Souffleusen am Gorki tätig sein wird. „Es ist ein schwieriger Schritt nach den vielen Jahren, aber es der richtige. Mich reizt es, einmal in meinem Leben nicht fremdbestimmt zu sein“, sagt Kleemann.
16:00 Uhr: In der vierten Etage sitzt der Maskenbildner Spyros Prosoporis und verarbeitet eine Tresse in einem Haarteil. Nur echtes Menschenhaar wird hier verwendet. Prosoporis zieht es einzeln mit einer Nadel durch ein Stück Tüll und knüpft es. „Es ist Detailarbeit, aber ich liebe die Kreativität und die Verwandlung einer Person, die dabei herauskommt“, sagt der Grieche.
17:30 Uhr: In zwei Stunden beginnt die Premiere von „Entertaining Mr Sloane“. Toningenieur Hannes Zieger setzt sich an sein Tonpult und überprüft sein Equipment. Jeder Sound muss exakt abgestimmt sein, erklärt der gebürtige Dresdner. Zieger kam 2006 als Praktikant direkt nach seiner Ausbildung ins Gorki. „Zum Theater hatte ich aber schon immer Kontakt, weil meine Mutter Theatermusikerin und mein Vater Kabarettist war“, sagt der 34 Jahre alte Soundmann.
19:20 Uhr: Die meistens Gäste haben schon auf den roten Sitzreihen im Zuschauersaal Platz genommen. Einige stehen jedoch noch im Foyer und schauen sich die Porträtfotos des Ensembles an der Wand an. Außer der Schauspielerin Ruth Reinecke, die seit 1979 beim Gorki ist, sind alle Darsteller mit Langhoff und Hillje gekommen.
20:40 Uhr: Pause. Die Zeit, in der Zuschauer während der üblicherweise anregenden, herausfordernden Stücke einmal durchatmen und sich austauschen können. Für die Barkeeperin Myra Beckers heißt das: Hochbetrieb. Schnell bewegt sich die 28-Jährige zwischen Tresen, Kühlschrank und Kasse hin und her. Die Schlange, die sich vor ihr bildet, reicht bis auf die Treppen. Nach 20 Minuten ist dann alles wieder ruhig und Beckers holt einen Zeichenblock hervor. Sie ist nämlich Illustratorin und hat in Amsterdam Bühnenbild studiert. „Zwar koche ich hier hauptsächlich Kaffee, aber immerhin bin ich an einem Theater “, sagt Beckers mit einem breiten Lächeln. Hier im Gorki finden sich Künstler und Persönlichkeiten eben nicht nur auf der Bühne.