Zwölf Stunden

Zu Besuch bei den Berliner Weltmeistern von morgen

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Andreas Gandzior

Foto: Jakob Hoff

Im Schul- und Leistungssportzentrum Berlin lernen und trainieren 1200 junge Sporttalente. 300 Kinder und Jugendliche wohnen im Internat der Schule, jeder Tag beginnt mit Trainingseinheiten. Ein Besuch.

07:00 Uhr: Wären da nicht die schwer aussehenden, übergroßen Sporttaschen, würde sich das Bild, das sich in der Frühe an der Fritz-Lesch-Straße in Alt-Hohenschönhausen bietet, von keinem anderen Schulbeginn in der Stadt unterscheiden. Doch die knapp 1200 Schülerinnen und Schüler im Alter von sechs bis 19 Jahren sind bereits alle Leistungssportler. Neben ihrem Schulranzen schleppen sie an diesem Morgen ihre Sportausrüstung. „Nahezu alle Schüler sind schon in ihrer Sportart und Altersklasse in einer Nationalmannschaft“, sagt Schulsprecher Philipp Struwe. „Sie alle haben ein besonderes sportliches Talent und kommen deshalb mit einer Empfehlung des Landessportbundes.“ Wenige Minuten nach sieben Uhr beginnt der Schultag am Schul- und Leistungssportzentrum Berlin. Es ist Olympiastützpunkt und die Eliteschule des Sports.

07:35 Uhr: Beginnt an einer „normalen“ Schule der Tag mit Unterricht, steht für die Leistungssportler die erste Trainingseinheit auf dem Stundenplan. Bis ungefähr 9.30 Uhr trainieren sie in einer von insgesamt 17 Sportarten. Von Boxen über Eislaufen bis hin zu Badminton und Handball. An der vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) geschaffenen Schulets trainieren die zukünftigen Olympioniken, Paralympics-Teilnehmer und Medaillengewinner. Diskuswerfer Robert Harting, Olympiasieger sowie amtierender Welt- und Europameister, Paralympics-Schwimmer Lucas Ludwig, die Berliner Eishockey-Legende Sven Felski, Schwimmerin Britta Steffen und Eisschnellläuferin Claudia Pechstein sind hier zur Schule gegangen. Auch Wasserspringer Patrick Hausding, der erst vor knapp zwei Wochen eine deutsche Goldmedaille bei der Europameisterschaft in Berlin gewonnen hatte, lernte und trainierte hier.

08:10 Uhr: In der Halle machen sich die Kunstturnerinnen des Turnerbundes warm. Im Hintergrund läuft die Morgenshow eines Radiosenders. Die Dehn- und Streckübungen der jungen Kaderturnerinnen sind Vorbereitungen auf das bevorstehende Training an Balken und Stufenbarren. Am Wochenende waren die fünf Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren auf Wettkämpfen. Die blauen Flecken an ihren Beinen sind nicht zu übersehen. „Manchmal würden wir schon gerne länger schlafen“, sagt eine von ihnen. „Nachher geht es in den Unterricht, dann wieder Training und ab 19 Uhr Hausaufgaben.“ Für sie beginnt der Tag meistens schon gegen fünf Uhr früh.

09:05 Uhr: Ein roter Kombi mit auswärtigem Kennzeichen parkt vor der Schule. Ein grauhaariger Mann steigt aus, in der Hand einen kleiner Alukoffer. Er ist ein Dopingkontrolleur der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland, kurz Nada. „Der Sportler, den ich kontrollieren möchte ist noch nicht in der Schule“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Er wurde aber informiert und will in spätestens 30 Minuten hier sein.“ Derweil wird der Kontrolleur in einem Frühstückscafé warten. „Wenn alles problemlos klappt, dauert mein Besuch ungefähr eine halbe Stunde“, sagt er. „Wenn der Sportler zunächst nicht auf die Toilette muss, kann es auch bis zu eineinhalb Stunden dauern.“

09:40 Uhr: Frühstück in der Schulmensa. Riesige Mengen an Müsli, Obst und Vollkornbrot, aber auch so ungesunde Lebensmittel wie Schrippen und Schokopops sind angerichtet. „Ich möchte mir früh noch keine Gedanken übers Essen machen“, sagt Hammerwerferin Kathleen Heigl. „Ich frühstücke, was mir schmeckt.“ Auf ihrem Teller liegen Brötchen, Wurst, Käse und ein Schälchen Marmelade. Auf sie wartet das Training im Kraftraum und später auf dem Sportplatz.

10:00 Uhr: „Füchse Town. Hier ist unser Revier“, ist auf einem Schild an der Handballhalle zu lesen. Seit mehr als einem Jahr trainieren die Handball-Füchse in der Halle auf dem Olympiastützpunkt. In diesem Revier der Profis trainieren auch die Handballer der Schule. „Die Nachwuchsspieler werden motiviert und haben durch das Aufeinandertreffen deutlich vor Augen, was ihr ziel ist“, sagt ein Trainer. „’Da will ich auch mitspielen’, sollen sie sich verinnerlichen.“ Fünf ehemalige Schüler spielen bei den Füchsen. Unter ihnen auch die Jugendnationalspieler Paul Drux und Fabian Wiede.

12:00 Uhr: Simon Brodanovic ist in der Schule mit seinem Rollstuhl unterwegs. In der Cafeteria legt er eine kurze Mittagspause ein. Der 14-Jährige trainiert im Schwimmteam. „Mein Tag beginnt um 5.30 Uhr“, sagt er. Er wohnt in Reinickendorf und wird jeden Morgen zur Schule gebracht. „Mit Training, Schule und Hausaufgaben bin ich täglich bis zu 14 Stunden beschäftigt.“

14:00 Uhr: Schulleiter Gerd Neumes sorgt mit seinen Mitarbeitern dafür, dass die Trainings- und Stundenpläne „harmonisch ineinander greifen“, wie er es nennt. Aktuell kümmert er sich um das Eröffnungsfest für den Schulneubau und die neue Turnhalle. „Wir veranstalten am kommenden Freitag von 14 bis 16 Uhr ein öffentliches Fest mit den Eltern, Trainern und Schülern“, sagt er. „Wasserspringer Patrick Hausding wird auch anwesend sein.“

14:20 Uhr: Die Handballtrainer Mirco Bähr und Max Rinderle bereiten das Training vor. In einem Raum neben der Handballhalle besprechen sie Mannschaftsaufstellungen und Spieltaktik. Die beiden Lehrer-Trainer, so die offizielle Bezeichnung, unterrichten auch Deutsch und allgemeinen Schulsport.

15:30 Uhr: Bevor das zweite Training des Tages für die Eiskunstläufer und Turner beginnt, steht noch Deutschunterricht auf dem Stundenplan. Die Neun- bis Zehnjährigen sind in der 4. Klasse. Ab den Klassen fünf und sechs kommt dann der Schwimm- und Wasserspringer-Nachwuchs zum Klassenverband.

17:20 Uhr: Die Schultasche in die Ecke und dann die Boxhandschuhe einpacken für das Training. Abass Baraou lebt neben 300 weiteren Schülern im Internat der Schule. „Insgesamt habe ich 85 Kämpfe bestritten“, sagt der 19-jährige zweifache Deutsche Meister. „Elf habe ich verloren.“

19:30 Uhr: In der Mensa wird bis 22 Uhr Abendessen angeboten. Einige Schüler machen dort auch gemeinsam Hausaufgaben. „Manche Lehrer nehmen mit Klausuren und Hausaufgaben Rücksicht auf Wettkämpfe, einige nicht“, sagt ein Junge. „Das ist ganz unterschiedlich.“